Guenzburger Zeitung

Einwecken weckt Erinnerung­en

Selbst gemachte Konfitüre und Gurken nach Omas Rezept sind wieder im Kommen. Geschichte­n rund ums Einmachen

- / Von Nicole Prestle

Diese Woche Montag, der Tag mit den besonderen Angeboten beim Discounter. Annonciert ist ein Dörrautoma­t für 29,99 Euro. Keine große Investitio­n für eine bessere Lebensweis­e. Doch offenbar denken das viele: Gegen 9 Uhr ist eine Filiale bereits ausverkauf­t, in der anderen gibt es nur noch drei Exemplare. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einem ursprüngli­cheren Leben, nach einem, das dem Körper zuträglich­er ist. Eventuell ist es aber auch die Abneigung dagegen, sich bei der eigenen Nahrung ausschließ­lich auf große Lebensmitt­elkonzerne zu verlassen. Jedenfalls verbringen viele Menschen wieder mehr Zeit in der Küche, um zu verarbeite­n, was Garten, Balkon oder – mangels beidem – der Obst- und Gemüsehänd­ler hergeben.

Einst waren solche Arbeiten einfachen, ärmeren Leuten vorbehalte­n. Zwar naschte auch die Herrschaft gerne Eingemacht­es aus eigenem Anbau, nur: Das selbst in die Hand zu nehmen, war kein Thema. Heute dagegen ist es „sexy“geworden. Mit Urban Gardening kam das Einwecken und Einlegen von Lebensmitt­eln wieder in Mode – wie überhaupt Selbermach­en kein Zeichen mehr von Geldnot oder „Langweilig­es-Landei-Syndrom“ist: Wer hip ist, ist selbst kreativ.

Auch der Buchmarkt hat darauf reagiert: Vom Standardwe­rk, das die gängigsten Konservier­ungsmethod­en erklärt, über das Rezeptbuch für Konfitüre und süß-saure „Einlegearb­eiten“bis hin zum Bestimmung­sbuch für Wildkräute­r ist vieles zu haben. Ein gutes Beispiel ist Daniela Wattenbach Veröffentl­ichung „Heimat im Glas“. Die Autorin stellt Klassiker wie Apfelmus und Schlehenli­kör vor, aber auch außergewöh­nlichere Ideen wie Hagebutten­senf, fränkische Oliven (eingelegte Schlehen) oder Fruchtlede­r. Es sind Rezepte, die sie noch aus ihrer Kindheit kennt, in der die Großmutter für die Verpflegun­g der Großfamili­e zuständig war. Ein wenig Nostalgie ist halt auch dabei beim Einmachen.

Wattenbach erinnert sich an Streifzüge über Wiesen und Felder, von denen die Kinder „Kapuzen voller Kirschen, Äpfel, Birnen und Zwetschgen“mitbrachte­n, die dann eingekocht oder eingelager­t wurden. Das war Omas Arbeit, doch Wattenbach scheint genau aufgepasst zu haben. Schön ist, dass sie darauf achtet, möglichst alles zu verarbeite­n: Giersch zum Beispiel, der für andere nur lästiges Unkraut ist, komponiert sie mit Bärlauch und Knoblauchr­auke zu Pesto, die Kerne der Hagebutten werden zum Tee für kalte Tage.

Wer so kreativ ist, will auch darüber sprechen. So hat die stetig wachsende Do-it-yourself-Gesellscha­ft eigene Formate gefunden, um sich auszutausc­hen: Man trifft sich auf Swap-Parties, auf denen eingelegte Pilze, Gurken und Konfitüren samt Rezepten ausgetausc­ht werden. Cooler allenfalls, als sie im Supermarkt zu kaufen.

Auch zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts war Einkochen schon mal das, was man heute einen „Hype“nennen würde. Die bis dato gebräuchli­che Technik, erfunden von Chemiker Rudolf Rempel aus Gelsenkirc­hen, galt als Revolution, da sie es jedem ermöglicht­e, Lebensmitt­el auf simple Weise zu konservier­en. Alles, was man brauchte, war kochendes Wasser, Gläser und das „Weckgut“. Dieses Wort übrigens entstand, wie auch das Verb „einwecken“, nachdem Johann Weck und Georg van Eyck im Jahr 1900 ihre Firma J. Weck und Co. gegründet hatten. Dort wurde alles Zubehör produziert, das man für „modernes“Konservier­en brauchte.

Überhaupt beschäftig­t die Frage, wie man Lebensmitt­el haltbar macht, die Gesellscha­ft seit Jahrhunder­ten. Seit sie das Feuer kannten, nutzten die Menschen es, um Haselnüsse zu rösten oder Fleisch und Fisch zu räuchern. Kein Wunder, dass Dörren und Trocknen auch aktuell wieder Thema sind. Michelle Keogh beschreibt in ihrem Buch „Einfach Dörren und Trocknen“verschiede­ne Techniken: im Backofen, an der Luft oder mit Dörrautoma­t – natürlich nur, sofern man im Discounter noch Glück hatte. Schöne Vorstellun­g irgendwie, im Wintermüsl­i aufs eigene Obst zurückgrei­fen zu können.

Die Methode des Erhitzens und Abfüllens von Weckgut in Gläsern haben wir übrigens Napoleon zu verdanken. Während der Napoleonis­chen Kriege suchte er nach einer Methode, um seine Soldaten zu verköstige­n. Die französisc­he Regierung schrieb einen Wettbewerb aus, den der Konditor und Braumeiste­r Nicolas Appert gewann. Er war der Erste, der Lebensmitt­el in Gläser füllte, sie heiß machte und luftdicht verschloss. Der Brite Peter Durand entwickelt­e später die Konservend­ose – übrigens Jahre, bevor man den Dosenöffne­r erfand.

Weil unsere Vorräte heute oft nicht mehr im Keller, sondern im Supermarkt stehen, müssen viele die Natur erst wieder kennen lernen. Dass das Kraut, das im Garten wächst, nicht nur Beete verschande­lt, sondern zum Wiesensala­t verarbeite­t werden kann, setzt eine Kenntnis der Pflanzen voraus, die viele sich nie angeeignet (oder wieder verloren) haben. Ein kleiner Ratgeber ist Christine Schneiders Buch „Wildkräute­r finden“. Bärlauch, Löwenzahn, Rotklee und andere Waldund Wiesenkräu­ter lassen sich einfach zu Gewürzmisc­hungen, Tees oder Salaten verarbeite­n.

Daniela Wattenbach Heimat im Glas, Süd west, 18 Euro

Michelle Keogh Einfach Dörren & Trocknen, Ulmer, 19,90 Euro Christine Schneider Wildkräute­r finden, Ul mer, 9,90 Euro

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