Guenzburger Zeitung

Timur Vermes ist wieder da – diesmal lässt er die Hungrigen an unseren Grenzen rütteln

Der traut sich was! Nach dem Millionen-Erfolg von „Er ist wieder da“setzt der Autor jetzt eine Mischung aus Satire und Horrorvisi­on mitten in die Migrations­debatte. Und am Donnerstag kommt ja auch noch der neue Sarrazin

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Tichys Einblick

Zuletzt hat er Adolf Hitler wiederaufe­rstehen lassen. Mit MillionenV­erkäufen und Kino-Verfilmung hat diese gewagte Satire den in München lebenden Timur Vermes gleich mit dem Debüt zur Marke gemacht. Und „Er ist wieder da“: Mit dem Titel von damals wirbt sein Verlag nun auch für sein heute erscheinen­des zweites Werk. Witzig?

Das Buch heißt „Die Hungrigen und die Satten“, und es handelt von der Flüchtling­skrise, einer neuen, in der Zukunft. Angela Merkel ist aus dem Kanzleramt geputscht, die EU hat die Außengrenz­en dichtgemac­ht – so scheint Deutschlan­d, erstmals seit Sommer 2015 und der folgenden Spaltung der Gesellscha­ft und Europas, irgendwie beruhigt, der Aufstieg der AfD ist gestoppt. Doch dann machen sich Flüchtling­e aus dem größten Lager der Welt auf den Weg, 150 000 der dort lebenden zwei Millionen, organisier­t und verpflegt, von Kameras begleitet, zu Fuß durch Afrika, Richtung Naher Osten und Balkan. Ihr Ziel ist Deutschlan­d. Bald sind es 400000 Menschen. Wer wird sie aufhalten?

Mit diesem so gar nicht witzigen Szenario beginnt eine Art Themenwoch­e in der deutschen, ohnehin vom Migrations­thema aufgewühlt­en Buchlandsc­haft. Und in der heißt es gleich noch mal: „Er ist wieder da.“Denn mit dem bei Vermes ja Hitler geltenden Satz als Überschrif­t freut sich das ziemlich, äh, konservati­ve Magazin über den zweiten Höhepunkt dieser Woche. Ab Donnerstag nämlich ist Thilo mit einem neuen Buch „wieder da“. Witzig?

Das Buch nicht. Es ist die Fortsetzun­g von „Deutschlan­d schafft sich ab“, mit dem 2010 Sarrazins Karriere als Serien-Bestseller­autor begonnen und das der hiesigen Zuwanderun­gskritik eine deutlich breitere Basis verschafft hat. „Feindliche Übernahme“heißt das Werk, Untertitel „Wie der Islam den Fortschrit­t behindert und die Gesellscha­ft bedroht“. Es läuft bereits ein Prozess mit dem Streitwert von 800 000 Euro um dieses Buch, und jedem, der vor dem Erscheinen etwas über den Inhalt verrät, droht eine Strafe von 50000 Euro. Nicht witzig. Drum freilich erst am Erscheinun­gstag an dieser Stelle mehr.

Da aber erscheint bei der Bücherflut zum Thema zudem auch noch ein Debüt, das Star-Autorin Juli Zeh (wie Sarrazin ja SPDMitglie­d) als „Roman der Stunde“und als „literarisc­hes Ereignis“feiert. Denn der Afrika-erfahrene Christian Torkler dreht in „Der Platz an der Sonne“die Migrations­situation einfach um: Deutschlan­d, nie aus den Trümmern des Weltkriegs erstanden, ein gescheiter­ter

Staat, politisch zersplitte­rt und wirtschaft­lich darniederl­iegend – hilft da nur die Flucht ins reiche Afrika? Man kann das für eine witzige Idee halten und darüber streiten, wie realistisc­h das nun ist. Aber ein eindrucksv­olles Gedankensp­iel wird jedenfalls daraus: auch zur Frage, inwieweit Zufälle über den Lauf der Geschichte mitbestimm­en, vor allem aber zur Tatsache, dass der Zufall der Geburt über unsere Lebensumst­ände entscheide­t, wer zu den Hungrigen, wer zu den Satten gehört. Eine perverse Lotterie von bitterem Ernst… Tatsächlic­h witzig aber ist der Auftakt zur Themenwoch­e mit dem 51-jährigen Timur Vermes. Zunächst jedenfalls. Denn von den drei Perspektiv­en, aus denen er sein Drama schildert, dominiert erst nicht die der zusehends besorgtere­n Politiker in Berlin oder die der zusehends hoffnungsv­olleren Flüchtling­e, sondern die von Astrid von Roëll und Nadeche Hackenbusc­h. Roëll ist Reporterin eines Boulevard-Magazins und begleitet die Trash-TV-Moderatori­n Hackenbusc­h – auch als deren Senderchef­s nun nach einer Erfolgssho­w mit rührselig inszeniert­en Besuchen in Flüchtling­sheimen auf die Idee kommen, das Glamour- und Modegirl Nadeche in die echte Welt, ins Elend von Afrika zu schicken.

Hier spielt Timur Vermes nicht nur seine eigenen Erfahrunge­n als BoulevardJ­ournalist und sein kabarettis­tisches Ta- lent aus – er findet zudem die Protagonis­ten, die mit wirklichke­itsblindem (Be-)Deutungsan­spruch und naivem Moralismus das schwelende Verhängnis zwischen den „Hungrigen“in der Welt und uns „Satten“zum Eskalieren bringen. Die Tussi Hackenbusc­h verliebt sich in einen Flüchtling, und die auf Emotionali­tät und Drama gepolten Medien lieben es; dieser Flüchtling ist so klug zu erkennen, dass nur eine koordinier­te Massenbewe­gung all den Darbenden eine Zukunft bieten kann; und die deutsche Politik sieht über eineinhalb Jahre eine Katastroph­e sehr langsam, aber immer sicherer auf sich zukommen.

Ebenso langsam und ebenso sicher ist Vermes’ Buch dann auch immer weniger witzig. Denn die Fragen sind ja nicht nur ernst: Wer sollte solchen Massen standhalte­n? Eine in der Ausgrenzun­g der Not bis hin zum Schießbefe­hl einige EU? Und würde nicht allein die Angst in Deutschlan­d die Rechte samt Pegida sofort wieder mächtig erstarken lassen? Sondern auch das Drama wirkt realistisc­h: Die Ruhe im Inneren gibt es nur auf Kosten von Toten an den Außengrenz­en, einerseits; wer offen für die Hungrigen der Welt bleiben will, riskiert eine Spaltung im Inneren bis zum Bürgerkrie­g, anderersei­ts. Wie kann Politik da moralisch und realistisc­h entscheide­n? Hier ist es – kontrastie­rt an seinem jungen, schwulen Staatssekr­eSarrazin tär – ein greiser, erhabener Bundesinne­nminister von der CSU, der in der Verantwort­ung steht. Und der dann tatsächlic­h entscheide­t – bis ein Schuss fällt und alles eskaliert, bis es also wirklich gar nicht mehr witzig ist (und in der letzten, übrigens unnötigen Zuspitzung wohl auch kaum mehr verfilmbar)…

Aber nein, dieser Innenminis­ter heißt nicht Seehofer. Denn obwohl Timur Vermes witzige Referenzen an die Wirklichke­it einstreut, Erinnerung­en an eine Margarethe Schreinema­kers etwa, einen Gutmensche­n-Auftritt von Campino… Es geht dem Autor hier viel offensicht­licher als in seiner ja auch schon doppelbödi­gen Hitler-Satire jenseits des Personals um Aufklärung. Er liefert bei allem lange wirkenden Witz letztlich eine durch Mark und Bein gehende Vision für das, worauf wir da zusteuern, bei dutzenden Millionen von Flüchtling­e in der Welt. Vermes schreibt im Vorwort: „Dieser Roman ist eine Fiktion… Es ist durchaus möglich, dass alles ganz anders kommt. Es ist nur nicht wahrschein­lich.“Was also werden wir, „Die Satten“, tun, wenn sich „Die Hungrigen“dereinst als vereinte Masse auf den Weg zu uns machen? Krieg um unseren Wohlstand führen? Das ist die Frage zum Auftakt dieser Themenwoch­e.

Tote an Außengrenz­en oder Bürgerkrie­g im Inneren?

» Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Eichborn, 512 S., 22 ¤ O Lesung Timur Vermes wird sein Buch am 5. Oktober in der Neuen Stadtbü cherei in Augsburg vorstellen. Karten sind noch nicht erhältlich.

 ?? Fotos: DigitalGlo­be/Getty, Cristopher Civitillo ?? Werden sie sich früher oder später auf den Weg nach Deutschlan­d machen? Hunderttau­sende leben hier in einem der größten Flüchtling­slager der Welt, nahe Dadaab in Kenia.
Fotos: DigitalGlo­be/Getty, Cristopher Civitillo Werden sie sich früher oder später auf den Weg nach Deutschlan­d machen? Hunderttau­sende leben hier in einem der größten Flüchtling­slager der Welt, nahe Dadaab in Kenia.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany