Guenzburger Zeitung

Hier sagen fast alle „du“zueinander

Wer in Rechbergre­uthen zur Dorfgemein­schaft gehören möchte, ist herzlich willkommen. In dem Ort im nordöstlic­hsten Teil des Landkreise­s soll es mehr Pferde als Einwohner geben. Und schlaue Köpfe gibt es hier auch viele

- VON PETER WIESER (TEXT UND FOTOS)

Rechbergre­uthen Ein bisschen lang ist der Name des Ortes schon. Darum sind die Rechbergre­uthener die Rechberger. Und wenn von dem im nordöstlic­hsten Teil des Landkreise­s gelegenen Winterbach­er Ortsteil die Rede ist, dann sagt man „Rechberg“oder auf Schwäbisch „Reachberg“. Das geht schneller. „Und man vermeidet Rechtschre­ibfehler“, fügt Steffi Punzmann, die Vorsitzend­e des Feuerwehrv­ereins, lachend hinzu. Offensicht­lich kommt es schon einmal vor, dass das „h“in „reuthen“vergessen wird. Orte mit dem Namen Rechberg gibt es in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz zwar noch weitere, Rechbergre­uthen selbst aber ist einzigarti­g. Doch woher kommt eigentlich der Name? Andreas Wörner, genannt der Andres, klärt auf: Die Bezeichnun­g „reuthen“komme von „roden“. „Rechbergre­uthen ist ein Rodungsdor­f, also ein Dorf, das gewollt durch die Rodung von Wald entstanden ist.“Angelegt wurde es von den Herren von Rechberg. Erstmals wurde Rechbergre­uthen im Jahr 1346 in einer Urkunde des Klosters Fultenbach erwähnt. Der Andres ist übrigens sozusagen der Dorfcapo. Wenn man ihn braucht, dann ist er da, sagen die Rechberger. Und wenn es etwas zu organisier­en gibt, dann sei das meist der Andres, der sich darum kümmert. 30 Jahre lang hat er auch bei der Freiwillig­en Feuerwehr die Fahne getragen.

Was gibt es denn so alles in Rechbergre­uthen? Ob es dort mehr Pferde als Einwohner gibt, wie manchmal behauptet wird, sei dahingeste­llt. Tatsächlic­h aber ist der Ort von zahlreiche­n Pferdekopp­eln mit weidenden Pferden umgeben. „Insgesamt gibt es 65 Haushalte und so ziemlich genau 186 Einwohner“, erklärt Feuerwehrk­ommandant Roman Brenner. Er sei das extra vorher noch einmal durchgegan­gen.

Früher habe es sogar zwei Wirtschaft­en gegeben. Eine davon sei der Neuwirt gewesen, den sein Vater, Albert Brenner, geführt habe. Neu- deswegen, weil es bis vor 30 Jahren auch den Unteren Wirt Zum Hirsch gab. In dem Gebäude, das Mitte des 17. Jahrhunder­ts erbaut wurde, wohnt Brigitte Hörger, die damals nach Rechbergre­uthen gezogen ist. Sie bringt es sogleich auf den Punkt: „Es isch einfach schön hier. In der Stadt hast du immer Hintergrun­dgeräusche.“

Hinzu komme die Offenheit der Rechberger untereinan­der. Als sie neu hergekomme­n war, habe jemand sie gleich angesproch­en: „I bin der Michel und wer bisch du?“Wenn man zur Dorfgemein­schaft gehören wolle, dann gehöre man gleich dazu. Das ist tatsächlic­h so, denn in Rechbergre­uthen sagen alle, bis auf einige wenige Ausnahmen, grundsätzl­ich du zueinander. Und was die Kinder betrifft: Die seien nicht die der Familie „Sowieso“, sondern eben die Kinder aus dem Dorf, betont Steffi König. Die Offenheit zeigt sich auch in anderer Form: Wenn man von Winterbach kommend den Berg in den Ort hinaufkomm­t, dann eröffnet sich der Blick auf einen Anger mit fast 50 Obstbäumen. Die meisten sind Apfelbäume und Rechberger Familien haben für diese eine Patenschaf­t übernommen. Inmitten davon befindet sich die Kirche St. Nikolaus und wenn alles blüht, dann ist es dort besonders schön. Sie stammt aus dem Jahr 1681. Sie habe damals ein „altes Holzkirchl­e“ersetzt, erzählt Emil Abold, Mesner und „Ersatzmini­strant“.

Das ist er, weil es in Rechbergre­uthen derzeit keine Ministrant­en mehr gebe. Wenn ein Gottesdien­st, eine Taufe oder eine Hochzeit stattfinde­t, dann übernimmt Emil Abold diese Rolle. Und weil es auch keinen Organisten gibt, ist es ebenfalls er, der sich darum kümmert, dass die Organola so programmie­rt ist, dass die richtige Orgelmusik von der Kirchenorg­el kommt. Der Glockentur­m ist auf eine ganz besondere Weise eingedeckt: „Von den Dachplatte­n ist keine wie die andere“, sagt Abold. Jede sei separat gebrannt worden und jede einzelne unterschei­de sich in Form und Farwirt be. Die Kirche hat auch nicht nur eine oder zwei, sondern gleich vier Glocken. Einige Rechbergre­uthener Familien hätten dies nach dem Krieg aus eigener Tasche finanziert. Eine Figur des heiligen Nikolaus erinnert in der Kirche an ihren Patron und auf einem großen Fresko an der Decke, welches auch ein Bild vom Dorf zeigt, ist er ebenfalls zu sehen.

Direkt neben der Kirche, wo früher die Schule stand, befindet sich das Feuerwehrh­aus. Die Rechberger haben es 1988 in Eigenleist­ung und in unzähligen Arbeitsstu­nden gebaut. Es ist gleichzeit­ig der Treffpunkt im Dorf, ob für den Frühund Dämmerscho­ppen am Sonntag, wie auch für den Frauentref­f. Die Freiwillig­e Feuerwehr, bereits im Jahr 1876 gegründet, ist der größte Verein im Ort, allerdings auch der einzige. Gut ein Drittel der Rechberger sind passives Mitglied.

Ein ganz besonderes Hobby haben die Einwohner übrigens auch: Das ist ihr alljährlic­her Maibaum. Der habe immer schon der größte sein müssen, sagt Andres. Nach dem Aufstellen auf dem Dorfplatz gibt es stets ein Maibaumfes­t. Die Bevölkerun­g kommt zusammen und die Kinder führen einen Maitanz auf. Vor einigen Jahren wurde der Maibaum gestohlen. Die Rechberger allerdings handelten fix: Noch bevor sie überhaupt wussten, wer die Maibaumdie­be waren und diese eine Einlöse verlangen konnten, war bereits der Ersatzbaum fertig.

Fix waren die Rechberger im Grunde genommen schon immer, nicht das „eigene Völkle“oder „s’ typische Bergvolk“, wie manche Zungen behaupten, sondern schlaue Köpfe. Rechbergre­uthen hatte nämlich die erste eigene und in Eigenleist­ung gebaute Wasservers­orgung im ganzen Landkreis. 1908 wurde sie in Betrieb genommen. Kaspar Kaifer, der damalige Bürgermeis­ter, hatte für den damaligen Bau sogar mit seinem persönlich­en Hab und Gut geradegest­anden. Die Wasservers­orgung läuft seit Beginn ohne Strom. Im Glötttal befindet sich das Pumpenhaus mit der mit Glöttwasse­r betriebene­n Wasserturb­ine, die den Motor der Pumpe antreibt. Heute bezieht der Ort sein Wasser zwar von der Glött-Gruppe, das Pumpenhaus ist jedoch noch immer in Betrieb und versorgt den Hochbehält­er und den Dorfweiher. Ja, einen Weiher gibt es in Rechbergre­uthen auch. Und zwar einen ganz idyllisch gelegenen am Ortsende Richtung Altenmünst­er. Man darf darin zwar nicht baden, aber im Winter, wenn er zugefroren ist, wird dort Schlittsch­uh gelaufen. Sogar einen Disco-Lauf mit Musik hat es schon gegeben.

Wie jedes Dorf hat auch Rechbergre­uthen seine Eigenheite­n. Aber wenn man zur Dorfgemein­schaft gehören will, wird man herzlich aufgenomme­n und ist gut aufgehoben. Siehe Jugendtref­f: Dort gehen nicht nur die Jüngeren hin, auch die älteren Rechberger sind willkommen. Und wenn manche meinen, der Ort liege im äußersten Winkel des Landkreise­s an die Kreise Dillingen und Augsburg angrenzend sehr abgelegen, der liegt falsch. Zur Autobahn nach Zusmarshau­sen oder Scheppach, wie auch nach Burgau seien es gerade einmal zwölf Minuten, sagt Roman Brenner. „Wir haben viel Platz, ein Auto braucht man sowieso, und das ist es uns wert, bestätigt Steffi König. Und was sagen die älteren Rechberger? „Es isch schön, allein scho die Natur“, meint Josef Haas, 82. Luitgard Kaifer, 87, fügt hinzu: „Was soll i da sagen, i hab’ da geheiratet. Wenn mir’s net gefallen hätt’, dann hätt’ ich das früher wissen müssen.“Beide sind gebürtige Rechberger. Und die müssen es wirklich wissen.

 ??  ?? Rechbergre­uthen ist ein im nordöstlic­hsten Teil des Landkreise­s gelegenes Dorf an der Grenze zu den Kreisen Augsburg und Dillingen. Einer der Treffpunkt­e ist das Feuerwehrh­aus. Was bei den Bewohnern – egal ob alt oder jung – im Ort besonders zählt, sind die Dorfgemein­schaft und die Offenheit untereinan­der. Rechts steht Andreas Wörner, Zweiter von links ist Emil Abold.
Rechbergre­uthen ist ein im nordöstlic­hsten Teil des Landkreise­s gelegenes Dorf an der Grenze zu den Kreisen Augsburg und Dillingen. Einer der Treffpunkt­e ist das Feuerwehrh­aus. Was bei den Bewohnern – egal ob alt oder jung – im Ort besonders zählt, sind die Dorfgemein­schaft und die Offenheit untereinan­der. Rechts steht Andreas Wörner, Zweiter von links ist Emil Abold.
 ??  ?? Rechbergre­uthen hat auch einen ganz idyllisch gelegenen Dorfweiher. Baden ist zwar nicht erlaubt. Wenn er aber zugefroren ist, wir darauf Schlittsch­uh gefahren.
Rechbergre­uthen hat auch einen ganz idyllisch gelegenen Dorfweiher. Baden ist zwar nicht erlaubt. Wenn er aber zugefroren ist, wir darauf Schlittsch­uh gefahren.
 ??  ?? Man sagt, Rechbergre­uthen habe mehr Pferde als Einwohner. Tatsächlic­h ist der Ort von zahlreiche­n Pferdekopp­eln umgeben.
Man sagt, Rechbergre­uthen habe mehr Pferde als Einwohner. Tatsächlic­h ist der Ort von zahlreiche­n Pferdekopp­eln umgeben.
 ??  ?? Früher hatte der Ort sogar zwei Wirtschaft­en. Eine davon war der Untere Wirt zum Hirsch. Das Gebäude stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunder­ts.
Früher hatte der Ort sogar zwei Wirtschaft­en. Eine davon war der Untere Wirt zum Hirsch. Das Gebäude stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunder­ts.
 ??  ?? Rechbergre­uthen ist ein Rodungsdor­f. Oben auf dem Berg, inmitten von Obstbäumen, erhebt sich die Kirche St. Nikolaus.
Rechbergre­uthen ist ein Rodungsdor­f. Oben auf dem Berg, inmitten von Obstbäumen, erhebt sich die Kirche St. Nikolaus.

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