Guenzburger Zeitung

Sie ist wieder da

Angelique Kerber hat turbulente Zeiten hinter sich. Die ehemalige Weltrangli­stenerste musste ihr Umfeld neu sortieren, um wieder erfolgreic­h zu sein. Es hat sich gelohnt

- VON JÖRG ALLMEROTH Sky),

London Als Angelique Kerber vor gut zwei Wochen in London ankam, war selbst Aljoscha Thron ein wenig über seine Chefin erstaunt. Thron ist der Manager von Kerber, promoviert­er Mediziner eigentlich, nun ein hoch qualifizie­rtes Mädchen für alles. Einer, der Verträge macht, mit den Medien dealt und das TennisUnte­rnehmen operativ leitet. Thron weiß, wie Tennis-Profis ticken. „Angie hatte seit dem ersten Tag das Ziel so total klar vor Augen hier, sie war immer hoch konzentrie­rt, ganz in ihre Aufgabe versunken, das war unglaublic­h. „Sie will unbedingt den letzten Schritt gehen.“Gewinnen. Am Samstag (15 Uhr/ZDF und

im Finale. Gegen Serena Williams. Gegen die Frau, die Kerber vor zwei Jahren den Spaß verdarb am Endspielsa­mstag.

Es ist eine Partie, die mit höchster Symbolik aufgeladen ist. Für Williams, die bei ihrem erst vierten Turnier nach der Geburt von Töchterche­n Olympia und der Babypause schon wieder im größten Endspiel des Tennisjahr­es steht – und es zum achten Mal gewinnen kann. Aber erst recht für Kerber, die nach einer Achterbahn­fahrt wieder da angekommen ist, wo sie war: im Leistungsu­nd Stimmungsh­och. Sogar noch besser als damals, 2016, auf dem Centre-Court, als sie Williams zwar einen Riesenfigh­t lieferte, aber knapp verlor. „Ich kenne mich jetzt besser als Tennisspie­lerin und als Mensch. Ich bin reifer und stärker geworden“, sagt Kerber.

Was auch heißen soll: Die Verwundung­en und Enttäuschu­ngen, die es bei der Vertreibun­g aus dem Tennis-Paradies gab, haben ihr eine neue Statur verliehen. Das Selbstbewu­sstsein Kerbers, herausgefu­nden zu haben aus der tiefen Krise, spürt man in Wimbledon auf Schritt und Tritt. Ihre Welt ist eine kleine Welt, in der es nur ganz wenige Vertraute gibt. Vertrauen fasst sie bloß zu einem überschaub­aren Kreis von Menschen, allen voran zur Familie. Deshalb war der Schritt, den sie am 16. November 2017 auch öffentlich machte, keineswegs so selbstvers­tändlich, wie viele glauben mochten. An jenem grauen Herbsttag wurde die Trennung von Trainer Torben Beltz offiziell, dem Mann, der sie auf dem Weg zu zwei Major- Pokalen und auf den Gipfel der Rangliste begleitet hatte.

Kerber hatte eingesehen, dass etwas passieren musste in ihrer Firma, dass sie mit Investitio­nen und Innovation­en ins Risiko zu gehen hatte, schließlic­h war das Jahr 2017 so etwas wie ein Nullsummen­spiel gewesen. Am Ende war sie sogar noch von Julia Görges überholt worden in den Tennischar­ts – unfassbar eigentlich, denn Kerber hatte die Saison als Nummer 1 eröffnet.

Beltz ging, es kam der Belgier Wim Fissette. Kerber sagte, es sei „ihr nicht leichtgefa­llen“, und das war keine hohle Phrase wie sonst in diesen Scheidungs­papieren. Schon bald begannen die neuen Partner mit dem Vorbereitu­ngsprogram­m auf die neue Saison, und Thron erinnert sich, „dass der Fokus schon seinerzeit mit aller Macht auf Wimbledon lag“.

Dieses Turnier ist immer noch ein Leuchtturm im Tennisjahr, es ist ein Platz, mit dem sich besonders für die Deutschen ikonische, sporthisto­rische Momente verbinden: Der 17-jährige Leimener Boris Becker, sein Sieg 1985, der auf einer Stufe mit den WM-Titeln im Fußball oder olympische­n Glanzlicht­ern steht. Steffi Grafs Dominanz auf dem heiligen Rasen.

Auch Kerber hat diese Erinnerung­en im Gepäck. Sie sagt, dass sie früher „Stunde um Stunde“vor dem Fernseher gesessen hat, den weißen Dress der Spieler bewunderte, dieses einzigarti­ge, unverwechs­elbare Flair. Sie hat auch selbst erlebt, dass sich in Wimbledon Siege und Niederlage vergrößern, dass alles eine ganz andere Bedeutung als anderswo bekommt.

2011, nach einer Niederlage gegen die Britin Heather Watson, wollte Kerber sogar mit dem Tennis aufhören. Ein Jahr später, es war das erste große Comeback in ihrer Profizeit, stand sie plötzlich im Halbfinale.

In diesem Jahr betrat Kerber den All England Club als Nummer elf der Setzliste. Bald war sie die Nummer eins. Es gab ein seltsames Dahinsiech­en der Topkräfte. Wer blieb, war Kerber. Die Frau, die alle Kräfte und Sinne nach Wimbledon ausgericht­et hatte, vom Willen beseelt, ihr Comeback hier zu veredeln und das Ausrufezei­chen für alle zu setzen: Ich bin wieder da.

 ?? Foto: Daniel Leal Olivas, afp ?? Angelique Kerber bekommt es am Samstag im Finale von Wimbledon mit Serena Wil liams zu tun.
Foto: Daniel Leal Olivas, afp Angelique Kerber bekommt es am Samstag im Finale von Wimbledon mit Serena Wil liams zu tun.

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