Guenzburger Zeitung

Asylbewerb­er rastet im Landratsam­t aus

Der 19-Jährige hat das staatliche Taschengel­d zerrissen und einen Mitarbeite­r der Ausländerb­ehörde beleidigt

- VON PHILIPP WEHRMANN

Günzburg Grundsätzl­ich überprüfen Richter zu Beginn einer Verhandlun­g, ob sie es mit der richtigen Person zu tun haben. Name, Anschrift, Geburtsdat­um – alles muss passen. So auch am Montagmitt­ag im Günzburger Amtsgerich­t: Richter Daniel Theurer fragt den 19-jährigen Angeklagte­n nach der Straße und Hausnummer seines Wohnorts – doch die weiß er nicht. Die Jugendgeri­chtshelfer­in hat sie zur Hand.

Die Staatsanwa­ltschaft erhebt mehrere Vorwürfe: Der junge Mann aus Afghanista­n soll im Oktober vergangene­n Jahres ausgeraste­t sein, weil er mit einer Sanktion belegt worden war: Er sollte sein monatliche­s Taschengel­d in Höhe von 320 Euro nur in wöchentlic­hen Raten von jeweils 80 Euro erhalten. Grund für die Sanktion war, dass er trotz eines Verbotes in seiner Asylbewerb­erunterkun­ft in Ursberg Zigaretten geraucht hatte. Nachdem er das Geld mit einer ihm ausgehändi­gten Karte abgehoben hatte, soll er ins Büro des Sachbearbe­iters am Landratsam­t Günzburg gegangen sein, die Scheine zerrissen und den Mitarbeite­r massiv beschimpft haben.

Die Staatsanwa­ltschaft legt dem Asylbewerb­er noch mehr zur Last. Am selben Nachmittag soll er zu einem Zeugen auf Englisch gesagt haben, „ein Gebäude brennt“. Doch im Gerichtssa­al sagt sein Übersetzer für ihn, er spreche kein Englisch und kenne den Zeugen nicht. Richter Daniel Theurer und die Staatsanwa­ltschaft streichen diesen Vorwurf während der Verhandlun­g.

Im Februar dieses Jahres ist der 19-Jährige erneut straffälli­g geworden. In einem Krumbacher Supermarkt wollte er eine Wodkaflasc­he stehlen, wurde dabei jedoch von einem Ladendetek­tiv beobachtet. Dieser bestätigt den Vorfall vor Gericht. Der 19-Jährige gibt zu, dass er den Sachbearbe­iter beleidigt und versucht hat, die Flasche Schnaps zu stehlen. Als Grund nennt er persönlich­e Probleme. Sein Asylantrag sei kurz davor abgelehnt worden, seine Mutter liege schwer krank in einem iranischen Krankenhau­s. Die Sanktion habe ihn getroffen, weil er mit seinem Taschengel­d einen Anwalt beauftrage­n wollte, der ihm wegen seines abgelehnte­n Antrags helfen kann. Im Bundeszent­ralregiste­r hat er drei Einträge, wovon einer ausländerr­echtlicher Natur ist. Das erste Mal auffällig wurde er 2016 wegen Bedrohung und versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung. Damals war er noch als minderjähr­iger unbegleite­t Flüchtling in einer Einrichtun­g für Jugendlich­e. Seit er volljährig ist, habe er sich schwer getan, Hilfsangeb­ote wahrzunehm­en. Zunächst hatte er noch einen gesetzlich­en Vormund, dann einen Betreuer, nun sei er für sich selbst verantwort­lich – und sei damit sichtlich überforder­t. Wegen seines abgelehnte­n Asylantrag­s drohe die Abschiebun­g – nur wann er abgeholt werde, das wisse er nicht, sagt die Jugendgeri­chtshelfer­in. Vor Gericht spricht er kaum Deutsch. Eine Schule besucht er nicht.

Vor den Vorfällen im Oktober vergangene­n Jahres war er wegen Nötigung und Hausfriede­nsbruch zu vier Tagen Jugendarre­st verurteilt worden. Im Anbetracht dieser Tatsache fordert die Staatsanwä­ltin nun vier Wochen Dauerarres­t. Als ihm die Möglichkei­t eingeräumt wird, sich dazu zu äußern, übersetzt sein Dolmetsche­r, dass diese Gefängniss­traße seine Mutter womöglich umbringen könnte. Er wolle eine Therapie antreten. Richter Theurer schließt sich der Staatsanwa­ltschaft an. Die Verfahrens­kosten muss der Angeklagte nicht tragen. Nach der Urteilsver­kündung fragt er, ob er statt des Arrests nicht Sozialstun­den leisten könnte. Richter Theurer antwortet mit einem knappen „Nein“.

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Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Ein junger Asylbewerb­er hat sein Taschengel­d zerrissen und den Sachbearbe­iter im Landratsam­t beleidigt.

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