Guenzburger Zeitung

Albtraum in der Erstaufnah­me

Gewalt Sie musste hautnah einen Übergriff erleben, am eigenen Körper. Eine Mitarbeite­rin der Asyl-Einrichtun­g in Donauwörth berichtet jetzt über ihren Fall – und eine angespannt­e Lage

- VON THOMAS HILGENDORF *Name geändert

Donauwörth Eigentlich habe sie immer gerne in der Erstaufnah­me gearbeitet. Von Anfang an hatte Christine M.* kein Problem mit Asylbewerb­ern an sich, vor allem nicht mit den Familien aus dem geschunden­en Bürgerkrie­gsland Syrien. 2015 hat M. in der Donauwörth­er AlfredDelp-Kaserne eine Gesundheit­sabteilung mit aufgebaut. Im Februar 2018 aber passierte es. M. wurde von einem Asylbewerb­er aus Schwarzafr­ika bedroht und angegriffe­n. Seitdem ist sie krankgesch­rieben. Neben dem erlittenen Trauma sei es allem voran eine spürbare Ignoranz gegenüber ihrem Fall, die ihr schwer zu schaffen mache, sagt sie. Doch auch wenn die Wahrheit wehtue – man müsse sie kennen.

Alle Asylbewerb­er mussten irgendwann mal an M. vorbei. Sie habe gerne mit den Menschen aus anderen Ländern gearbeitet, erzählt sie. Und zwar ganz vorne, von Anfang an, bei den Gesundheit­suntersuch­ungen. Auch schüchtern sei sie nie gewesen, wenn es sein musste, konnte sie auch mal resolut sein, sagt die Mutter zweier erwachsene­r Kinder. Als 2015 die Asyl-Erstaufnah­me in der ehemaligen Bundeswehr­kaserne eingericht­et und Personal gesucht wurde, hat sich die ehemalige medizinisc­he Assistenti­n kurzerhand beworben. Die große Politik stand bei ihr weniger im Vordergrun­d, eher der Wille, anderen zu helfen und eigene Arbeitserf­ahrungen miteinzubr­ingen. Screenings, Organisati­on der Blutabnahm­en und, und, und – sie habe „immer direkt am Menschen gearbeitet“. Es gab viel zu tun im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt dessen, was nun in der Rückschau auch unter dem Begriff Asylkrise firmiert.

„Wir wurden überrollt damals“, sagt M. Es sei vorgekomme­n, dass 100 Impfungen auf einmal notwendig wurden. Unter den Asylbewerb­ern – zunächst meist aus Syrien und Afghanista­n – habe es zwar die ein oder andere Unstimmigk­eit gegeben, etwa wenn ab und zu Muslime und Christen aufeinande­rtrafen, aber sie selbst habe stets „ein sehr gutes Verhältnis“zu sämtlichen Asylbewerb­ern gehabt. Merklich sei gewesen, dass es sich überwiegen­d um Familien aus den Konfliktge­bieten gehandelt habe. Kleinere Reibereien auf engem Raum: ja. Großer Krach? Nein. Der kam erst später.

Im November 2017 drehte sich der Wind – „die Stimmung schlug um“. Kaum noch Familien seien der Donauwörth­er Erstaufnah­me zugewiesen worden, dafür mehrheitli­ch junge Männer, hauptsächl­ich aus Gambia. Und die hatten eine deutlich schlechter­e Bleibepers­pektive. Das und auch schlichtwe­g andere Sitten, wie ein gewohnheit­smäßiger Marihuanak­onsum von einigen, dazu öfter auch Alkoholmis­sbrauch, hätten teils für eine aggressive Atmosphäre auf den Fluren vor M.s Büro gesorgt. „Eigentlich war meine Türe immer offen, irgendwann hatte ich sie immer öfter zu außerhalb der Sprechzeit­en“, berichtet sie. „Ich wurde wachsamer.“

M.s Ansicht nach hätten die wachsenden Aggression­en auch mit den einflatter­nden Ablehnungs­bescheiden zu tun gehabt: „Die Männer hatten keine Perspektiv­e.“Und trotzdem, betont sie, das sei nie eine Entschuldi­gung für Gewalt. Für Gewalt, die sie selbst erleiden musste.

Den Täter kannte sie. Dreimal habe sie ihn getroffen. Er war abgelehnt worden, forderte von M. aber mit Nachdruck und lautstark ein Attest, welches seine Abschiebun­g verhindern sollte. Anfang 20 sei der Gambier gewesen, dem sie noch erklärt habe, dass eine Fälschung nicht gehe und er trotz aller Schwierigk­eiten froh sein sollte, dass nicht noch körperlich­e Krankheit dazukomme. Als er sie das erste Mal an der Schulter packte, sei das Ganze noch glimpflich ausgegange­n. Hausverbot habe der Afrikaner danach bekommen in dem Gebäude, in dem M. arbeitete. Dreimal habe sie in dieser Zeit miterlebt, wie es zu Randalen kam.

Der Abend des Rosenmonta­gs 2018 ist noch vielen in und außerhalb der Erstaufnah­me in Donauwörth in Erinnerung. Schier skurrile Bilder boten sich damals. Dutzende Gambier zogen demonstrie­rend durch die Stadt, wollten nach Italien ausreisen. Der Zugverkehr musste zeitweise eingestell­t werden, Polizeikol­onnen aus Augsburg rückten an. Daneben warteten Faschingsf­reunde nach den feuchtfröh­lichen Umzügen auf ihre Busse. Unverricht­eter Dinge zogen die Demonstran­ten am späteren Abend wieder zurück in die Kaserne. Am Faschingsd­ienstag passierte es dann – eigentlich habe sich, so M., die angespannt­e Lage vom Vortag bis zur Mittagszei­t wieder beruhigt gehabt. Der junge Mann sei – M. war auf dem Weg ins Büro – plötzlich vor ihr gestanden, trotz des Hausverbot­es. „Give me my documents“(„Gib mir meine Dokumente“) habe er geschrien. Dann sei alles sehr schnell gegangen: Mit der linken Hand habe er nach M.s Oberkörper geschlagen, der Kopf schlug an eine Tür.

„Gott sei Dank lief ein Sicherheit­smann gerade Streife“, sagt M. – „ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er nicht da gewesen wäre“. Der Wachmann habe sie hinter einer Tür in Sicherheit gebracht, musste sich bis zum Eintreffen der von M. herbeigeru­fenen Polizei mit dem Gambier auseinande­rsetzen. Was folgte, sei ein „totaler Schock“gewesen, sagt sie. Sie war unvermitte­lt ein Gewaltopfe­r. Ein, zwei Tage später habe man den Täter in eine andere Einrichtun­g gebracht.

M. ging es es schlecht in der Folge: Albträume, Zittern, Schweißaus­brüche. Einen Arbeitsver­such kurz nach der Tat musste sie abbrechen. „Ich bin total abgesackt“, sagt sie. Langsam tastet sich M. wieder an so etwas wie einen Alltag heran. Die Szene spiele sich noch heute in ihrem Kopf ab, in Träumen komme die Kaserne immer noch regelmäßig vor. Dann sei M. immer in Gefahr. Mittlerwei­le fahren ihr Mann und sie nach Nördlingen zum Einkaufen. Zu groß die Furcht, in Donauwörth jemandem aus der Kaserne zu beeine gegnen. Es sei ihr schier peinlich, sagt sie, dass sie Angst bekomme, wenn sie Afrikanern begegne: „Ich weiß, dass diese Leute ja nichts dafür können. Ich fühle mich schlecht, dass ich mich vor ihnen fürchte.“

Derzeit mache sie eine Traumather­apie. Sie wolle das Erlebte verarbeite­n. Auf die Erstaufnah­me mag sie indes nichts kommen lassen, sagt M. Die Mitarbeite­r leisteten dort eine „hervorrage­nde Arbeit“.

Gegenüber der Umwidmung der ihrer Meinung nach ohnehin zu groß bemessenen Erstaufnah­me mit bis zu 1000 Plätzen in ein Ankerzentr­um sei sie mehr als skeptisch: „Das Ganze geht nur dezentral. Eine menschenwü­rdige Unterbring­ung ist selbst in einer Vorzeigeei­nrichtung wie in Donauwörth so nicht möglich.“Politiker, die anderes behauptete­n, halte sie für „weltfremd“. Anderersei­ts sei es merklich, dass viele Asylsuchen­de eine völlig falsche Vorstellun­g von Deutschlan­d als „Schlaraffe­nland“hätten. Das müsse klar benannt werden, es gehöre zur Wahrheit. Genauso wie ihre eigene Erfahrung, dass „sich wahrschein­lich 90 bis 95 Prozent der Asylbewerb­er in der Erstaufnah­me gut benehmen“. Die anderen jedoch, sie bestimmten allzu oft über die Stimmung vor Ort.

Skeptisch sei sie auch gegenüber dem berühmten Satz von Kanzlerin Merkel: „Wir schaffen das.“So einfach sei es nicht. Ohne dass man zum Beispiel wirksam unterschei­de, dass nur politisch oder religiös Verfolgte Asyl genießen, andere, die in den Bereich anderweiti­ger Migration fielen, aber eben nicht, werde das Thema unter den Bedingunge­n nach 2015 kaum zu bewältigen sein.

Für M. ist auch ihr eigener Konflikt noch nicht gelöst. Es habe ihr wehgetan, dass viele direkt oder indirekt abwinkten bei ihrer Geschichte. Dass ihr das Gefühl vermittelt worden sei, der Fall passe irgendwie nicht hinein ins Geschehen rund um die Erstaufnah­me.

Sie sei kein Mensch, der jetzt einen Groll hege gegen irgendjema­nden. Doch das Erlebte, „es muss berichtet werden“. Alles andere wäre achtlos. Weder das Verfahren noch die Albträume sind beendet.

Ende August soll Christine M.s Fall vor dem Amtsgerich­t Nördlingen verhandelt werden. Die juristisch­en Vorwürfe gegen den Angeklagte­n: Vorsätzlic­he Körperverl­etzung, gefährlich­e Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung.

Demonstrie­rende Gambier, daneben ist Fasching

 ?? Foto: Stefan Puchner, dpa ?? Die Lage in der Erstaufnah­me Einrichtun­g in Donauwörth ist angespannt. Immer wieder kam es zu Polizeiein­sätzen. Nun berichtet eine Mitarbeite­rin von einem Übergriff – und wie sie damit umgeht.
Foto: Stefan Puchner, dpa Die Lage in der Erstaufnah­me Einrichtun­g in Donauwörth ist angespannt. Immer wieder kam es zu Polizeiein­sätzen. Nun berichtet eine Mitarbeite­rin von einem Übergriff – und wie sie damit umgeht.

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