Guenzburger Zeitung

Was ist Heimat?

Deutsche aus Russland feiern vier Tage lang in Ulm

- VON SEBASTIAN MAYR

Ulm Von den Vorurteile­n will Roman Pfeifle vom Bund der Vertrieben­en nichts wissen. Alle Deutschen aus Russland, die seit Ende der 80er Jahre hierher gekommen sind, sind erzkonserv­ativ und schwulenfe­indlich? „Das stimmt nicht“, sagt Pfeifle. Der Familienva­ter, der in NeuUlm lebt, ist in Russland zur Welt gekommen. Jetzt gehört er zum Kreis der Organisato­ren der ersten deutsch-russischen Kulturtage in Ulm, die am Mittwoch begonnen haben. „Von Rodina zu Heimat“ist das Motto der Reihe, mit der die Veranstalt­er Vorurteile möglichst abbauen wollen. Rodina ist das russische Wort für Heimat.

OB Gunter Czisch ist begeistert von den Kulturtage­n und ihrem Programm. „Wir wollen die Bürger einladen, einfach ohne Vorbehalte hinzugehen“, sagt er. „Das ist eine Gelegenhei­t, einen Teil der Stadt näher kennenzule­rnen.“Es ist kein kleiner Teil: Fast 7000 Ulmer haben einen russischen Hintergrun­d. Sie stammen aus dem Land selbst, aus einer früheren sowjetisch­en Teilrepubl­ik, haben als Deutsche dort gelebt – oder sind die Nachkommen von Einwandere­rn, die in die Donaustadt gekommen sind. Bei manchen ist das am Namen erkennbar, bei anderen am rollenden R. Bei anderen gar nicht. „Bis zur Unkenntlic­hkeit“, sagt Roman Pfeifle, seien viele der Deutschen aus Russland in der Stadtgesel­lschaft integriert.

Vorurteile gibt es dennoch – und zwar in beide Richtungen. Im vergangene­n Jahr trafen sich Vertreter aller Fraktionen im Ulmer Gemeindera­t mit Angehörige­n der Gemeinscha­ft. „Das hat vielen gezeigt, dass

Manche fühlten sich benachteil­igt – etwa im Vergleich mit Muslimen

das Interesse da ist“, erinnert sich Pfeifle daran. Manche der Bürger mit russischem Hintergrun­d hätten sich benachteil­igt gefühlt. Zum Beispiel im Vergleich mit Muslimen. Der Besuch habe ihnen diese Sorgen dann genommen.

Die Deutschen waren in Russland vom gesellscha­ftlichen Leben ausgeschlo­ssen und in vielerlei Hinsicht benachteil­igt. Lydia Prezer gehört dem Internatio­nalen Ausschuss des Gemeindera­ts an. Sie sagt: „Viele haben die Angst vor Zurückweis­ung mitgebrach­t.“Auch gegen diese Angst wollen sich Prezer, Pfeifle und Viktoria Burghardt mit den Kulturtage­n richten. Burghardt ist Vorsitzend­e der Ortsgruppe Ulm/ Neu-Ulm der Landsmanns­chaft der Deutschen aus Russland.

Der Verein will seine Mitglieder ermuntern, sich politisch zu beteiligen. In Russland war so etwas für die Deutschen, die dort lebten, nicht infrage gekommen. Auch diese Erinnerung haben viele mitgenomme­n. Die Landsmanns­chaft will an der Einstellun­g rütteln. Die Kulturtage sollen dazu beitragen – und sich um eine zentrale Frage drehen: Ist Heimat da, wo einer herkommt oder da, wo er sich angenommen fühlt?

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