Unterwegs in stürmischen Zeiten
In drei Monaten ist Landtagswahl. Ob der neue Finanzstaatssekretär Hans Reichhart danach dem Kabinett angehört, ist ungewiss. Was tut der Mann? Wir haben ihn einen Tag begleitet
München Hans Reichharts Fahrer hat viele Minister und Staatssekretäre kommen und gehen sehen. Vor 20 Jahren hat ihm Joachim Hermann, heute bayerischer Innenminister, den Fahrerjob angeboten. Nun fährt er durch Jettingen-Scheppach, er chauffiert den Staatssekretär Reichhart durch den Freistaat. Jeden Tag holt er ihn zu Hause ab. Er parkt vor einem weißen Haus, dessen unscheinbares Äußeres nicht zu dem Wagen passt, der nun vor ihm steht. Der Fahrer stellt den Motor aus, blickt auf die Mittelkonsole und vergewissert sich, dass er pünktlich ist. 7.20 Uhr – alles in Ordnung. Noch ist der Staatssekretär nicht in Sicht, doch die Haustür steht bereits offen. Um die Zeit zu vertreiben, blättert der Chauffeur mit seinem Finger auf einem Touchscreen, die Lüftung springt an. „Riechen Sie das?“, fragt er und schmunzelt. Im beigen Wageninneren duftet es plötzlich, als spaziere man über eine Blumenwiese – die Belüftungstechnik mischt Parfüm in den Luftstrom. Dass Reichhart von solcher Extravaganz wenig hält, zeigt sich im späteren Verlauf des Tages.
Er erscheint mit Aktentasche und Ordner unter dem Arm an der Türschwelle des Einfamilienhauses. Der Fahrer steigt aus, öffnet ihm die Tür. Erste Station: Waltenhofen im Oberallgäu. Der Staatssekretär wird dort einen Förderbescheid über 2,5 Millionen Euro für die Sanierung der Schule übergeben, ein zweiter mit dem gleichen Betrag soll später folgen. Diese Förderungen fallen in Reichharts Ressort, gehören zum kommunalen Finanzausgleich und belaufen sich dieses Jahr auf 9,5 Milliarden Euro. „Der Freistaat fördert damit zum Beispiel den Bau von Kindergärten und Schulen.“
Kurz vor der Ankunft kramt er eine Krawatte aus seiner Tasche und bindet sie. Dann blättert er durch einen Stapel Papier, um sich auf das Grußwort vorzubereiten. An der Schule wird schon gebaut. Der Staatssekretär läuft über Bauschutt zum Haupteingang. In der Aula angekommen, hält Reichharts eine Hand den Förderbescheid, während die andere Hände schüttelt. „Es war die richtige Entscheidung, die Schule zu erhalten“, sagt er den Gästen. Auf seinen Merkzettel schaut er nicht, während er spricht. Nach der Übergabe wechselt er mit dem Bürgermeister noch einige Worte unter vier Augen, dann verlässt Reichhart die Schule auf der anderen Seite, der Fahrer hat mittlerweile dort geparkt.
Der nächste Termin steht an, es liegen noch 140 Kilometer zwischen Waltenhofen und dem Ministerium in München. Reichhart nimmt auf der Rückbank Platz und entschuldigt sich für einen Moment. Zwei Smartphones liegen in der Ablage neben seinem Sitz. Sein Diensthandy ist auf dem aktuellen Stand der Technik, die ersten 100 Tage haben keine Spuren hinterlassen. Von dem anderen, seinem Privathandy, kann man das nicht behaupten. Das Display ist von Rissen durchzogen. Er ruft seine Frau an, die zu Besuch bei seinen Schwiegereltern ist: „Ich will kurz Guten Morgen sagen.“
Seit 2013 ist Reichhart Vorsitzender der Jungen Union (JU) in Bayern. Im November vergangenen Jahres, gerade spitzte sich der CSUStreit zwischen Horst Seehofer und Markus Söder um den Posten des Ministerpräsidenten während der Jamaika-Verhandlungen in Berlin zu, geriet auch Reichhart in den Machtkampf zwischen dem damaligen Amtsinhaber und demjenigen, der das Amt unbedingt haben wollte. Bei der Landesversammlung der JU reichten Mitglieder einen Antrag ein, der einen „personellen Neuanfang“für die Landtagswahl von der Mutterpartei CSU forderte. Bis die JU den Antrag mit großer Mehrheit beschloss, hatte sich Reichhart nicht zu der Personaldebatte geäußert. „Natürlich habe ich als Vorsitzender den Beschluss vertreten“, sagt Reichhart heute. Dafür hat sich Söder vor wenigen Wochen bei seiner Bierzelt-Rede in Echlishausen süffisant bedankt: Man sehe, was einer werden könne, wenn er an der richtigen Stelle ein Schild hochhebe, sagte er sinngemäß und machte sich damit indirekt über die Kritik der Opposition angesichts der Reichhart-Personalie lustig.
Meist hat der Staatssekretär ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Bei diesem Thema nicht. Ob er nicht unter extremem Druck stand, als er mitten ins Kräftemessen Seehofers und Söders geraten ist? „Ja, natürlich, wir standen alle unter Druck“, antwortet er. Bevor die Frage, wie sich das Ergebnis auf seine politische Karriere ausgeübt hat, beendet ist, antwortet er bestimmt: „Ich denke nicht, dass ich wegen dieser Ereignisse hier sitze.“
Um 11.30 Uhr steht der Wagen vor dem Finanzministerium. Reichhart steigt die Treppen in den ersten Stock hinauf, vorbei am Büro des Ministers. Mit gezielten Schritten geht er durch den von Marmor gesäumten Türbogen und sein Vorzimmer an den Schreibtisch. Direkt vor dem Fenster seines Büros steht die Reiterstatue König Ludwigs I. auf dem Odeonsplatz. „Eine tolle Aussicht“, sagt er und überlegt kurz. „Ehrlich gesagt habe ich aber noch nicht oft rausgeschaut.“Eine Mitarbeiterin kommt ins Büro. Sie richtet eine Nachricht von der Sekretärin eines anderen Büros aus. Reichhart schüttelt den Kopf. „Richten sie ihr aus, ...“, sagt er und stockt. „Richten sie ihr nichts aus, ich rufe später selbst an.“Viele nennen den Staatssekretär „Hansi“Reichhart, auch um ihn von seinem Vater und Bürgermeister JettingenScheppachs Hans Reichhart zu unterscheiden. Doch an dieser Stelle ist klar: Reichhart ist hier der Chef, im Organigramm des Ministeriums steht nur der Minister über ihm.
Statt einer Mittagspause muss Reichhart in ein Münchner Hotel, um vor Vertretern der Energiebranche einen Vortrag zu halten. Er steigt aus dem Dienstwagen, sein Büroleiter, ein Pressesprecher und eine Praktikantin folgen ihm.
Im Anschluss hat er einen Termin in der CSU-Zentrale. Die Zeit drängt: Kurz bevor eine Ampel auf Rot schaltet, tritt der Fahrer aufs Gaspedal und schafft es noch knapp. Reichhart trifft Generalsekretär Markus Blume, um die Wahlkampfstrategie zu besprechen. Intern, versteht sich. Nur so viel verrät er: „Es geht um die Verzahnung der CSU mit der JU.“Den Wagen wechselt er nicht, die Rolle schon, denn als Staatssekretär muss er parteineutral sein. „Ich bin bei dieser Trennung sehr genau“, sagt er. Tatsächlich beginnt er an diesem Tag viele Sätze mit der Funktion, in der er sie sagt: Parteifunktionär oder Kabinettsmitglied.
Derzeit liegt das Augenmerk des Staatssekretärs nach eigenen Worten auf der „Digitalisierung der Verwaltung“. Das Vorhaben erklärt er so: „Wir haben 570 Einzelvorgänge identifiziert, bei denen Bürger in Kontakt mit Behörden treten.“Dieser Kontakt soll künftig überall in Deutschland digital möglich sein, egal, ob man sich als Einwohner meldet oder seinen Hund für die Hundesteuer registriert. Vorerst seien 42 dieser Vorgänge „prioritär“. Sie sollen in Bayern bis 2020 digital möglich sein. Das war auch im politischen Berlin immer wieder ein Thema. Zwei Mal ist er in dieser Woche in die Bundeshauptstadt und wieder zurück geflogen. Auf die Frage, ob er sich eine politische Zukunft dort vorstellen kann, überlegt er nicht lange: „Ich würde nie nach Berlin wollen.“
Als nächstes großes Projekt nennt Reichhart die Unternehmenssteuern: „Nach den Senkungen im Ausland überlegen wir, ob auch bei uns Anpassungen notwendig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt er. Dabei gibt es durchaus Gründe, die gegen Steuersenkungen sprechen: In den USA sollen Unternehmen künftig 21, in Frankreich 25 Prozent Steuern zahlen. Schon jetzt liegt die Steuerlast für Unternehmen in Deutschland in manchen Regionen unter 23 Prozent, wie die Deutsche Presseagentur berichtet. Im Bundes durchschnitt liegt sie unter 30 Prozent.
Zurück im Ministerium beginnt der vierte und letzte Termin dieses Tages – erneut hinter verschlossenen Türen. Es geht um die Messe Nürnberg, die zu knapp 50 Prozent dem Freistaat gehört. Reichhart sitzt im Aufsichtsrat. Finanzminister Albert Füracker ist der Besprechung per Video zugeschaltet.
Von Mitarbeitern ist zu hören, dass der junge Staatssekretär durchaus aufgefallen ist, als er vor über 100 Tagen ins Ministerium kam. Normalerweise durchlaufen Dokumente einige Etagen im Staats ministerium, vom Sachbearbeiter zum Staatssekretär und Minister. Taucht eine Frage auf, geht es zurück in die andere Richtung. Stattdessen greift Reichhart zum Hörer und ruft den zuständigen Sachbearbeiter selbst an. „Das kommt bei den Mitarbeitern sehr gut an“, sagt ein Beamter. Auch bei anderen Dingen ist er pragmatisch: Es gebe die Möglichkeit, dass Politiker am Flughafen per „VIP-Abfertigung“in den Flieger steigen, sagt ein Mitarbeiter. So sparen sie sich den Check-in und sitzen nach Minuten im Flieger. Dieses Extra koste 400 Euro pro Flug. „Der Chef möchte das nicht.“
Ein Abendtermin fällt überraschend aus, deshalb ist an diesem Tag um 16.30 Uhr Schluss, ungewöhnlich früh. Doch auch am Wochenende ist Reichharts Kalender voller Termine. Der letzte freie Tag? „Der ist lange her“, sagt er. Ganz ohne Termine, ohne Anruf – das gebe es nur an einem Sonntag im Urlaub. „Ich denke, es ist bei jedem so, dass er anfangs in einem neuen Job mehr arbeitet.“Auch nach seinen Erfahrungen in den ersten 100 Tagen würde Reichhart das Amt wieder antreten. „Es macht einfach Spaß, so viel gestalten zu können.“
Die Limousine bleibt nun in der Tiefgarage des Ministeriums. Reichhart nimmt den Zug, um seine Frau und die beiden Kinder bei seinen Schwiegereltern abzuholen. Das ganze Gezerre in Berlin um die Flüchtlings politik, die scharfen Töne des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer an die Adresse der Kanzlerin, der von ihm angekündigte und wieder zurückgenommene Rücktritt hinterlässt auch in München und im Kreis Günzburg Spuren drei Monate vor der Landtagswahl. Es geht aus Sicht der CSU um den Erhalt ihrer politischen Macht – und da sam besten ohne Koalitionspartner. Im Heimat wahlkreis kann der CSU-Kreis tags fraktionsvorsitzende Reichhart durchschnaufen. Sachpolitik für „unseren Landkreis Günzburg“, sagt er, tue nach all den Aufgeregtheiten der vergangenen Tage richtig gut.
„Ich denke nicht, dass ich wegen dieser Ereignisse hier sitze.“Staatssekretär und JU Landesvorsitzender Hans Reichhart über das massive Eintreten der Jungen Union für Markus Söder