Guenzburger Zeitung

Wie sich Piëch ein starkes Stück Bayern schnappte

Einst gehörte die Münchner MAN AG zum Klub der 30 Dax-Konzerne. Im Jahr 2011 übernahm dann Volkswagen die Aktienmehr­heit an der Firma. Das hat Auswirkung­en bis heute. Wie geht es mit den Augsburger Standorten weiter?

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Am Ende wuchs es sich zu einem Wirtschaft­skrimi aus. Im Mittelpunk­t standen ein schwedisch­er Stratege namens Håkan Samuelsson in Diensten des Münchner Nutzfahrze­ug- und Maschinenb­auKonzerns MAN sowie ein Österreich­er in eigenen Diensten als Volkswagen-Großaktion­är und Chef-Patriarch des Auto-Riesen. Die Rede ist natürlich von Ferdinand Piëch.

Samuelsson wagte es 2006, zur Attacke auf den schwedisch­en LkwHerstel­ler Scania zu blasen. Doch der einstige MAN-Chef reizte mit der nun einsetzend­en Treibjagd auf Scania Piëch bis zum Äußersten, hatte die VW-Legende doch längst selbst die Finger nach dem schwedisch­en Premium-LkwBauer ausgestrec­kt. Der Porsche-Enkel erlebte zu diesen Zeiten seinen vierten Frühling, was fatal war für Samuelsson. Denn Piëch war 2006 im Gegensatz zu heute noch ein wackerer und listenreic­her Wirtschaft­skrieger, der lustvoll und unerbittli­ch Gegenangri­ffe zu führen wusste. So drehte der inzwischen 81-Jährige den Spieß um und führte selbst eine Jagdgesell­schaft an, der es gelang, die einst so stolze und im Deutschen Aktieninde­x vertretene MAN AG zur Strecke zu bringen, also zu übernehmen.

Am Ende gehörten Piëch, der Fahrzeugma­rken sammelte wie andere seltene Käfer oder BordeauxWe­ine, Scania und MAN. Sein Widersache­r Samuelsson war längst im Zuge einer Korruption­saffäre in München vom Hof gejagt worden, schine für Zeitungen und die erste Kühlmaschi­ne (System Linde).

● Zwischen 1893 und 1897 entwi ckelte Rudolf Diesel mit der Ma schinenfab­rik Augsburg den weltweit ersten Dieselmoto­r. Von 1908 an hieß die Firma dann Maschinenf­abrik Augsburg Nürnberg AG.

● Zu MAN gehörte einst auch eine be kannte Druckmasch­inensparte. Manroland musste aber Insolvenz an melden. 2012 übernahm schließlic­h die Lübecker Possehl Gruppe den Augsburger Rollenoffs­etdruckbe reich. (sts) als VW 2011 die Mehrheit der MAN-Aktien erbeutet hatte. Der heute 67 Jahre alte Schwede hat aber als Volvo-Auto-Chef ein glänzendes Comeback hingelegt. In den Jahren seines Ringens mit Piëch spielte sich ein starkes und spannendes Stück bayerische­r Wirtschaft­sgeschicht­e ab – mit Auswirkung­en bis heute.

Denn nun herrschen eben die VW-Großaktion­ärsfamilie­n Porsche und Piëch über die MAN-Familie. Sie entscheide­n etwa, was aus dem großen Augsburger Maschinenb­auteil des Unternehme­ns wird. In der Stadt arbeiten noch rund 5100 Menschen für MAN, rund 4000 bei der Diesel- und Turbospart­e, die neuerdings MAN Energy Solutions heißt, und 1100 bei der Tochterges­ellschaft Renk, einem Getriebehe­rsteller. Es steckt also noch jede Menge Augsburg in MAN. Die drei Buchstaben des Kürzels gehen ja auf die Bezeichnun­g „Maschinenf­abrik Augsburg-Nürnberg“AG zurück. So wurde das Unternehme­n 1908 getauft.

Das „M“hat also, anders als manche vermuten, nichts mit München zu tun. Doch in der Landeshaup­tstadt sitzt nach wie vor die börsennoti­erte Holding MAN SE mit noch etwa 200 Mitarbeite­rn. Insgesamt arbeiten im Freistaat 21000 Frauen und Männer für die MAN-Firmen. Im Münchner Lastwagenw­erk sind es 9000 und in der Nürnberger Motorenfab­rik nochmals 4000. Doch was fängt Volkswagen mit dem von Piëch erlegten Brocken an? Der VW-Chef-Patriarch hat sich in seiner dominanten Langzeitro­lle sozusagen selbst entlassen, indem er auch aus Wut über die Diesel-Affäre seine Volkswagen-Aktien im Wesentlich­en abstieß.

Die heute in Wolfsburg Verantwort­lichen machen nun das LkwGeschäf­t mit MAN und Scania „kapitalmar­ktfähig“, auf Deutsch reif für einen Börsengang. Ob die inzwischen unter dem martialisc­hen Namen „Traton“firmierend­e Einheit wirklich an den Aktienmark­t gebracht wird, ist offen. Wer nun als Humanist glaubt, im Latein- und Griechisch-Unterricht nicht gut genug aufgepasst zu haben und so nicht zu wissen, um welche Gottheit es sich bei Traton handelt, kann beruhigt sein. Den Meeresgott schreibt man schließlic­h mit „i“. Traton ist ein neuzeitlic­hes Mischwort-Kunstwesen. In ihm, so erhoffen sich jedenfalls seine Erschaffer, sollen Begriffe wie Transforma­tion, Transport, Tonnage, Tradition und die Bereitscha­ft, immer „on“zu sein, durchschei­nen.

Manch lang gedienter MANler mag sich angesichts all der verbalen Neuerungen verwundert die Augen reiben, schließlic­h heißt ja die Diesel-Sparte, die in Augsburg schlicht „der Diesel“genannt wird, MAN Energy Solutions.

Trotz aller sprachlich­er Innovation­en bleibt die Zukunft des Energy-Solutions-Diesels und des Getriebehe­rstellers Renk offen. Seitens der im VW-Reich mächtigen Gewerkscha­ft IG Metall hieß es auch jetzt wieder gegenüber unserer Zeitung entschiede­n, Diesel und Renk blieben bei Volkswagen. Daran ändere sich nichts. Doch können die Arbeitnehm­ervertrete­r die für Augsburg beruhigend­e Position auch langfristi­g verteidige­n? Hier kommen indes immer wieder Zweifel auf. So hatte VW-Chef Herbert Diess unlängst orakelt: „Wir haben Geschäftsf­elder, die gehören nicht zu unseren Kernaktivi­täten – etwa MAN Diesel & Turbo oder den Maschinenb­auer Renk.“

Was viele MANler wohl amüsiert zur Kenntnis genommen haben: Der Volkswagen-Boss spricht weiter standhaft vom „Diesel“und nicht von „Energy Solutions“. Für weniger Heiterkeit dürften aber die nachgescho­benen Sätze von Diess gesorgt haben, nach denen VW nun überlegen müsse, „wie wir die Geschäfte am besten ausrichten“. Das sehe der Betriebsra­t auch so. So meint der Volkswagen-Lenker vieldeutig zum Schicksal der Augsburger MAN-Betriebe: „Es ist schließlic­h unser gemeinsame­s Interesse, für die Belegschaf­t zukunftssi­chere Arbeitsplä­tze zu schaffen – und dafür gibt es mehrere Optionen.“Was das nun für Optionen sein könnten, bleibt allerdings offen.

Vieles scheint möglich zu sein: der Verbleib bei VW, ein Verkauf, Zusammenle­gungen mit anderen Unternehme­n oder gar ein Börsengang. Der bayerische MAN-Wirtschaft­skrimi geht weiter.

 ?? Foto: Matthias Schrader, dpa ?? Ein Bild aus dem Jahr 2008: Håkan Samuelsson (rechts) war noch MAN Chef. Doch VW Matador Ferdinand Piëch (links) kontrol lierte als Aufsichtsr­atschef die Arbeit des Schweden. Das Lächeln beider Manager täuscht. Sie hatten einen erbitterte­n Kampf um die Vorherrsch­aft um Scania mit Piëch als Sieger hinter sich.
Foto: Matthias Schrader, dpa Ein Bild aus dem Jahr 2008: Håkan Samuelsson (rechts) war noch MAN Chef. Doch VW Matador Ferdinand Piëch (links) kontrol lierte als Aufsichtsr­atschef die Arbeit des Schweden. Das Lächeln beider Manager täuscht. Sie hatten einen erbitterte­n Kampf um die Vorherrsch­aft um Scania mit Piëch als Sieger hinter sich.
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