Jauchzen über Gott und Geist
Der Burgauer Kammerchor widmet sich im Musikalischen (Spät-)Frühling Wolfgang Amadeus Mozarts populärer Sakralmusik aus Salzburger Zeit
Burgau Sie waren sich herzlich spinnefeind. Mozart stand seinem Salzburger Brot- und Dienstherrn, Fürsterzbischof Colloredo, meist mit gesträubten Nackenhaaren gegenüber. Desgleichen er ihm auch! Bis am 8. Juni 1781 die Auseinandersetzung eskalierte und des Fürsten Oberküchenmeister, Graf Arco, dem „elenden Lumpen von Komponist“einen Tritt in den Hintern versetzte, der eines der größten Genies der musikalischen Welt bis nach Wien beförderte, und dem Tatausführer einen ewigen Platz in den Geschichtsbüchern bescherte.
Ein Jahr zuvor war der damals 24-jährige Jungspund, durch das von ihm größtenteils selbst verursachte, spannungsgeladene Umfeld am Salzburger Hof, schon genauso verärgert, hat diese Abneigung aber hörbar nicht in die Musik eingebracht, die er für die erzbischöflichen Gottesdienste schrieb. Im Gegenteil, es sind darunter Juwele, die heute noch rokokofunkelnd über Gott und Geist jauchzen, und nichtsdestoweniger so manchen Top-Crossover mit Chart-Veredelung aufpolieren. Die „Vesperae solennes de Confessore“(KV 339), das Hauptwerk des Burgauer Kammer- an diesem Konzertabend, entstanden 1780, gehören also zu Mozarts letzten seiner fast zwanzig Messen, die ihm für den Salzburger Gottesdienstgebrauch aus der Feder flossen. Ein Werk, in dem der junge Komponist so richtig himmelsstürmerisch durch die Musikgeschichte wirbelt und gleichermaßen augenzwinkernd wie gestrenge die kontrapunktische Musik althergebrachter Konvention mit überwältigendem Jubilieren und fantasievoll kühnen Wendungen verbindet, die so manchem katholischen Würdenträger das Fürchten lehrten.
Herwig Nerdinger legte mit seinem Kammerchor, der fast schon orchestrales Bleiberecht genießenden Sinfonietta Lamagna, einer gregorianisch inspirierten „ChoralSchola“(geleitet von Markus Putzke), und den vier Gesangssolisten Priska Eser (Sopran), Theresa Blank (Alt), Matthias Heimbach (Tenor) und Christian Puritscher (Bass) eine Interpretation vor, die durchaus das Markenzeichen „authentisch“für sich in Anspruch nehmen konnte.
Der, mal fröhlich sinnliche, mal reuelos expressiv wuchtige Chorklang, der ungekünstelte, unprätentiöse und Gefühlswärme verströmende Ansatz der solistischen Gesangslinien, nicht zuletzt aber auch die tonale Homogenität mit der das Orchester Klangströme entfesselte und wohlige Piano-Inseln setzte, verhinderte jegliche Neigung zu falschem Sentiment. Hier ließ es sich gut mitleiden und mitjubeln. Hier spielte die unverbrauchte Frische der Musik die erste Geige.
Hier wurde auch klar, da will ein ungezügelter Stürmer und Dränger heraus aus der provinziellen Salzburg-Enge, will hinein in die Weiten einer Wiener Musikwelt. Deshalb eine selbstbewusst die Fesseln sprengende musikalische Neuinterpretation der fünf Psalmtexte plus Magnificat. Deshalb die freie Kontrapunktik der Sätze im „Confitebor tibi“, im markant polyphonen Fugato des „Laudate pueri“. Natürlich geriet das „Laudate Dominum“zum streichelzarten Hörerlebnis. Zum innigen Gebet einer Einzelstimme. Wie auf melancholischem Frohsinn schwebend das Sopransolo von Priska Eder, interpretiert als ergriffen verinnerliche Apotheose des Gesangs. Und weil sich diese klassische Schönheitsmelodie gar so ohrenschmeichlerisch einnistet, wird sie von seinem Schöpfer gleich dreimal zu Herz und Gemüte geführt, vom Orchester, Solosopran und am Schluss vom Chor, mit poetischem Klangzauber und berückender Kanchors tabilität. Ein wahres Juwel aus dem Schatzkästchen Mozartscher Vokalkunst.
Den Vesperae voraus gingen drei Kirchensonaten für Violinen, Bass und Orgel. Einsätzige Kurzwerke, die im Salzburger Dom nach der neutestamentlichen Lesung anstelle eines Vokalstückes musiziert wurden. Gefälliges, großzügiges Sakralglitzer-Flair, das so gar nicht himmelwärts frömmelt. Das Mozart zwar Gläubigkeit zugesteht, es damit aber auch bewenden lässt. Von „Paffen“hielt er zeitlebens nichts. Nach dem festlich gestalteten „Regina coeli“(KV 276) ein weiteres Juwel Mozartscher Rokoko-Hipness: die brillant gesetzten 46 Takte seiner vierstimmigen Motette „Ave verum corpus“(KV 618). Ein knappes halbes Jahr vor seinem Tod seinem Freund, dem Chorregenten Anton Stoll aus Baden bei Wien zugedacht. So nebenbei zu Papier gebracht, während er an Zauberflöte und Requiem feilte, wurde es zu seiner wohl populärsten Kirchenkomposition. Wie in Watte gepackter runder, voluminöser Gesamtklang, entrückt, körperlos melancholisch, und sowohl vokal wie instrumental edel und in höchster Vollendung interpretiert. Eine beglückende Ohrenweide. Laudate Dominum!