Die Würde des Geisteskranken
1918 malte der im oberbayerischen Miesbach geborene Christian Schad einige Patienten einer Nervenheilanstalt. Sein Nachlass wird heute in Aschaffenburg verwahrt und gepflegt. Im kommenden Jahr eröffnet dort ein Museum für seine Kunst
Aschaffenburg Ein Bild wird 100. Es entstand im Jahr 1918, als der Freistaat Bayern ausgerufen wurde. Es entstand in einer Schweizer Irrenanstalt.
In die Schweiz nämlich war 1915 der in Miesbach/Oberbayern geborene Maler Christian Schad geflüchtet – um Rekrutierung und Stellungsbefehl im Ersten Weltkrieg zu entgehen. Er war damals 20 Jahre alt, und zuvor hatte er einen Herzfehler simuliert. Christian Schad war einer, der weder mitlief noch angesteckt worden war von der allgemeinen Kriegseuphorie selbst unter Intellektuellen und Künstlern. So fiel er nicht auf dem Schlachtfeld und konnte als ehemaliger Kurzzeit-Student des Münchner Tiermalers Heinrich von Zügel zu einem bedeutenden Vertreter der Neuen Sachlichkeit im Deutschland der 1920er Jahre heranreifen. Aus dieser Zeit stammen seine Meisterwerke.
In seinen Schweizer Jahren bis 1920 war Christian Schad noch dem Kubismus, dem Expressionismus und auch der taufrischen DadaBewegung verpflichtet, die er durch Bekanntschaft mit Hugo Ball und Hans Arp auch aktiv begleitete. Noch suchte der Maler seinen ihm gemäßen Weg.
Expressive und kubistische Anklänge finden sich denn auch im rechts abgebildeten „Sonntäglichen Clown“, in eben jenem eindrucksvollen Gemälde, das Christian Schad 1918 in der Nervenheilanstalt von Chêne-Bourg bei Genf malte. Deren Direktor Dr. Rudolphe Weber hatte ihn für vier Wochen in die kommunale Klinik, die zur damaligen Zeit als ausgesprochen fortschrittlich galt, eingeladen – und Christian Schad tat das, was auch schon William Hogarth, Francisco de Goya, Eugène Delacroix und Théodore Géricault vor ihm taten: sich der Physiognomie beschädigter Menschen widmen. Ihn interessierten „starke seelische Eindrücke, die im Inneren des Betroffenen als Trauma sich einnisten“, wie er später schrieb.
Wie es zu dem Titel „Sonntäglicher Clown“kam, den Schad dem Porträt selbst gab, ist nicht überliefert. Auch der Name des Patienten ist unbekannt. Schad malte in der Klinik „Bel-Air“zumindest fünf kleinformatige Ölskizzen und sieben Gemälde – wobei er von den Kranken offenbar freundlich aufgenommen worden war, auch weil er ihnen und ihrem Leiden mit Respekt gegenübertrat.
Der „Sonntägliche Clown“scheint ganz offiziell Modell zu sitzen. Er hat sich dafür adrett hergerichtet – mit Strohhut und korrekt geschlossenem Hemdkragen. Die gewisse Förmlichkeit geht mit Selbstachtung einher. Die Augen sind konzentriert in die Ferne gerichtet; sie sind wohl umwölkt von Zigarettenrauch, der rechts im Bild aufsteigt über typischer RaucherHandhaltung. Die leuchtenden RotGelb-Töne um das Gesicht des „Sonntäglichen Clowns“mit seinen anscheinend leicht geschürzten Lippen verleihen ihm zumindest den Anflug einer mystischen Wirkung. Es besteht kein Zweifel, dass Christian Schad mit diesem Gemälde dem Patienten Würde verleiht.
Heute ist der „Sonntägliche Clown“als Dauerleihgabe im Besitz des Schlossmuseums Aschaffenburg. Es verwahrt und pflegt den 3200 Objekte umfassenden Nachlass von Christian Schad, dessen künstlerische Kraft im Alter nachließ und der 1982 in Stuttgart verstarb. Der „Sonntägliche Clown“kam jedoch nicht durch seinen Nachlass nach Aschaffenburg, sondern 1995 durch einen Zukauf der Kurt-Gerd-Kunkel-Stiftung.
100 Jahre nach der Entstehung sollte in Aschaffenburg heuer eigentlich ein neues „Christian Schad Museum“eingeweiht werden. Doch die Fertigstellung verzögert sich bis ins Jahr 2019. Jedenfalls wird künftig dort der soeben restaurierte „Sonntägliche Clown“zu sehen sein.