Hier sagen fast alle „du“zueinander
Wer in Rechbergreuthen zur Dorfgemeinschaft gehören möchte, ist herzlich willkommen. In dem Ort im nordöstlichsten Teil des Landkreises soll es mehr Pferde als Einwohner geben. Und schlaue Köpfe gibt es hier auch viele
Rechbergreuthen Ein bisschen lang ist der Name des Ortes schon. Darum sind die Rechbergreuthener die Rechberger. Und wenn von dem im nordöstlichsten Teil des Landkreises gelegenen Winterbacher Ortsteil die Rede ist, dann sagt man „Rechberg“oder auf Schwäbisch „Reachberg“. Das geht schneller. „Und man vermeidet Rechtschreibfehler“, fügt Steffi Punzmann, die Vorsitzende des Feuerwehrvereins, lachend hinzu. Offensichtlich kommt es schon einmal vor, dass das „h“in „reuthen“vergessen wird. Orte mit dem Namen Rechberg gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwar noch weitere, Rechbergreuthen selbst aber ist einzigartig. Doch woher kommt eigentlich der Name? Andreas Wörner, genannt der Andres, klärt auf: Die Bezeichnung „reuthen“komme von „roden“. „Rechbergreuthen ist ein Rodungsdorf, also ein Dorf, das gewollt durch die Rodung von Wald entstanden ist.“Angelegt wurde es von den Herren von Rechberg. Erstmals wurde Rechbergreuthen im Jahr 1346 in einer Urkunde des Klosters Fultenbach erwähnt. Der Andres ist übrigens sozusagen der Dorfcapo. Wenn man ihn braucht, dann ist er da, sagen die Rechberger. Und wenn es etwas zu organisieren gibt, dann sei das meist der Andres, der sich darum kümmert. 30 Jahre lang hat er auch bei der Freiwilligen Feuerwehr die Fahne getragen.
Was gibt es denn so alles in Rechbergreuthen? Ob es dort mehr Pferde als Einwohner gibt, wie manchmal behauptet wird, sei dahingestellt. Tatsächlich aber ist der Ort von zahlreichen Pferdekoppeln mit weidenden Pferden umgeben. „Insgesamt gibt es 65 Haushalte und so ziemlich genau 186 Einwohner“, erklärt Feuerwehrkommandant Roman Brenner. Er sei das extra vorher noch einmal durchgegangen.
Früher habe es sogar zwei Wirtschaften gegeben. Eine davon sei der Neuwirt gewesen, den sein Vater, Albert Brenner, geführt habe. Neu- deswegen, weil es bis vor 30 Jahren auch den Unteren Wirt Zum Hirsch gab. In dem Gebäude, das Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut wurde, wohnt Brigitte Hörger, die damals nach Rechbergreuthen gezogen ist. Sie bringt es sogleich auf den Punkt: „Es isch einfach schön hier. In der Stadt hast du immer Hintergrundgeräusche.“
Hinzu komme die Offenheit der Rechberger untereinander. Als sie neu hergekommen war, habe jemand sie gleich angesprochen: „I bin der Michel und wer bisch du?“Wenn man zur Dorfgemeinschaft gehören wolle, dann gehöre man gleich dazu. Das ist tatsächlich so, denn in Rechbergreuthen sagen alle, bis auf einige wenige Ausnahmen, grundsätzlich du zueinander. Und was die Kinder betrifft: Die seien nicht die der Familie „Sowieso“, sondern eben die Kinder aus dem Dorf, betont Steffi König. Die Offenheit zeigt sich auch in anderer Form: Wenn man von Winterbach kommend den Berg in den Ort hinaufkommt, dann eröffnet sich der Blick auf einen Anger mit fast 50 Obstbäumen. Die meisten sind Apfelbäume und Rechberger Familien haben für diese eine Patenschaft übernommen. Inmitten davon befindet sich die Kirche St. Nikolaus und wenn alles blüht, dann ist es dort besonders schön. Sie stammt aus dem Jahr 1681. Sie habe damals ein „altes Holzkirchle“ersetzt, erzählt Emil Abold, Mesner und „Ersatzministrant“.
Das ist er, weil es in Rechbergreuthen derzeit keine Ministranten mehr gebe. Wenn ein Gottesdienst, eine Taufe oder eine Hochzeit stattfindet, dann übernimmt Emil Abold diese Rolle. Und weil es auch keinen Organisten gibt, ist es ebenfalls er, der sich darum kümmert, dass die Organola so programmiert ist, dass die richtige Orgelmusik von der Kirchenorgel kommt. Der Glockenturm ist auf eine ganz besondere Weise eingedeckt: „Von den Dachplatten ist keine wie die andere“, sagt Abold. Jede sei separat gebrannt worden und jede einzelne unterscheide sich in Form und Farwirt be. Die Kirche hat auch nicht nur eine oder zwei, sondern gleich vier Glocken. Einige Rechbergreuthener Familien hätten dies nach dem Krieg aus eigener Tasche finanziert. Eine Figur des heiligen Nikolaus erinnert in der Kirche an ihren Patron und auf einem großen Fresko an der Decke, welches auch ein Bild vom Dorf zeigt, ist er ebenfalls zu sehen.
Direkt neben der Kirche, wo früher die Schule stand, befindet sich das Feuerwehrhaus. Die Rechberger haben es 1988 in Eigenleistung und in unzähligen Arbeitsstunden gebaut. Es ist gleichzeitig der Treffpunkt im Dorf, ob für den Frühund Dämmerschoppen am Sonntag, wie auch für den Frauentreff. Die Freiwillige Feuerwehr, bereits im Jahr 1876 gegründet, ist der größte Verein im Ort, allerdings auch der einzige. Gut ein Drittel der Rechberger sind passives Mitglied.
Ein ganz besonderes Hobby haben die Einwohner übrigens auch: Das ist ihr alljährlicher Maibaum. Der habe immer schon der größte sein müssen, sagt Andres. Nach dem Aufstellen auf dem Dorfplatz gibt es stets ein Maibaumfest. Die Bevölkerung kommt zusammen und die Kinder führen einen Maitanz auf. Vor einigen Jahren wurde der Maibaum gestohlen. Die Rechberger allerdings handelten fix: Noch bevor sie überhaupt wussten, wer die Maibaumdiebe waren und diese eine Einlöse verlangen konnten, war bereits der Ersatzbaum fertig.
Fix waren die Rechberger im Grunde genommen schon immer, nicht das „eigene Völkle“oder „s’ typische Bergvolk“, wie manche Zungen behaupten, sondern schlaue Köpfe. Rechbergreuthen hatte nämlich die erste eigene und in Eigenleistung gebaute Wasserversorgung im ganzen Landkreis. 1908 wurde sie in Betrieb genommen. Kaspar Kaifer, der damalige Bürgermeister, hatte für den damaligen Bau sogar mit seinem persönlichen Hab und Gut geradegestanden. Die Wasserversorgung läuft seit Beginn ohne Strom. Im Glötttal befindet sich das Pumpenhaus mit der mit Glöttwasser betriebenen Wasserturbine, die den Motor der Pumpe antreibt. Heute bezieht der Ort sein Wasser zwar von der Glött-Gruppe, das Pumpenhaus ist jedoch noch immer in Betrieb und versorgt den Hochbehälter und den Dorfweiher. Ja, einen Weiher gibt es in Rechbergreuthen auch. Und zwar einen ganz idyllisch gelegenen am Ortsende Richtung Altenmünster. Man darf darin zwar nicht baden, aber im Winter, wenn er zugefroren ist, wird dort Schlittschuh gelaufen. Sogar einen Disco-Lauf mit Musik hat es schon gegeben.
Wie jedes Dorf hat auch Rechbergreuthen seine Eigenheiten. Aber wenn man zur Dorfgemeinschaft gehören will, wird man herzlich aufgenommen und ist gut aufgehoben. Siehe Jugendtreff: Dort gehen nicht nur die Jüngeren hin, auch die älteren Rechberger sind willkommen. Und wenn manche meinen, der Ort liege im äußersten Winkel des Landkreises an die Kreise Dillingen und Augsburg angrenzend sehr abgelegen, der liegt falsch. Zur Autobahn nach Zusmarshausen oder Scheppach, wie auch nach Burgau seien es gerade einmal zwölf Minuten, sagt Roman Brenner. „Wir haben viel Platz, ein Auto braucht man sowieso, und das ist es uns wert, bestätigt Steffi König. Und was sagen die älteren Rechberger? „Es isch schön, allein scho die Natur“, meint Josef Haas, 82. Luitgard Kaifer, 87, fügt hinzu: „Was soll i da sagen, i hab’ da geheiratet. Wenn mir’s net gefallen hätt’, dann hätt’ ich das früher wissen müssen.“Beide sind gebürtige Rechberger. Und die müssen es wirklich wissen.