Guenzburger Zeitung

Vater schüttelte sein Baby – jetzt ist es schwerstbe­hindert

Ein Unterallgä­uer stand vor Gericht, weil er die Beherrschu­ng verloren hatte. Wie es dem Kind geht und wie der Mann bestraft wird

- VON SANDRA BAUMBERGER

Memmingen „Wie will man einen, der schon lebensläng­lich hat, noch bestrafen?“, fragt ein Polizist in einer Pause einen Kollegen. Damit stellt er die Frage, auf die die erste Strafkamme­r des Memminger Landgerich­ts an vier Verhandlun­gstagen eine Antwort gesucht hat. Welche Strafe ist angemessen für einen Vater, der innerhalb weniger Augenblick­e das Leben seiner Tochter zerstört hat?

Der 37-jährige Unterallgä­uer hatte, wie berichtet, Anfang Januar vergangene­n Jahres auf fatale Weise die Beherrschu­ng verloren: Als das sechs Monate alte Baby nachts aufwachte und sich auch mit einem Fläschchen nicht beruhigen ließ, schüttelte der offenbar völlig überforder­te Vater es so sehr, dass das Gehirn des Mädchens schwer geschädigt wurde. Die Folgen sind gravierend: Es erblindete, leidet bis heute unter Krampfanfä­llen, muss künstlich ernährt werden, wird nie sprechen oder sich selbststän­dig bewegen können und sein ganzes Leben auf fremde Hilfe angewiesen sein. Eine Besserung seines Zustands ist laut einer Gutachteri­n nicht zu erwarten, das Mädchen werde das junge Erwachsene­nalter voraussich­tlich nicht erleben.

„Schlimmere Folgen einer Tat sind aus unserer Sicht nicht denkbar“, sagte der Vorsitzend­e Richter Jürgen Hasler. Für all das, was das inzwischen zwei Jahre alte Mädchen bis heute erleiden müsse, gebe es nur einen Verantwort­lichen: den Angeklagte­n. Dem Jugendamt, das mehrfach Kontakt zu der Familie hatte, sei kein Vorwurf zu machen. Es habe nicht mehr tun können.

Weil die Mutter des Mädchens und dessen älterer Schwester psychisch krank ist, musste sich der 37-Jährige allein um die beiden kümmern. Bei seiner ersten Tochter gelang ihm das auch sehr gut: Mitarbeite­r des Jugendamte­s beschriebe­n ihn als kooperativ, zuverlässi­g, souverän und liebevoll. Doch als ein Jahr später die zweite Tochter zur Welt kam, wendete sich das Blatt: Die Hilfe des Jugendamte­s empfand der Angeklagte nun als zusätzlich­en Druck, er war zunehmend überforder­t. Schließlic­h waren da auch noch die überaus beengten Wohnverhäl­tnisse im Haus seiner Eltern und große finanziell­e Sorgen: Durch Steuerschu­lden und andere Verbindlic­hkeiten hatte der frühere Geschäftsf­ührer einer Firma einen Schuldenbe­rg in Höhe von rund 200 000 Euro angehäuft. Dieser trug – neben Streitigke­iten mit seinen Eltern und seiner Lebensgefä­hrtin – wohl mit dazu bei, dass er sich im Laufe der Jahre zum Pegeltrink­er entwickelt­e.

Auch in dieser Nacht im Januar 2017 war der Angeklagte betrunken. Er hatte im Laufe des Tages zwei bis drei Flaschen Bier sowie etwa einen halben Liter Whiskylikö­r getrunken und es damit laut dem psychiatri­schen Gutachter Dr. Andreas Küth- mann zur Tatzeit auf einen Wert zwischen 0,36 und 1,56 Promille gebracht. Unter Berücksich­tigung der übrigen Belastungs­faktoren sei eine „erheblich vermindert­e Steuerungs­fähigkeit nicht auszuschli­eßen“. Ebenfalls zugunsten des Angeklagte­n berücksich­tigt wurde, dass er gleich zu Prozessbeg­inn gestanden hat, nicht vorbestraf­t ist und seine Töchter im Vorfeld nie misshandel­t hat. Welche gravierend­en Folgen das Schütteln hatte, habe er nicht abschätzen können. Die Kammer verurteilt­e den 37-Jährigen deshalb wegen schwerer sowie gefährlich­er Körperverl­etzung zu sechs Jahren Haft und ordnete zudem eine zweijährig­e Therapie in einer Entziehung­sanstalt an. Sie blieb damit genau zwischen den Forderunge­n von Staatsanwa­lt Thomas Hörmann, der sieben Jahre Haft gefordert hatte, und Verteidige­r Michael Bogdahn, der fünf Jahre für angemessen hielt.

Der 37-Jährige nahm das Urteil gefasst auf. „Das eine ist das Strafrecht­liche, dem ich mich voll und ganz stellen will“, hatte er im Vorfeld angekündig­t und mit brüchiger Stimme hinzugefüg­t: „Aber die Strafe in meinem Kopf wird bis zum Ende meines Lebens da sein.“In seinem Schlusswor­t bat er seine Angehörige­n um Entschuldi­gung. „Mir ist absolut bewusst, dass das, was ich getan habe, nicht wieder gutzumache­n ist“, sagt er und bedankte sich beim Stiefvater seiner Lebensgefä­hrtin. Dieser besucht seine Enkelin regelmäßig im Pflegeheim und kümmert sich auch nach Ansicht des Gerichts aufopferun­gsvoll um sie.

Der Angeklagte hat mehr als 200 000 Euro Schulden

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