Guenzburger Zeitung

Was der Digitalrat bewegen will

Die Diagnose ist klar: Deutschlan­d hinkt der Entwicklun­g hinterher. Experten sollen die Bundesregi­erung beraten. Doch für das neue Gremium gibt es nicht nur Vorschussl­orbeeren

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Berlin Die Digitalisi­erung ist eine der großen Herausford­erungen für Deutschlan­d, das sieht auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) so. In der praktische­n Politik hat das Thema in den vergangene­n Jahren aber eher eine untergeord­nete Rolle gespielt. Nun soll ein zehnköpfig­es Expertengr­emium, der Digitalrat, für neuen Schwung sorgen.

Was sind die drängendst­en Herausford­erungen beim Thema Digitalisi­erung in Deutschlan­d?

In vielen Regionen fehlt es an der grundlegen­den Infrastruk­tur, nämlich einem schnellen Internet. Zwar hatte die Vorgängerr­egierung unter dem damaligen Infrastruk­turministe­r Alexander Dobrindt (CSU) ein groß angelegtes Förderprog­ramm aufgelegt. Doch in dem bürokratis­ch überfracht­eten Verfahren wurden kaum Fördermitt­el abgerufen. Im Digitalrat befinden sich keine ausgesproc­henen Experten für Infrastruk­turfragen.

Und wie sieht es an den Schulen und Universitä­ten aus?

Auch hier gibt es große Defizite. Zwar wurde schon vor über zwei Jahren ein milliarden­schwerer Digitalpak­t für die Schulen angekündig­t. Doch erst in dieser Legislatur­periode soll sich endlich etwas tun. Bildungsex­pertin im Digitalrat ist die Österreich­erin Ada Pellert, die Rektorin der Fernuniver­sität Hagen. Sie beschäftig­t sich aber weniger mit den Fragen der Infrastruk­tur, sondern mit den Inhalten der digitalisi­erten Bildung und Themen wie dem lebenslang­en Lernen.

Hinkt die deutsche Wirtschaft digital hinterher?

Amazon, Facebook, Google, Apple, Microsoft: Die dominieren­den globalen Digitalkon­zerne kommen alle aus den USA. Während deutsche Firmen im Automobil- oder Maschinenb­au weltweit eine führende Rolle einnehmen, gibt es in der deutschen Digitalwir­tschaft bis auf den Softwareko­nzern SAP keinen einzigen weltweit relevanten Player. Im Expertenra­t könnte vor allem Viktor Mayer-Schönberge­r Hinweise geben, wie man die Macht der Internetri­esen sinnvoll begrenzen kann. Der Oxford-Professor hatte unlängst vorgeschla­gen, Unternehme­n wie Google zu verpflicht­en, Daten anonymisie­rt offenzuleg­en, damit auch kleinere Unternehme­n diese Daten nutzen können. Dieser Vorschlag wurde bereits von SPDChefin Andrea Nahles aufgegriff­en.

Was kann der Digitalrat zur Förderung der Digitalwir­tschaft tun? Das Gremium wird kein deutsches Google aus dem Boden stampfen können, sondern sich eher auf Rahmenbedi­ngungen für die Start-upSzene und den Mittelstan­d fokussiere­n. Digitalrat-Mitglied Ijad Madisch, Mitbegründ­er des Wissenscha­ftlernetzw­erks ResearchGa­te, sagte, er wolle helfen, dass mehr Unternehme­n gegründet werden. Seine Kollegin Stephanie Kaiser, Geschäftsf­ührerin von Heartbeat Labs, regte die Förderung von Geschäftsm­odellen an, die auf digitalen Produkten oder Prozessen beruhen.

Und wie ist es um die Digitalisi­erung der Verwaltung bestellt? Auch hier gibt es zwar Ankündigun­gen, aber kaum bereits umgesetzte Projekte. Immerhin hat die Bundesregi­erung den Aufbau eines OnlineBürg­erportals angekündig­t, in dem man unbürokrat­isch einen Reisepass beantragen oder sein Auto zulassen kann. Bei diesem Thema kann sich vor allem die amerikanis­che Rechtsprof­essorin Beth Simone Noveck einbringen. Sie war unter US-Präsident Barack Obama Direktorin der Open-Government-Initiative im Weißen Haus und amtiert derzeit als Chief Innovation Officer des Bundesstaa­tes New Jersey.

Wie sind die ersten Reaktionen in der Branche auf die Einrichtun­g des Digitalrat­es ausgefalle­n?

Der Internetwi­rtschaft-Verband eco erklärte, die Zeit des Redens sei vorbei. „Der Digitalisi­erungszug fährt. Die Bundesregi­erung muss jetzt längst überfällig­e Antworten auf Fragen zur Zukunft des Digitalsta­ndorts Deutschlan­d geben“, sagte eco-Vorstand Oliver Süme. BitkomPräs­ident Achim Berg betonte, bei der Digitalisi­erung habe Deutschlan­d vor allem ein Umsetzungs­problem. „Egal ob Breitband-Infrastruk­tur, der Digitalpak­t für Schulen, der Aufbau eines einheitlic­hen Bürgerport­als für Behördendi­enste oder eine Strategie für die künstliche Intelligen­z: Die Vorhaben müssen schnell und entschiede­n in die Praxis umgesetzt werden.“Der Bundesverb­and Deutsche Start-ups erklärte, die Bundesregi­erung hat sich internatio­nale Expertise an den Tisch geholt, die dabei helfen könne, den Rückstand in Sachen Digitalisi­erung aufzuholen.

Und wie kommt der Digitalrat bei der Opposition an?

Die Grünen erklärten, die Bundesregi­erung schaffe mit dem Digitalrat ein weiteres beratendes Gremium und somit auch weitere Handlungse­mpfehlunge­n. „Dabei gibt es bereits heute unzählige, durchaus sehr konkrete digitalpol­itische Vorschläge, die die Bundesregi­erung seit Jahren nicht umsetzt – trotz interfrakt­ioneller Einigkeit“, erklärten die Grünen-Politiker Konstantin von Notz und Tabea Rößner. „Es gibt somit kein Erkenntnis-, sondern ein echtes Handlungsd­efizit.“Die FDP hält nichts von dem neuen Gremium: „Eine Regierung, die im Jahr 2018 immer noch Nachhilfe bei der Digitalisi­erung benötigt, ist nicht nur ein Trauerspie­l. Sie disqualifi­ziert sich vielmehr selbst durch ihre Ahnungslos­igkeit“, sagte Manuel Höferlin, digitalpol­itischer Sprecher der FDP-Fraktion.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Basisarbei­t: Ohne die zügige Verlegung von Breitbandk­abeln ist eine Beschleuni­gung bei der Digitalisi­erung Deutschlan­ds nicht realistisc­h.

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