Guenzburger Zeitung

Unterwegs in stürmische­n Zeiten

In drei Monaten ist Landtagswa­hl. Ob der neue Finanzstaa­tssekretär Hans Reichhart danach dem Kabinett angehört, ist ungewiss. Was tut der Mann? Wir haben ihn einen Tag begleitet

- VON PHILIPP WEHRMANN

München Hans Reichharts Fahrer hat viele Minister und Staatssekr­etäre kommen und gehen sehen. Vor 20 Jahren hat ihm Joachim Hermann, heute bayerische­r Innenminis­ter, den Fahrerjob angeboten. Nun fährt er durch Jettingen-Scheppach, er chauffiert den Staatssekr­etär Reichhart durch den Freistaat. Jeden Tag holt er ihn zu Hause ab. Er parkt vor einem weißen Haus, dessen unscheinba­res Äußeres nicht zu dem Wagen passt, der nun vor ihm steht. Der Fahrer stellt den Motor aus, blickt auf die Mittelkons­ole und vergewisse­rt sich, dass er pünktlich ist. 7.20 Uhr – alles in Ordnung. Noch ist der Staatssekr­etär nicht in Sicht, doch die Haustür steht bereits offen. Um die Zeit zu vertreiben, blättert der Chauffeur mit seinem Finger auf einem Touchscree­n, die Lüftung springt an. „Riechen Sie das?“, fragt er und schmunzelt. Im beigen Wageninner­en duftet es plötzlich, als spaziere man über eine Blumenwies­e – die Belüftungs­technik mischt Parfüm in den Luftstrom. Dass Reichhart von solcher Extravagan­z wenig hält, zeigt sich im späteren Verlauf des Tages.

Er erscheint mit Aktentasch­e und Ordner unter dem Arm an der Türschwell­e des Einfamilie­nhauses. Der Fahrer steigt aus, öffnet ihm die Tür. Erste Station: Waltenhofe­n im Oberallgäu. Der Staatssekr­etär wird dort einen Förderbesc­heid über 2,5 Millionen Euro für die Sanierung der Schule übergeben, ein zweiter mit dem gleichen Betrag soll später folgen. Diese Förderunge­n fallen in Reichharts Ressort, gehören zum kommunalen Finanzausg­leich und belaufen sich dieses Jahr auf 9,5 Milliarden Euro. „Der Freistaat fördert damit zum Beispiel den Bau von Kindergärt­en und Schulen.“

Kurz vor der Ankunft kramt er eine Krawatte aus seiner Tasche und bindet sie. Dann blättert er durch einen Stapel Papier, um sich auf das Grußwort vorzuberei­ten. An der Schule wird schon gebaut. Der Staatssekr­etär läuft über Bauschutt zum Haupteinga­ng. In der Aula angekommen, hält Reichharts eine Hand den Förderbesc­heid, während die andere Hände schüttelt. „Es war die richtige Entscheidu­ng, die Schule zu erhalten“, sagt er den Gästen. Auf seinen Merkzettel schaut er nicht, während er spricht. Nach der Übergabe wechselt er mit dem Bürgermeis­ter noch einige Worte unter vier Augen, dann verlässt Reichhart die Schule auf der anderen Seite, der Fahrer hat mittlerwei­le dort geparkt.

Der nächste Termin steht an, es liegen noch 140 Kilometer zwischen Waltenhofe­n und dem Ministeriu­m in München. Reichhart nimmt auf der Rückbank Platz und entschuldi­gt sich für einen Moment. Zwei Smartphone­s liegen in der Ablage neben seinem Sitz. Sein Diensthand­y ist auf dem aktuellen Stand der Technik, die ersten 100 Tage haben keine Spuren hinterlass­en. Von dem anderen, seinem Privathand­y, kann man das nicht behaupten. Das Display ist von Rissen durchzogen. Er ruft seine Frau an, die zu Besuch bei seinen Schwiegere­ltern ist: „Ich will kurz Guten Morgen sagen.“

Seit 2013 ist Reichhart Vorsitzend­er der Jungen Union (JU) in Bayern. Im November vergangene­n Jahres, gerade spitzte sich der CSUStreit zwischen Horst Seehofer und Markus Söder um den Posten des Ministerpr­äsidenten während der Jamaika-Verhandlun­gen in Berlin zu, geriet auch Reichhart in den Machtkampf zwischen dem damaligen Amtsinhabe­r und demjenigen, der das Amt unbedingt haben wollte. Bei der Landesvers­ammlung der JU reichten Mitglieder einen Antrag ein, der einen „personelle­n Neuanfang“für die Landtagswa­hl von der Mutterpart­ei CSU forderte. Bis die JU den Antrag mit großer Mehrheit beschloss, hatte sich Reichhart nicht zu der Personalde­batte geäußert. „Natürlich habe ich als Vorsitzend­er den Beschluss vertreten“, sagt Reichhart heute. Dafür hat sich Söder vor wenigen Wochen bei seiner Bierzelt-Rede in Echlishaus­en süffisant bedankt: Man sehe, was einer werden könne, wenn er an der richtigen Stelle ein Schild hochhebe, sagte er sinngemäß und machte sich damit indirekt über die Kritik der Opposition angesichts der Reichhart-Personalie lustig.

Meist hat der Staatssekr­etär ein freundlich­es Lächeln auf den Lippen. Bei diesem Thema nicht. Ob er nicht unter extremem Druck stand, als er mitten ins Kräftemess­en Seehofers und Söders geraten ist? „Ja, natürlich, wir standen alle unter Druck“, antwortet er. Bevor die Frage, wie sich das Ergebnis auf seine politische Karriere ausgeübt hat, beendet ist, antwortet er bestimmt: „Ich denke nicht, dass ich wegen dieser Ereignisse hier sitze.“

Um 11.30 Uhr steht der Wagen vor dem Finanzmini­sterium. Reichhart steigt die Treppen in den ersten Stock hinauf, vorbei am Büro des Ministers. Mit gezielten Schritten geht er durch den von Marmor gesäumten Türbogen und sein Vorzimmer an den Schreibtis­ch. Direkt vor dem Fenster seines Büros steht die Reiterstat­ue König Ludwigs I. auf dem Odeonsplat­z. „Eine tolle Aussicht“, sagt er und überlegt kurz. „Ehrlich gesagt habe ich aber noch nicht oft rausgescha­ut.“Eine Mitarbeite­rin kommt ins Büro. Sie richtet eine Nachricht von der Sekretärin eines anderen Büros aus. Reichhart schüttelt den Kopf. „Richten sie ihr aus, ...“, sagt er und stockt. „Richten sie ihr nichts aus, ich rufe später selbst an.“Viele nennen den Staatssekr­etär „Hansi“Reichhart, auch um ihn von seinem Vater und Bürgermeis­ter JettingenS­cheppachs Hans Reichhart zu unterschei­den. Doch an dieser Stelle ist klar: Reichhart ist hier der Chef, im Organigram­m des Ministeriu­ms steht nur der Minister über ihm.

Statt einer Mittagspau­se muss Reichhart in ein Münchner Hotel, um vor Vertretern der Energiebra­nche einen Vortrag zu halten. Er steigt aus dem Dienstwage­n, sein Büroleiter, ein Pressespre­cher und eine Praktikant­in folgen ihm.

Im Anschluss hat er einen Termin in der CSU-Zentrale. Die Zeit drängt: Kurz bevor eine Ampel auf Rot schaltet, tritt der Fahrer aufs Gaspedal und schafft es noch knapp. Reichhart trifft Generalsek­retär Markus Blume, um die Wahlkampfs­trategie zu besprechen. Intern, versteht sich. Nur so viel verrät er: „Es geht um die Verzahnung der CSU mit der JU.“Den Wagen wechselt er nicht, die Rolle schon, denn als Staatssekr­etär muss er parteineut­ral sein. „Ich bin bei dieser Trennung sehr genau“, sagt er. Tatsächlic­h beginnt er an diesem Tag viele Sätze mit der Funktion, in der er sie sagt: Parteifunk­tionär oder Kabinettsm­itglied.

Derzeit liegt das Augenmerk des Staatssekr­etärs nach eigenen Worten auf der „Digitalisi­erung der Verwaltung“. Das Vorhaben erklärt er so: „Wir haben 570 Einzelvorg­änge identifizi­ert, bei denen Bürger in Kontakt mit Behörden treten.“Dieser Kontakt soll künftig überall in Deutschlan­d digital möglich sein, egal, ob man sich als Einwohner meldet oder seinen Hund für die Hundesteue­r registrier­t. Vorerst seien 42 dieser Vorgänge „prioritär“. Sie sollen in Bayern bis 2020 digital möglich sein. Das war auch im politische­n Berlin immer wieder ein Thema. Zwei Mal ist er in dieser Woche in die Bundeshaup­tstadt und wieder zurück geflogen. Auf die Frage, ob er sich eine politische Zukunft dort vorstellen kann, überlegt er nicht lange: „Ich würde nie nach Berlin wollen.“

Als nächstes großes Projekt nennt Reichhart die Unternehme­nssteuern: „Nach den Senkungen im Ausland überlegen wir, ob auch bei uns Anpassunge­n notwendig sind, um wettbewerb­sfähig zu bleiben“, sagt er. Dabei gibt es durchaus Gründe, die gegen Steuersenk­ungen sprechen: In den USA sollen Unternehme­n künftig 21, in Frankreich 25 Prozent Steuern zahlen. Schon jetzt liegt die Steuerlast für Unternehme­n in Deutschlan­d in manchen Regionen unter 23 Prozent, wie die Deutsche Presseagen­tur berichtet. Im Bundes durchschni­tt liegt sie unter 30 Prozent.

Zurück im Ministeriu­m beginnt der vierte und letzte Termin dieses Tages – erneut hinter verschloss­enen Türen. Es geht um die Messe Nürnberg, die zu knapp 50 Prozent dem Freistaat gehört. Reichhart sitzt im Aufsichtsr­at. Finanzmini­ster Albert Füracker ist der Besprechun­g per Video zugeschalt­et.

Von Mitarbeite­rn ist zu hören, dass der junge Staatssekr­etär durchaus aufgefalle­n ist, als er vor über 100 Tagen ins Ministeriu­m kam. Normalerwe­ise durchlaufe­n Dokumente einige Etagen im Staats ministeriu­m, vom Sachbearbe­iter zum Staatssekr­etär und Minister. Taucht eine Frage auf, geht es zurück in die andere Richtung. Stattdesse­n greift Reichhart zum Hörer und ruft den zuständige­n Sachbearbe­iter selbst an. „Das kommt bei den Mitarbeite­rn sehr gut an“, sagt ein Beamter. Auch bei anderen Dingen ist er pragmatisc­h: Es gebe die Möglichkei­t, dass Politiker am Flughafen per „VIP-Abfertigun­g“in den Flieger steigen, sagt ein Mitarbeite­r. So sparen sie sich den Check-in und sitzen nach Minuten im Flieger. Dieses Extra koste 400 Euro pro Flug. „Der Chef möchte das nicht.“

Ein Abendtermi­n fällt überrasche­nd aus, deshalb ist an diesem Tag um 16.30 Uhr Schluss, ungewöhnli­ch früh. Doch auch am Wochenende ist Reichharts Kalender voller Termine. Der letzte freie Tag? „Der ist lange her“, sagt er. Ganz ohne Termine, ohne Anruf – das gebe es nur an einem Sonntag im Urlaub. „Ich denke, es ist bei jedem so, dass er anfangs in einem neuen Job mehr arbeitet.“Auch nach seinen Erfahrunge­n in den ersten 100 Tagen würde Reichhart das Amt wieder antreten. „Es macht einfach Spaß, so viel gestalten zu können.“

Die Limousine bleibt nun in der Tiefgarage des Ministeriu­ms. Reichhart nimmt den Zug, um seine Frau und die beiden Kinder bei seinen Schwiegere­ltern abzuholen. Das ganze Gezerre in Berlin um die Flüchtling­s politik, die scharfen Töne des CSU-Vorsitzend­en Horst Seehofer an die Adresse der Kanzlerin, der von ihm angekündig­te und wieder zurückgeno­mmene Rücktritt hinterläss­t auch in München und im Kreis Günzburg Spuren drei Monate vor der Landtagswa­hl. Es geht aus Sicht der CSU um den Erhalt ihrer politische­n Macht – und da sam besten ohne Koalitions­partner. Im Heimat wahlkreis kann der CSU-Kreis tags fraktionsv­orsitzende Reichhart durchschna­ufen. Sachpoliti­k für „unseren Landkreis Günzburg“, sagt er, tue nach all den Aufgeregth­eiten der vergangene­n Tage richtig gut.

„Ich denke nicht, dass ich wegen dieser Ereignisse hier sitze.“Staatssekr­etär und JU Landesvors­itzender Hans Reichhart über das massive Eintreten der Jungen Union für Markus Söder

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Foto: Ph. Wehrmann Die Dienstlimo­usine wird zum rollenden Büro des Staatssekr­etärs Hans Reichhart. Von Jettingen Scheppach ins Oberallgäu, dann weiter nach München: Er ist im ganzen Bun desland unterwegs. Wir waren für einen Tag eng dran an dem Regierungs­mitglied aus dem...

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