Kann Merkel Seehofer als Minister absetzen?
Die Kanzlerin droht mit ihrer Richtlinienkompetenz. Was das politische Werkzeug bedeutet
Die Richtlinienkompetenz gilt als schärfstes Schwert der Bundeskanzlerin. Was bedeutet der Begriff? Walther Michl: Mit der Richtlinienkompetenz gibt die Bundeskanzlerin die große politische Linie vor. Und damit auch die Richtung, die sie mit ihren Entscheidungen ansteuert. Sie hat einen gewissen Einschätzungsspielraum in dem, was sie politisch für wesentlich hält.
Bedeutet das also, dass die Kanzlerin ihre Prinzipien zur „Richtlinie“erklären kann und Innenminister Horst Seehofer damit eine rote Linie setzt? Michl: Richtig. Dass die Richtlinienkompetenz jedoch so offen beansprucht wird, kommt äußerst selten vor. Die Absprachen der Koalitionspartner setzen normalerweise ja die grundlegenden Themen der Legislaturperiode fest.
Worauf beruft sich Seehofer?
Michl: Er handelt nach dem sogenannten Ressort-Prinzip. Wenn er die Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen will, muss er die Weisung an die Bundespolizei geben. Das kann nur er als zuständiger Fachminister tun. Die Weisungsbefugnis liegt im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums. Es bildet in diesem Fall die Spitze der Entscheidungshierarchie.
Die Bundeskanzlerin kann demnach nur sagen: Bis hierhin und nicht weiter?
Michl: Angela Merkel sagt mit ihrer Richtlinienkompetenz in der Frage der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze genau das. Aus rechtlicher Sicht sind die Grenzen dieser Entscheidung klar. Ihre Richtlinie kann sie nur erlassen, wenn diese mit geltendem Recht übereinstimmt. Die Folgen und Sanktionen einer solchen Auseinandersetzung zwischen den beiden können nur politischer Natur sein.
Was aber passiert, wenn Seehofer stur bleibt?
Michl: Weigert sich Horst Seehofer die Richtlinie der Kanzlerin einzuhalten, hat sie die Möglichkeit, ihn abzusetzen und zu ersetzen. Fraglich ist aber auch, ob sich die Bundespolizei über die rote Linie der Kanzlerin trotz der Weisung von Seehofer hinwegsetzt.
Wie kann in letzter Konsequenz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einschreiten?
Michl: Er muss, sollte die Kanzlerin die Entlassung Seehofers veranlassen, diese Entscheidung lediglich vollziehen und dem Verlangen der Kanzlerin nachkommen. Selbst hat er kein Mitspracherecht.
Was spricht aus ihrer Sicht für und gegen einen Koalitionsbruch?
Michl: Ob der Koalitionsbruch wirklich kommt, hängt davon ab, wie Frau Merkel die politischen Kosten einschätzt. Ich gehe nicht davon aus, dass es so weit kommt. Die Koalitionspartner müssen schließlich alle ihr Gesicht wahren und werden sich wohl zusammenreißen.