Was ist Heimat?
Deutsche aus Russland feiern vier Tage lang in Ulm
Ulm Von den Vorurteilen will Roman Pfeifle vom Bund der Vertriebenen nichts wissen. Alle Deutschen aus Russland, die seit Ende der 80er Jahre hierher gekommen sind, sind erzkonservativ und schwulenfeindlich? „Das stimmt nicht“, sagt Pfeifle. Der Familienvater, der in NeuUlm lebt, ist in Russland zur Welt gekommen. Jetzt gehört er zum Kreis der Organisatoren der ersten deutsch-russischen Kulturtage in Ulm, die am Mittwoch begonnen haben. „Von Rodina zu Heimat“ist das Motto der Reihe, mit der die Veranstalter Vorurteile möglichst abbauen wollen. Rodina ist das russische Wort für Heimat.
OB Gunter Czisch ist begeistert von den Kulturtagen und ihrem Programm. „Wir wollen die Bürger einladen, einfach ohne Vorbehalte hinzugehen“, sagt er. „Das ist eine Gelegenheit, einen Teil der Stadt näher kennenzulernen.“Es ist kein kleiner Teil: Fast 7000 Ulmer haben einen russischen Hintergrund. Sie stammen aus dem Land selbst, aus einer früheren sowjetischen Teilrepublik, haben als Deutsche dort gelebt – oder sind die Nachkommen von Einwanderern, die in die Donaustadt gekommen sind. Bei manchen ist das am Namen erkennbar, bei anderen am rollenden R. Bei anderen gar nicht. „Bis zur Unkenntlichkeit“, sagt Roman Pfeifle, seien viele der Deutschen aus Russland in der Stadtgesellschaft integriert.
Vorurteile gibt es dennoch – und zwar in beide Richtungen. Im vergangenen Jahr trafen sich Vertreter aller Fraktionen im Ulmer Gemeinderat mit Angehörigen der Gemeinschaft. „Das hat vielen gezeigt, dass
Manche fühlten sich benachteiligt – etwa im Vergleich mit Muslimen
das Interesse da ist“, erinnert sich Pfeifle daran. Manche der Bürger mit russischem Hintergrund hätten sich benachteiligt gefühlt. Zum Beispiel im Vergleich mit Muslimen. Der Besuch habe ihnen diese Sorgen dann genommen.
Die Deutschen waren in Russland vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Lydia Prezer gehört dem Internationalen Ausschuss des Gemeinderats an. Sie sagt: „Viele haben die Angst vor Zurückweisung mitgebracht.“Auch gegen diese Angst wollen sich Prezer, Pfeifle und Viktoria Burghardt mit den Kulturtagen richten. Burghardt ist Vorsitzende der Ortsgruppe Ulm/ Neu-Ulm der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland.
Der Verein will seine Mitglieder ermuntern, sich politisch zu beteiligen. In Russland war so etwas für die Deutschen, die dort lebten, nicht infrage gekommen. Auch diese Erinnerung haben viele mitgenommen. Die Landsmannschaft will an der Einstellung rütteln. Die Kulturtage sollen dazu beitragen – und sich um eine zentrale Frage drehen: Ist Heimat da, wo einer herkommt oder da, wo er sich angenommen fühlt?