Guenzburger Zeitung

„Grindels Verhalten ist schlimm“

Der Kabarettis­t Alfons alias Emmanuel Peterfalvi ist Franzose und hat seit kurzem einen deutschen Pass. Das Krisenmana­gement des DFB sieht er kritisch – und offenbart seinen eigenen Blick auf die französisc­he Elf

- Warum gerade der? Interview: Roland Wiedemann

Frankreich im WM-Finale – ich gratuliere, Monsieur Peterfalvi! Emmanuel Peterfalvi: Oh, vielen Dank. Aber ich habe wenig dafür getan – eigentlich gar nichts. Ehrlich gesagt sind Fußball-Weltmeiste­rschaften normalerwe­ise nicht so mein Ding. Diesmal sollte das eigentlich anders sein. Sie müssen wissen, dass ich seit November auch einen deutschen Pass habe. Da dachte ich mir: Toll, diesmal trittst du als amtierende­r Weltmeiste­r an. Ich habe mir sogar extra ein Deutschlan­d-Trikot besorgt. Ich war dann froh, dass es in euren Geschäften das 14-tägige Rückgabere­cht gibt.

Dann sind Sie dafür verantwort­lich, dass die DFB-Elf so kläglich ausgeschie­den ist – Sie haben der deutschen Mannschaft Pech gebracht. Peterfalvi: Ihr habt doch schon Özil als Sündenbock gefunden. Ein Foto mit einem Diktator und schon scheidet eure Mannschaft aus – das sind nicht mehr die Deutschen von früher. Ganz schlimm ist das Verhalten von diesem Mann an der Spitze des deutschen Fußballver­bandes, dessen Namen niemand kennt . . .

Reinhard Grindel . . .

Peterfalvi: ...genau der. Und dazu Bierhoff – von ganz groß auf ganz klein. Alle haben wir schon mal Stammtisch­parolen gemacht – aber mit ein paar Bier im Bauch. Bierhoff und dieser Grindel sind mit daran schuld, dass das Ganze zunehmend eine rassistisc­he Note bekommt. Das passt gut in die Zeit – alle spielen verrückt. Dabei gibt es eine einfache Erklärung für das Ausscheide­n der deutschen Mannschaft: Sie hat schlecht gespielt.

Hat Deutschlan­d das Verlieren verlernt? Gehen die Franzosen anders mit Niederlage­n um?

Peterfalvi: Wenn wir verlieren, dann sind wir zutiefst traurig – aber nur zehn Minuten lang. Die Franzosen lieben sogar Verlierer. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Raymond Poulidor ist der Radrennfah­rer, der in Frankreich am meisten verehrt wird – dabei hat er kein einziges Mal die Tour de France gewonnen. Er ist immer Zweiter oder Dritter geworden und ist trotzdem populärer als der fünffache Tour-Sieger Jacques Anquetil. Es gibt nur einen Tour de FranceSieg­er, der richtig verehrt wird, jener von 1904.

Peterfalvi: Weil herausgeko­mmen ist, dass er Teile der Etappen mit dem Zug gefahren ist... Die Deutschen stehen auf Gewinner, auf Effizienz und Qualität, die Franzosen auf verletzte Typen – wie Gérard Depardieu, der besoffen ins Flugzeug pisst und nach Russland abhaut. Was viele Deutsche nicht wissen: Die Franzosen sind Individual­isten. Jeder kämpft für sich. Aber jetzt gerade herrscht wirklich eine tolle Stimmung im ganzen Land, was man sonst nicht so kennt. Alle stehen zusammen – so wie bei der Weltmeiste­rschaft 1998. Oder wie nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Anscheinen­d brauchen wir Idioten, um solidarisc­h zu werden – entweder Terroriste­n oder Fifa-Funktionär­e. Als Frankreich 1998 Weltmeiste­r wurde, war das auch das erste Mal, dass die Leute es richtig super fanden, zu gewinnen. Der heutige Trainer Didier Deschamps war einer der Helden von damals. Und unter ihm als Trainer hat die französisc­he Mannschaft nach dem Tiefpunkt bei der WM 2010 wieder an Ansehen gewonnen. Wir erinnern uns noch an die Meuterei im Teamquarti­er in Südafrika.

Peterfalvi: Die WM 2010 – das war schon ein echter Marketing-Coup der französisc­hen Mannschaft. Sie hat in Südafrika all das gezeigt, wofür Frankreich steht und bekannt ist: Protest, Revolution und Streik – wirklich super. Didier Deschamps ist als Teil und Kopf des Weltmeiste­rteams von 1998 eine lebende Legende. Und wenn er jetzt als Trainer den Weltmeiste­rtitel holt, dann wird er wohl Macron ablösen und nächster Président.

Deschamps und Macron statt Löw und Merkel – viele Deutsche blicken derzeit voller Neid auf die französisc­hen Führungskr­äfte in Fußball und Politik.

Peterfalvi: Also, den Macron könnt Ihr gerne haben. Die Franzosen wären froh, wenn der weg wäre. Er gibt Milliarden für die reichen Leute aus und sagt dann, tut mir leid, wir können doch nicht an die Armen noch mehr Geld verteilen. Ich habe mir das Halbfinale gegen Belgien in einer Bar in Südfrankre­ich angeschaut. Immer wenn Macron im Bild war, haben ihn die Leute in der Bar ausgebuht. Der Bildregiss­eur hat das offensicht­lich geahnt. Macron ist nicht so oft gezeigt worden.

Vielleicht ändert sich das, wenn Frankreich am Sonntag den WM-Titel gewinnen sollte. Wie sehen Sie die Chancen Frankreich­s gegen Kroatien? Peterfalvi: Sehr, sehr gut. Eine WM in einem so korrupten Land wie Russland – da sind die Franzosen in ihrem Element, das tut ihnen gut. Und wenn es diesmal doch nicht klappen sollte, dann auf jeden Fall 2022 in Katar. Dort gibt es noch mehr Korruption. ● Emmanuel Peterfalvi Der franzö sische Kabarettis­t ist 1967 in Paris geboren und auch aufgewachs­en. Seit 1991 lebt er in Hamburg. In Deutschlan­d bekannt geworden ist Peterfalvi als TV Kultreport­er Al fons. In dieser Rolle tritt er immer im gleichen Outfit (gelfeuchte Haare, orangefarb­ene Trainingsj­acke und übergroßes Mikrofon mit Puschel windschutz) an Passanten heran und stellt ihnen mit seinem französi schen Akzent absurde Fragen wie „Wären Sie lieber schwul oder Po litiker?“. (row)

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Foto: Jens Kalaene, dpa Der französisc­he Kabarettis­t Emmanuel Peterfalvi lebt seit über 25 Jahren in Deutschlan­d. Im Finale glaubt er an Frankreich.

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