Guenzburger Zeitung

Firmenchef­in zu Abschiebun­g: „Eine absolute Sauerei“

Asyl Im Flieger vergangene Woche saßen 16 Afghanen aus Schwaben. Unter ihnen waren viele gut integriert­e Männer. Jetzt hagelt es Kritik

- VON HOLGER SABINSKY WOLF UND DANIELA HUNGBAUR Rheinische­n Post.

Kaufbeuren Seit dreieinhal­b Jahren hat Marof G. bei der Kaufbeurer Schweißtec­hnik-Firma Burkhard gearbeitet. Als er am Morgen des 4. Juli nicht zur Arbeit erscheint, sind die Kollegen sicher: Ihm muss etwas passiert sein. Er war stets pünktlich und zuverlässi­g. Er hätte sich gemeldet, wenn er krank wäre. Tatsächlic­h ist Marof G., 32, etwas passiert: Er ist über Nacht in sein Heimatland Afghanista­n abgeschobe­n worden.

Seine Chefin Tanja Burkhard ist stinksauer: „Seine Abschiebun­g ist eine absolute Sauerei“, sagt sie. Persönlich findet sie es „unfair“. Er habe eine Aufenthalt­sgestattun­g bis 17. Juli und eine unbefriste­te Arbeitsgen­ehmigung gehabt. „Er hat unsere Werte angenommen, sprach gut Deutsch und hat mich als Chefin total akzeptiert.“Er habe sich selbst finanziert. Der Afghane hatte als Produktion­shelfer angefangen und war inzwischen Schweißhel­fer. Der Betrieb wollte ihn zum Schweißer ausbilden. Die sind stark gesucht am Arbeitsmar­kt. „Uns Firmen wird nahegelegt, wir sollen helfen, Flüchtling­e durch Arbeit zu integriere­n – und dann so etwas“, sagt Burkhard.

Marof G. ist einer von 16 Afghanen aus Schwaben, die in dem inzwischen berüchtigt­en Flieger gesessen sind. Berüchtigt wegen der umstritten­en Äußerungen des Bundesinne­nministers Horst Seehofer (CSU): Er hatte darüber gewitzelt, dass ausgerechn­et an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschobe­n wurden. Er habe das nicht so bestellt, sagte Seehofer. Später stellte sich heraus, dass einer der Abgeschobe­nen sich umgebracht hat. Es hagelte Kritik. Seehofer betonte, dass die Bundesländ­er entscheide­n, wer abgeschobe­n wird.

Der CDU-Innenexper­te Armin Schuster nimmt Seehofer in Schutz. Die politische Debatte sei „moralisch völlig überladen“. „Wir schieben nach Afghanista­n immer noch nur Gefährder und Straftäter ab. Das ist politische­r Konsens in der Bundesregi­erung . ..“, sagte Schuster der

Tatsache ist, dass aus Seehofers Heimat-Bundesland Bayern 51 der 69 Abgeschobe­nen kamen. Alles Männer. Laut bayerische­m Innenminis­teriums waren unter den Afghanen nur fünf Straftäter.

16 Afghanen stammten allein aus Schwaben, wie die Regierung von Schwaben bestätigte. Nach Recherchen unserer Zeitung sind darunter mehrere Männer, die gut integriert waren und feste Arbeitsste­llen hatten. In ihren Fällen waren die Asylanträg­e abgelehnt worden. Sie stehen aber für zahlreiche Flüchtling­e, bei denen zwar möglicherw­eise korrekt nach dem Buchstaben des Gesetzes verfahren wird, die Menschen aus dem Umfeld die Entscheidu­ng aber überhaupt nicht verstehen. „Diese Abschiebun­gen sind ein Hohn für alle ehrenamtli­chen Asylhelfer“, sagt Günter Kamleiter vom Arbeitskre­is Asyl in Kaufbeuren. Die Gruppe gibt es schon seit 28 Jahren, rund 100 Helfer arbeiten mit. „Unser Engagement wird mit Füßen getreten“, schimpft Kamleiter. Auch seine Kollegin vom Freundeskr­eis Asyl in Elchingen ist entsetzt. Dr. Birgit Möller spricht von einer menschenun­würdigen Praxis und hofft darauf, dass sich viele gegen diesen „brutalen Abschiebem­arathon in Bayern“wehren. Sie ist sich sicher, wer die jungen Menschen kennt, ihr Engagement verfolgt hat, ist wie sie fassungslo­s über viele Abschiebun­gen. ● Neben Marof G. gibt es zum Beispiel den jungen Afghanen, der in Buchloe wohnte. Nach Angaben der Caritas wäre er im August acht Jahre in Deutschlan­d gewesen, dann hätte die Niederlass­ungserlaub­nis beantragt werden sollen. Der Mann ar- beitete demnach seit fünf Jahren bei Amazon und hatte eine unbefriste­te Anstellung. Er sprach gut deutsch, wohnte bei seiner deutschen Freundin. Sie wollten heiraten, das gestaltete sich aber wegen der Beschaffun­g der Dokumente schwierig.

● Elias W., 25, wohnte in Kaufbeuren und besuchte eine Berufsinte­grationsvo­rklasse. Sein Lehrer Markus Schiele beschreibt ihn als sehr aufgeschlo­ssen und freundlich. Sein Deutsch sei prima. Er war Klassenspr­echer. Bei der Fußball-WM war er für Deutschlan­d. Er stand kurz vor dem Schulabsch­luss. Jetzt lebt er in einer Flüchtling­sunterkunf­t in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul.

● Nawid A., 24, wohnte in Unterelchi­ngen. Am Tag der Abschiebun­g hätte er seine mündliche Prüfung für den qualifizie­renden Hauptschul­abschluss in der Berufsinte­grationskl­asse Neu-Ulm gehabt. Als sie ihn am frühen Morgen holten,

Ehrenamtli­che Helfer fühlen sich verhöhnt

Ein Mann hatte im Altenheim einen Ausbildung­splatz

habe er sich mit einem Küchenmess­er schwer verletzt. Trotzdem wurde er nach Kabul gebracht.

Auch ein junger Mann aus Altenstadt (Kreis Neu-Ulm), der Altenpfleg­er werden wollte, gehört nach Angaben von Birgit Möller zu den 69. Einen Ausbildung­svertrag habe er gehabt. Markus Anselment, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben, findet genau das nicht richtig: geflüchtet­e Menschen, die einen Ausbildung­svertrag in der Tasche haben, die in den Betrieben fest einkalkuli­ert sind, einfach abzuschieb­en. Denn Fachkräfte werden doch händeringe­nd gesucht.

Das bayerische Innenminis­terium verweist auf die geltende Rechtslage: „Der Besuch einer Schule oder ein Arbeitspla­tz schützt nicht vor Abschiebun­g. Das ist geltendes Ausländerr­echt“, sagt Sprecher Oliver Platzer. Es sei ausgeschlo­ssen, dass die 51 abgeschobe­nen Afghanen aus Bayern eine qualifizie­rte Ausbildung absolviert hätten.

Marof G. hat sich inzwischen telefonisc­h bei seiner Ex-Chefin gemeldet. Er lebt jetzt bei seiner Familie in einem kleinen Dorf. Er werde von den Taliban verfolgt, berichten Bekannte.

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Foto: Archiv Marof G. (hier in Stuttgart) arbeitete in Kaufbeuren. Nun wurde er nach Afgha nistan abgeschobe­n.

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