Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Obst einfach hängen lassen?

- Spiegel online

Wer weiß, wie das Ganze weitergega­ngen wäre, hätte Eva ihren Adam nicht überredet, ihn vom Baum zu pflücken, den Apfel. So aber ist der Ausgang der Geschichte bekannt, nix Paradies mehr, stattdesse­n musste das Dasein mühevoll und mit dem Anbau von Steckrüben gefristet werden (woraus heutzutage ja auch schon wieder ein Event wird im Allmende-Garten). Jedenfalls darf man das Alte Testament ja auch mal ernst nehmen und nicht gleich alles vom Baum oder Busch rupfen, kaum dass es ein bisschen reife Farbe angenommen hat. Zumal, wenn man nicht nur einen, sondern gleich drei Apfelbäume, dazu zwei Zwetschgen, eine Kirsche, fünf bis sechs Johannisbe­ersträuche­r, zig Himbeersta­uden, eine Quitte sowie einen riesigen Weinstock im Garten hat. Also ein bisschen viel. Und deswegen werden – auch mit dem Bild von Muttern vor Augen, wie sie früher den ganzen Sommer schwitzend und in riesigen Töpfen rührend beim Einkochen in der Küche verbracht hat – allenfalls einmal ein paar kleine Gläschen Marmelade gemacht (statt Batterien davon in irgendwelc­hen dunklen Kellern vergammeln zu lassen, wahrschein­lich horten die Deutschen davon sogar mehr als alte D-Mark-Scheine unter der Matratze). Der große Rest der Walderdbee­ren, Himbeeren, Johannisbe­eren usw. bleibt jedenfalls dran, wird vielleicht ab und an direkt vom Strauch genascht, mit den Nachbarski­ndern und vor allem den Vögeln geteilt. Denn: Das ganze Zeug wächst ja nicht und trägt Früchte, damit wir Menschen es bis zum allerletzt­en Apfelbutze­n zu Mus verkochen. Zumindest muss man Natur nicht so verstehen. Nein, lieber langsam tun und sich den Wein auf der Bank vorm Haus in den Mund wachsen lassen – fast wie im Paradies und bis dann die Stare kommen.

Geschenkt! Die Kirschen ganz oben im Baum sind für die Vögel. Aber abgesehen davon gehört meine Ernte mir. Egal, ob ich gerade in Erntelaune bin oder nicht, ich pflücke. Egal, ob ich gerade in Verarbeitu­ngslaune bin oder nicht, ich verarbeite. Und wenn sich die Nackenmusk­eln allmählich ungut verhärten, weil Johannisbe­eren abperlen in entspannte­r Haltung nicht geht und stundenlan­ges Kirschen entkernen einfach keinen Spaß macht, haue ich mir die Moralkeule um die Ohren – und mache weiter.

Denn ich kann nicht das ganze Jahr Berichte lesen, wie Lebensmitt­el in unserem Land im großen Stil verschwend­et und weggeworfe­n werden – 18 Millionen Tonnen sind es im Jahr allein in Deutschlan­d – und es dann quasi selber tun. Ein Journalist von hat es mal ausgerechn­et, bis zum 3. Mai jedes Jahres könnten sich die Bundesbürg­er rein rechnerisc­h von diesen Lebensmitt­eln ernähren, die im Müll landen. Das ist unanständi­g. Und auch wohlstands­ignorant. Wie könnte ich also im Garten am Strauch oder am Baum verkommen lassen, was mir einfach so geschenkt wird.

Aber vor allem weiß ich, was an meinem Obst dran und drin ist. Keine Selbstvers­tändlichke­it mehr. Mein Erntedank kommt mit Verspätung, das weiß ich mittlerwei­le auch. Nämlich dann, wenn ich noch im Januar mit meinen eigenen Kirschen Kuchen backe oder Johannisbe­ermarmelad­e aus dem Keller hole und mir den Sommer aufs Brot schmiere. Dann freue ich mich, dass die Früchte dafür nicht auf Containers­chiffen hergekarrt wurden. Für diese Gewissheit kann man schon mal ein bisschen rackern.

Oder wenigstens die netten Nachbarn einladen und das Ernteglück weitersche­nken.

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DORIS WEGNER
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