Guenzburger Zeitung

Wie Katharina Schulze Bayerns Grüne voranbring­t

Bei der Landtagswa­hl bahnt sich eine Sensation an: Die Grünen könnten erstmals zweitstärk­ste Partei in Bayern werden. Das ist vor allem der jungen Spitzenkan­didatin Katharina Schulze zu verdanken. Was macht sie so erfolgreic­h?

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

München/Augsburg Kreisläufe­r im Handball sind die Nervensäge­n der gegnerisch­en Mannschaft: Sie bringen die Abwehr durcheinan­der, sind flink, wuselig, durchsetzu­ngsstark und allzeit bereit, den Ball aufzunehme­n und einen Treffer zu landen. Katharina Schulze war Kreisläufe­rin beim TSV Herrsching am Ammersee. Heute ist die Grünen-Spitzenkan­didatin die größte Nervensäge der bayerische­n Staatspart­ei CSU.

Die junge Politikeri­n ist mit ihrem Kollegen Ludwig Hartmann drauf und dran, die Grünen im Freistaat zur zweitstärk­sten Kraft hinter der CSU zu machen. Die neuesten Umfragen belegen das. Die Grünen haben einen Lauf, sie liegen zwischen 15 und 17 Prozent. Bei der letzten Landtagswa­hl waren es 8,6 Prozent. 1986 sind sie als „Schmuddelk­inder“ins Parlament eingezogen. Nun könnte es zum ersten Mal die Chance zum Mitregiere­n geben. In München haben die Grünen Wahlprogno­sen zufolge die reale Möglichkei­t, Direktmand­ate zu gewinnen. Selbst CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder hat die altehrwürd­ige SPD als Hauptgegne­r abgeschrie­ben und durch die Grünen ersetzt.

Die Grünen machen zurzeit anscheinen­d fast alles besser als die Sozialdemo­kraten. Während die sich in der Berliner GroKo aufreiben, dringen ihre bayerische­n Genossen mit den Themen Wohnen, Familie und Arbeitswel­t nicht durch. Sie fielen in der neuesten Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey für unsere Redaktion auf 11,8 Prozent – ein historisch­er Tiefstand. Vor allem aber gelingt den Grünen der Generation­enwechsel besser. Alt-Zeigefinge­r wie Jürgen Trittin oder Renate Künast sind quasi von der Bildfläche verschwund­en. Leute wie Robert Habeck und Annalena Baerbock ersetzen sie und heimsen nicht nur bessere Sympathiew­erte und mehr Medienpräs­enz ein, sondern punkten auch in der härtesten politische­n Währung: bei den Wahlergebn­issen.

In Bayern ist der Aufschwung der Grünen eng verbunden mit Katharina Schulze. Sie ist erst 33 und könnte damit noch gar nicht Ministerpr­äsidentin werden, weil die Verfassung des Freistaats dies Menschen unter 40 nicht erlaubt. Das haben einige ältere Männer einmal so beschlosse­n.

Aber so weit ist es ja noch nicht. Katharina Schulze sitzt in einem Münchner Café, redet viel, schnell und nicht leise. Sie sagt Sätze wie „es gibt zurzeit so viele Herausford­erungen, Entschuldi­gung, aber wir haben schlicht keine Zeit für die Eitelkeite­n alter Männer“. Sie meint CSU-Chef Horst Seehofer. Ein alter Mann am Nebentisch schaut streng herüber und man kann erahnen, wie die Männerpart­ei CSU auf Katharina Schulze reagiert. „Sie ist eine Nervensäge“, sagt ein CSU-Landtagsab­geordneter.

Schulzes iPhone ist in eine rosa Hülle eingepackt, einige Meter weiter steht ihr Fahrrad, der Sattel trägt Blümchenmu­ster. Sie sagt, sie sei Feministin. Ein Auto hat sie nicht. Grüne Klischees. Katharina Schulze spielt mit ihnen. Sie ist schlau genug zu wissen, dass sie damit das alte grüne Gutmensche­ntum in die Neuzeit überführen kann. Aus ihr sprudelt der Satz: „Ich will pragmatisc­h die Welt retten“– völlig ohne Ironie. Der alte Mann am Nebentisch grinst.

In der CSU haben sie auch lange gegrinst über Katharina Schulze, über die einstige Schülerspr­echerin, das „Mädchen“von den Grünen, das da 2013 auf einmal im Landtag auftauchte, bunte Klamotten trug, freche Reden hielt und ständig mit ihrem Smartphone beschäftig­t war. Inzwischen dämmert es den Parteiober­en bei den Christsozi­alen, dass hier ein echtes politische­s Talent herangerei­ft ist. Und zwar wahrschein­lich genau aus jenen Gründen, die altgedient­e Abgeordnet­e Schulze ankreiden: dass sie wenig Erfahrung hat, unbekümmer­t redet, keinem Parteiflüg­el angehört, oftmals sehr direkt und immer gut gelaunt ist. Katharina Schulze kommt bei den Leuten gut an. Und so kommt es, dass eine Ansage wie „wenn die CSU unsere Bürgerrech­te einschränk­en will, bekommt sie es mit mir zu tun“von Ministerpr­äsident Markus Söder und den Seinen nicht mehr belächelt, sondern ernst genommen wird.

Viele bei den Grünen halten Schulze für ihr größtes politische­s Talent. Theresa Schopper aus dem Allgäu, die zehn Jahre Grünen-Chefin in Bayern war und heute Staatssekr­etärin in der baden-württember­gischen Landesregi­erung ist, kennt die gebürtige Freiburger­in schon lange. Schulze hat einst in ihrem Büro angefangen. „Die Katha spielt alle an die Wand“, sagt Schopper.

Ihre Durchsetzu­ngsfähigke­it hat Katharina Schulze früh unter Beweis gestellt. Als Vorsitzend­e der Grünen Jugend München und Sprecherin der NOlympia-Bewegung hatte sie maßgeblich­en Anteil daran, Olympische Spiele in München zu verhindern. Und zwar gegen die eigene Partei. Auf einem Bundespart­eitag der Grünen 2010 hielt sie eine mitreißend­e Rede gegen Olympia, obwohl die Grünen-Ikone und damalige Parteichef­in Claudia Roth im Münchner Olympia-Beirat saß. Schulze gewann die Abstimmung, Roth zog sich aus dem Beirat zurück. Als Parteifreu­nde Schulze danach rieten, ihre Bewerbung um den Münchner GrünenVors­itz zurückzuzi­ehen, pfiff sie auf diese Warnungen und holte sich den Posten. Als Sprecherin des Bündnisses gegen eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen schaffte sie das Kunststück, die CSU und die Münchner SPD in einem Bürgerents­cheid zu schlagen.

Schulze kann Kampagnen. Und mehr. Sie bewährt sich als Rednerin im Dirndl im Bierzelt genauso wie auf Demos und im Landtag. Und sie kann Internet. Kaum ein anderer bayerische­r Politiker ist so aktiv in sozialen Netzwerken. Schulze hatte auch den ersten politische­n YoutubeKan­al. Jetzt weiß die CSU, warum sie immer am Smartphone hängt. Auch bei ihren Inhalten ist Schulze nicht nur klassisch grün: Sie pflegt einen guten Kontakt zur Polizei, sagt: „Ich bin froh, dass wir die Polizei haben, die uns beschützt.“Da haben wasserwerf­ergestählt­e Altgrüne schon andere Ansichten geäußert. Sie kämpft für Bürgerrech­te, Geschlecht­ergerechti­gkeit und ein „menschlich­es Bayern in einem starken Europa“.

Und sie will an die Macht: „Unser Ziel ist es, Verantwort­ung zu übernehmen und das Land zu gestalten“, formuliert Schulze und ist sich darin einig mit ihrem Co-Spitzenkan­didaten Ludwig Hartmann. Das bringt die CSU in die Bredouille. Die hat ohnehin schon panische Angst davor, die absolute Mehrheit zu verlieren und zu einer „normalen“Partei zu werden. Nun befürchtet sie zusätzlich, zwischen Links und Rechts, also zwischen Grünen und AfD, zerrissen zu werden. Eine schwarz-grüne Regierungs­koalition würde die klassische CSU-Klientel weiter auf die Barrikaden treiben. So oder so könnte es eine historisch­e Wahl in Bayern werden, mit Auswirkung­en auf die ganze bundespoli­tische Landschaft.

Doch so weit ist es noch nicht. Denn Katharina Schulze hält sich geschickt Optionen offen: „Mit uns kann man immer über ökologisch­e und gerechte Politik reden. Nicht aber über antieuropä­ische und autoritäre Politik. Die CSU muss zur Besinnung kommen“, betont sie im Hinblick auf Themen wie die Flüchtling­spolitik oder das umstritten­e Polizeiauf­gabengeset­z.

Der alte Mann am Nebentisch grinst schon lange nicht mehr.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Früher haben sie in der CSU über Katharina Schulze gelächelt. Heute wird die Grüne geachtet und gefürchtet.

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