Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (118)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Projekt Guttenberg
Na, die eine Nacht geht es schon mal. Ich gebe Ihnen eine Decke mehr. Wollen Sie noch was essen? Einen Kanten Brot kann ich Ihnen geben. Suppe ist schon verteilt. Legen Sie alles aus den Taschen raus. So. In fünf Minuten hole ich Hosenträger und Schlips und mache das Licht aus. Ein bißchen dalli also!“
Es ist nicht ganz dunkel in der Zelle, dieser Eisgruft. Die Hoflampe wirft einen fahlen Schein gegen die Decke. Kufalt hockt, vor Kälte am ganzen Leibe zitternd, auf seinem Lager und starrt gegen die graue Wand.
,Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen aus! Was macht Ihnen schon eine Nacht im Kittchen aus! Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus!‘
Eine unsägliche Wut erfüllt ihn. Nein, es ist nicht nur die Kälte, die ihn so zittern macht.
,Wartet nur, wenn ich wieder raus bin, ihr sollt sehen!“
Und immer wieder: ,Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon
aus!‘ Später hört er die Feuerwehr klingeln.
,Ja, das wäre schon das Richtige, Bruhn hat ganz recht: alles abbrennen … totschlagen muß man euch alle, ihr Speckjäger! Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus…‘
6
Die Feuerwehr, die Kufalt hatte klingeln hören, fuhr zur Holzwarenfabrik. Es brannte. Ja, nun brannte es – und einen langen, bitteren Weg hatte der kleine, seehundsköpfige, gutmütige Emil Bruhn gehen müssen, bis es zu diesem Brande kam, seinetwegen, aber nicht durch ihn.
Allerdings hatte er sich geirrt, damals, als er erzählte, die Werkleitung hielte ihn wegen seiner Äußerung über leicht brennbare Holzwarenfabriken. Nein, so etwas und ähnliches hörte man dort nicht allzu selten, Hunde, die bellen, beißen nicht, und für den schlimmsten Fall war man ausreichend versichert.
Nein, man hielt ihn allein darum, weil er wirklich ein außergewöhnlich tüchtiger Arbeiter war, dazu noch ein Wühler, Roboter, wie er sich selbst genannt hatte. Einen Antreiber wie ihn – noch dazu einen so billigen – fand man in zehn Jahren nicht wieder!
Bedenklich wurde die Sache erst, als sein Saal wirklich anfing, schlecht abzuliefern, als man auf die von Bruhn organisierte Sabotage der Arbeit stieß.
Damals hatte Bruhn wirklich direkt vor einem Hinauswurf gestanden. Aber immer wieder hemmte der Gedanke an den wirklich unersetzbaren Arbeiter. Es mußte doch möglich sein, diesen Kerl klein zu kriegen!
Es war ein Buchhalter, ein galliger, gelber, älterer Lohnbuchhalter, der den Vorschlag machte, Bruhns Lebenslauf seinen Arbeitskollegen bekanntzugeben, ihn dadurch zu isolieren und auf die Werkleitung als seinen einzigen Schutz zu verweisen. Zur Ehre der Firma Steguweit muß gesagt werden, daß dieser Vorschlag abgelehnt wurde. Man kannte den Buchhalter, der, niedrig bezahlt, von einem grimmigen Haß gegen jeden gut verdienenden Arbeiter, dessen Lohn er auch noch errechnen mußte, erfüllt war. Man amüsierte sich über ihn und behielt ihn, weil man bei ihm vollkommen sicher war, es wurde kein Pfennig zuviel ausbezahlt. Aber so etwas wollte man nun doch nicht.
Statt dessen besann man sich auf einen gewissen polnischen Wanderarbeiter Kania, der an der Hobelmaschine ein nicht völlig ausgenutztes Dasein führte, Kania, gegen Vorgesetzte schmeichlerisch, devot, zu jedem Dienst und jeder unbezahlten Überstunde bereit, haßte niemanden so sehr wie seine eigenen Arbeitskollegen, die er als dumm, nicht strebsam und untüchtig verachtete. Immer bereit, sie zu denunzieren, ihnen Schaden zuzufügen, war er der geborene Vorarbeiter, der an nichts als an seine Fabrik und damit an sein Vorwärtskommen denkt, bis er dermaleinst sein Ideal einer Zweizimmerwohnung mit Radio und Plüsch erreicht hat.
Ihn dem Bruhn vor die Nase zu setzen und die beiden zu einem irren Wettstreit anzutreiben, würde im Interesse der Arbeit das Bekömmlichste sein.
Leider kamen beide Pläne zur Ausführung, und zwar der des galligen Lohnbuchhalters noch eher als der der Werkleitung. Dem Zahlenknecht hatte es keine Ruhe gelassen, daß sein ausgezeichneter Vorschlag abgelehnt worden war. Heimlich hetzte er die Arbeiter gegen Bruhn. Der aber ergab sich nicht. Ja, es glückte ihm sogar, eine kleine Gruppe in der Werkstatt zu bilden, die auf seiner Seite stand und der größeren Partei der Lästerer alles zuleide tat, was nur möglich war. Die Stunden, die früher dem emsigen Zusammenschlagen von Fallennestern gewidmet waren, galten jetzt nur dann dieser Beschäftigung, wenn gerade das Auge eines Werkmeisters auf der Belegschaft ruhte. Kaum kehrte der Mann den Rücken, begannen die Feindseligkeiten neu, die bis zum Aufbrechen von Kleiderschränken und zum Verwüsten ihres Inhaltes gingen, bis zum Beschädigen der Transmissionsleitungen, damit der Gegner von einem schlagenden Riemen erwischt und ins Getriebe gezogen wurde. Hämmer flogen unversehens durch die Luft, und das Schimpfwort „Raubmörder“, halblaut gesagt, genügte, um eine Schlacht zu entfesseln.
Dazu kamen ständige Petitionen der stärkeren Gruppe an die Werkleitung, den ,Raubmörder‘ sofort zu entlassen. Blessuren wurden gezeigt – er hatte sie hervorgerufen. Geld fehlte – er hatte es gestohlen. Anzüge waren von Säure zerfressen – er allein besaß eine Säureflasche.
Da erschien Kania in der Werkstatt. Kania war kein beliebiger Arbeiter, der bei den Fallennestern beschäftigt wurde, mit Kania hatte die Werkleitung etwas vor, das wußte der ganze Nestersaal sofort. Was – darüber gingen die Ansichten auseinander, aber daß es sich um Bruhn handelt, darüber waren sich alle klar.
Kania trat auf, und damit kam es vorerst einmal zu der von der Werkleitung lange ersehnten Beruhigung. Beide Parteien warteten ab. War Kania einfach ein Aufpasser, der alles, was gesagt und getan wurde, der Leitung melden würde? Oder war er mehr? Er war jedenfalls ein bescheidener Mensch. Er kam von der Hobelmaschine, er verstand nichts von Fallennestern, die Kunst, Nägel im Akkord in Bretter zu treiben, war ihm fremd. Er püttjerte so herum, schielte rechts, schielte links – „Der macht pro Tag ein Fallennest“, schrie einer und alle lachten. Kania lachte auch. Zur Mittagspause hatte Kania sein erstes Fallennest fertig. „Ausschuß, zurück!“sagte der Werkmeister, und Kania lächelte bescheiden.
Sofort war man sich einig, mit Kania war nichts los, und am nächsten Tage schon war er eine gewohnte Sache. Beim Regal für die Nägel gerieten Willi Blunck und Ernst Holtmann aneinander.
„Brauchst mir auch nicht auf die Zehen zu pedden!“
„Wer peddet auf die Zehen? Du oder ich?“»119. Fortsetzung folgt