Glücksgefühle auf dem Gipfel
Die Erstbesteigung des höchsten Berges der Welt heute vor genau 65 Jahren haben wir zum Anlass genommen, zwei Bergsteiger aus der Region zu fragen, was sie nach oben treibt. Von Schädelweh, Wetterstürzen und Hochgefühlen
Wir haben zwei erfahrene Bergsteiger gefragt, was sie so sehr am Weg nach oben fasziniert – aus einem ganz bestimmten Anlass.
Wie ist die Erstbesteigung des Mount Everest von Edmund Hillary und Tenzing Norgay vor 65 Jahren zu bewerten?
Johann Rausch: Das war damals Pionierarbeit, als ob man ein neues Land entdeckt. Wege waren nicht fixiert. Heute gehen da, wenn das Wetter passt, von chinesischer und nepalesischer Seite am Tag bis zu 200 Leute hoch. Das ist zum Massentourismus verkommen. Die Erstbesteigung damals war eine Meisterleistung!
Hans Jürgen Abmayr: Dazu kommt noch, dass das Material heute ganz andere Möglichkeiten und letztlich besseren Schutz bietet. Die extreme Kälte in diesen eisigen Regionen ist damals wie heute dieselbe.
Was vermuten Sie, hat Hillary so getrieben?
Abmayr: Da werden Sie vermutlich von zehn verschiedenen Leuten zehn verschiedene Antworten erhalten. Ich denke schon, dass es ein Stück weit Selbstbestätigung ist, etwas erreichen zu können. Das Gefühl, es auf den Gipfel geschafft zu haben, macht einen schon stolz auf die eigene Leistung. Bei Hillarys Abenteuer kommt dazu, dass er und sein Sherpa die Ersten überhaupt waren, die auf dem Dach der Welt gestanden sind. Rausch: Es ist vielleicht mit einem Marathon zu vergleichen, bei dem man auf viele Stunden verteilt Höchstleistung bringen muss. Wenn ich es mir recht überlege, hinkt der Vergleich aber ein wenig. Denn bei einem Marathon kann ich jederzeit aussteigen. Auf 4000 Metern Höhe ist das nicht möglich. Und eine Bergtour ist immer mit dem Risiko versehen, von einem plötzlichen Wettereinbruch überrascht zu werden. Das Glücksgefühl kommt bei mir meistens später, jedenfalls nicht unbedingt auf dem Gipfel. Denn wenn man morgens um drei Uhr den Gipfelaufstieg mit Schädelweh beginnt, weil der Sauerstoffgehalt nicht mehr so hoch ist, dann ist es mit dem Glück in diesen Momenten nicht so weit her. Trotzdem will man das jetzt einfach durchziehen.
Sie sind fasziniert davon, sonst würden Sie es nicht tun. Woher kommt die Begeisterung?
Rausch: Das volle Naturerlebnis ist einem gewiss.
Abmayr: Ich will es an einem Beispiel erläutern. Am 1. Mai habe ich eine Skitour im Lechtal gemacht. Auf der gewählten Route war kein einziger Mensch unterwegs – den ganzen Tag nicht. Diese totale Einsamkeit genieße ich dann. Ich kann total abschalten, denke nicht an den Be- trieb. Die Sorgen des Alltags sind in den Bergen verflogen. Und das ist auch gut so. Man muss nicht auf den Mount Everest steigen, um anspruchsvolle Situationen zu meistern. Und dann ist es ausgesprochen ratsam, im Hier und Jetzt zu leben, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen. Es mag kitschig klingen: Aber es ist wie in dem Lied von Reinhard Mey. Über den Wolken scheint die Freiheit wirklich grenzenlos zu sein. Wenn du auf dem Gipfel bist und überall geht’s nur runter – dann ist das ein erhebend.
Sie haben es bereits angesprochen: Die Natur ist unberechenbar. Welche gefährlichen Augenblicke mussten Sie meistern?
Rausch: Das war vor acht Jahren der Anstieg zur Quintino-Sella-Hütte im Aostatal. Nach vier Stunden sind wir in ein Wetter reingekommen. Wir waren noch etwa eine halbe Stunde von der Hütte entfernt. Es hat geschneit, gehagelt, geblitzt, gedonnert. Und der Wind war so heftig, dass er dich von dem schmalen Grat runter geblassen hätte, wenn du ungeschützt aufrecht gegangen wärst. Das war schon grenzwertig. Auch das Erlebnis am 3308 Meter hohen Piz Badile im italienischschweizerischen Grenzgebiet, der wegen seiner Wetterstürze berüchtigt ist, brauche ich kein zweites Mal. Wir sind von Norden her gekommen – und wenn sich etwas zusammenbraut, dann im Süden, wo im Tal der Comer See liegt. Genauso war es dann auch. Wir mussten uns abseilen an einer senkrecht abfallenden Wand. Von oben ist Regen und Graupel als eiskalter Wasserfall auf mich niedergeprasselt. Habe ich mich zu weit nach vorne gebeugt, ist es mir hinten reingelaufen, war ich ein wenig weg vom Felsen, lief alles vorne rein.
Mal abgesehen von diesen Grenzerfahrungen: Sie haben erzählt, wie erfüllt für Sie Bergsteigen ist. Was empfehlen Sie einem Anfänger, wenn er sich für die Berge begeistert und rauf will? Abmayr: Man sollte mit erfahrenen Leuten gehen und nicht alleine losziehen nach dem Motto: Irgendwie wird das schon. Die richtige Ausrüstung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Selbst wenn es bei uns in Günzburg 30 Grad hat, nehme ich stets Handschuhe für Touren in den Bergen mit. Da wurde ich schon belächelt. Gebraucht wurden sie fast immer. Und noch eines: Man muss ehrlich sein zu sich mit der körperlichen Fitness. Selbstüberschätzung kann tödlich enden.