Wenn der Funke nicht überspringt
Die Abbrecherquote könnte steigen, fürchten die Handwerkskammern. Welche Ursachen es für diese vorhergesagte Entwicklung gibt
Günzburg/Ulm Vor zehn Jahren waren junge Leute froh, wenn sie einen Ausbildungsplatz ergattert haben. Heute scheint es so zu sein wie an einer Bude auf dem Jahrmarkt, wenn man das große Los gezogen hat: „Freie Auswahl“, steht darauf. „Die jungen Menschen suchen sich die Firmen aus, die ihren Vorstellungen entsprechen“, sagt Thomas Röhrle, einer von drei Ausbildungsberatern der Handwerkskammer (HWK) für Schwaben. Die gute Konjunktur und die Flüchtlingspolitik hinterlassen nach Ansicht von Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der HWK Ulm, Spuren. Das laufe bei Jugendlichen angesichts vieler Möglichkeiten und Lehrstellen dann so ab: „Sie befinden sich vielfach ohne echte Berufsorientierung auf der Suche nach dem vermeintlich Besseren und wechseln deshalb häufiger den Ausbildungsbetrieb. Oder kommen erst gar nicht.“
Für den gesamten Bereich der bayerisch-schwäbischen Handwerkskammer beträgt die Abbrecherquote während der Ausbildung 22 Prozent. Mit anderen Worten: Ungefähr jeder Fünfte beendet sein Ausbildungsverhältnis vorzeitig, die meisten davon in der Probezeit, die zwischen einem Monat und vier Monaten beträgt. Für den Land- Günzburg werden die Zahlen von der HWK nicht eigens erfasst. Gerechnet wird damit, dass diese Quote in den nächsten Jahren weiter steigen wird.
Röhrle sagt, für eine gelingende Ausbildung sei es wichtig, dass das „Zwischenmenschliche“passe. Wer mit falschen Vorstellungen einen Beruf kennenlerne, werde dem Betrieb vermutlich nicht lange erhalten bleiben, nachdem die harte Landung in der Realität erfolgt sei. Werdenden Auszubildende rät er, in dem Betrieb ihrer Wahl ein Praktikum zu machen, „aber nicht nur für einen Tag, sondern für ein, zwei Wochen“. Die nachvollziehbare Begründung: „Damit sie wissen, was auf sie zukommt. Das würde die Abbrecherquote mit Sicherheit senken.“
Außerdem seien Bewerbungen in mehreren Betrieben nicht unüblich. „Wenn ein Günzburger eine Ausbildungsstelle in Ulm bekommt, dort anfängt – und wenig später sagt auch ein Handwerksbetrieb in Günzburg zu, dann ist es leicht möglich, dass er die erste Stelle kündigt, um nicht mehr so weit fahren zu müssen.“Auch so etwas werde als Ausbildungsabbruch gewertet, obwohl der Anschluss bereits gesichert sei.
Eine „gute Balance“von Arbeit und Freizeit, schätzten die Auszubildenden. Mit Sprüchen wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“brauche man heute am besten gar nicht erst anfangen, „das ist graue Vorzeit und kommt nicht gut an“. Auch die Anfänger in einem Betrieb „wollen eine Wertschätzung erfahren“, sagt der Ausbildungsexperte.
Dass sich kleine und mittelständisch geprägte Handwerksbetriebe im Wettbewerb um den Nachwuchs mit der Industrie nicht leichttun, erwähnt Christine Jung von der Agentur für Arbeit in Donauwörth, die auch für den Kreis Günzburg zuständig ist. Die höhere Attraktivität des Industrieunternehmens hänge für einen Auszubildenden nicht selten mit der besseren Bezahlung zusammen – und auch mit der Bekreis kanntheit der Firma: Die einen pflegen weltweite Kundenbeziehungen, während ein anderer Mini-Betrieb im nächsten Landkreis schon nicht mehr bekannt sei. Das bedeute nicht, dass dort schlechter gearbeitet werde, „aber die Wahrnehmung ist eine andere“.
48 Flüchtlinge aus nicht europäischen Asylherkunftsländern stehen derzeit in Handwerksbetrieben im Kreis Günzburg in einem Ausbildungsverhältnis. Die Schwierigkeit für diese Menschen: Sie müssen sich in einer fremden Kultur zurechtfinden, haben oft Schlimmes auf ihrer Flucht erlebt, sind von der Familie getrennt und kennen die Sprache nicht. Da könne die Theorie zwangsläufig zum unüberwindbaren Hindernis werden, sagt Ausbildungsberater Röhrle.
Der Ulmer HWK-Hauptgeschäftsführer Mehlich wird an diesem Punkt sehr deutlich: „Bei uns zählt nicht, woher man kommt, sondern wohin man will. Die Betriebe im Handwerk haben sich nach diesem Prinzip engagiert und sind dem damaligen Wunsch nach Ausbildung geflüchteter Menschen nachgekommen. Jetzt zieht sich die Politik zusehends zurück und lässt die Betriebe allein mit den aufgetauchten Problemen“, mahnt er etwa eine breiter gestreute Sprachförderung an.