„Ein großes Nichts“
Man mag es ihnen gewünscht haben – aber verdient hatte es diese deutsche Nationalmannschaft nicht, ins Achtelfinale einzuziehen. Es hat an der Einstellung gefehlt, an der Leichtigkeit, an der Gier – und zwar in allen drei Spielen.
In weiten Teilen der Fußballwelt wird das Aus des Weltmeisters als eine Sensation wahrgenommen. Das ist es natürlich auch, aber eine mit Ansage, mit langem Anlauf. Wer Augen hatte zu sehen, der spürte von der ersten Minute das Spiels gegen Mexiko: Dieser Mannschaft fehlt etwas. Was haben wir gesehen: ein großes Nichts – keine Leidenschaft, keinen Hunger. Und irgendwann wird das Gefühl immer stärker, dass es ganz viel zu verlieren gibt. Ich glaube, dass der DFB und der gesamte Stab die ausgerufene Mission Titelverteidigung falsch angegangen sind. Auch im Fußball darf man aus der Geschichte lernen, und die WM-Historie lehrt dich, dass zuletzt vor 56 Jahren ein Weltmeister den Titel vier Jahre später erneut gewonnen hat.
Frankreich, Brasilien, Italien, Spanien und nun Deutschland sind daran gescheitert, noch mal auf den Gipfel zu steigen, auf dem sie vier Jahre zuvor gestanden haben. Und zwar kläglich gescheitert! Das ist kein Zufall, sondern der Beweis, wie schwer es ist, in diesen jungen, angehimmelten, rundumversorgten Weltstars die Gier und auch die Lust auf den erneuten Aufstieg zu wecken. Wenn dann das ganze Marketing rund um „die Mannschaft“auf die Titelverteidigung angelegt ist, wenn dann die Niederlagen und Abwehrmängel kleingeredet werden, wenn dann die Gefahr der Erdogan-Affäre für das Binnenklima nicht erkannt und nonchalant beiseitegeschoben wird, kurz: Wenn sich das Gefühl breitmacht, dass den Besten ja eigentlich nichts passieren kann, weil sie ja nie rasten – dann läuft eine Uhr, die man während des Turniers nicht mehr anhalten kann. Auch nicht, indem man sich in der Wagenburg verschanzt und sich gegen Kritiken verwahrt. Das ist zu einfach, meine Herren, das ist sogar billig. Wir halten mal fest: Die Nationalmannschaft ist mit dem Besten, was der deutsche Fußball zu bieten hat, nach Russland gefahren.
Die Spieler sind besser als die Mexikos, Schwedens und Südkoreas – aber es ist nicht gelungen, eine funktionierende Mannschaft auf den Rasen zu bringen. Personelle Wechsel reichen da nicht, und es spricht nicht für, sondern gegen den Plan, dass in drei Spielen 20 von 23 Spielern eingesetzt wurden. Da war das Vertrauen in einige Akteure wohl doch nicht so groß wie vorher immer wieder behauptet. Der schlimmste Betrug ist und bleibt der Selbstbetrug.
Natürlich wird das aufgearbeitet werden, leider auch von denen, die in einer solchen Niederlage eine Katastrophe sehen oder gleich als Beweis dafür nehmen, dass es mit diesem Land den Bach runtergeht – das ist lächerlich, dafür nehme ich mir keine Zeit. Aber in der sachlichen Debatte darf es keine Tabus, keine Denkverbote geben – auch Weltmeister, Weltmeister-Trainer, Weltmeister-Manager und Weltmeister-Präsidenten müssen sich hinterfragen. Wenn sie das nicht tun, müssen wir ihnen dabei helfen.
Aber bitte mit Augenmaß und Menschlichkeit. Es ist niemand gestorben, und die Kugel dreht sich auch morgen noch – die ganz große, und die kleine, die früher mal aus Leder war, und für viele der Mittelpunkt des Lebens ist.