Guenzburger Zeitung

In Remshart bedeutet die Gemeinscha­ft noch etwas

Im Ortsteil von Rettenbach kümmern sich die Bürger um vieles selbst. Sie engagieren sich in Vereinen und für die Mitmensche­n. Das besondere Lebensgefü­hl wird auch vom Silbersee geprägt. Und von manch besonderem Gebäude

- VON CHRISTIAN KIRSTGES (TEXT UND FOTOS)

Remshart Die Fahnen des FC Bayern München, von Borussia Mönchengla­dbach, der Frankfurte­r Eintracht und des FC Heidenheim hängen „friedlich“nebeneinan­der. Was woanders undenkbar wäre, stört hier niemanden. Es ist eben die „Bayerische Friedensst­raße“, leben und leben lassen könnte das Motto sein. Auf dem Campingpla­tz am Silbersee, wo eine der Reihen diesen inoffiziel­len Namen bekommen hat, weil dort viele Bayern ihre Wohnwagen haben, kann alles, ohne dass etwas muss – solange man sich an die Platzordnu­ng hält. Die Dauercampe­r haben hier eine schöne Gemeinscha­ft und machen viel zusammen, erzählt Corina Seizinger. Aber wer mal lieber Zeit für sich haben möchte, kann sie haben. Kein Problem. Ihre Familie ist mit vier Generation­en vertreten, sie selbst ist die zweite. Auch Vater Günter, ihre Tochter und deren Nachwuchs fühlen sich hier wohl. „Man ist einfach frei.“Friedrich Spielberge­r, den alle Fritz nennen, hat seinen ersten Wohnsitz auf dem Platz, der zu Remshart gehört. „Als Rentner geht das ja.“Auch im Winter wohnt er hier. Seit die Anlage vor 20 Jahren eröffnet wurde, ist er dabei. Auf dem vorherigen Areal, das heute die Liegewiese des Sees ist, war er auch lange.

Insgesamt gibt es 101 Plätze für feste Camper und gut zehn für Tagesgäste. Für Letztere ist das Gelände vom 1. April bis 15. Oktober geöffnet. Die Warteliste für feste Plätze ist lang, 34 Fremde und neun Familienmi­tglieder von Dauergäste­n stehen darauf – die „eigenen“, wie Spielberge­r sie nennt, bekommen den Vorzug. Der Großteil der Leute hier kommt aus dem Württember­gischen, ansonsten aus der näheren Umgebung. Aber auch internatio­nale Urlauber sind zu finden, das Legoland spielt wie in der ganzen Gegend eine zunehmend große Rolle.

Iris Lux ist die Zweite Vorsitzend­e des Vereins der Campingfre­unde, der sich mit zwei Verwaltern um den Platz kümmert. Als die Autobahn ausgebaut wurde, erinnert sie sich, wohnten auch viele Arbeiter hier. Das Revisionsp­ersonal des Kernkraftw­erks spiele auch eine Rolle, aber nicht mehr so eine große wie früher. Für sie selbst macht die Lage am See das Besondere des Platzes aus, der entstand, weil Bodenschät­ze ausgebeute­t wurden. Auch Marco Iavazzi, der Pächter des Restaurant­s an der Zufahrt, schätzt „den ruhigen, schönen Platz am Wasser“. Seit 1999 ist er hier, vorher betrieb er in Günzburg ein italienisc­hes Restaurant. Er habe einige langjährig­e Gäste vom Campingpla­tz, „es ist eine schöne Gemeinscha­ft“. Unter der Terrassenü­berdachung gedeihen Weintraube­n. Sie sind älter als 30 Jahre, er hat sie vom Vorgänger übernommen und gut gepflegt. Bis zu 100 Liter Rosé lassen sich aus ihnen gewinnen. Im Sommer beschäftig­t er bis zu sieben Mitarbeite­r und mehrere Aushilfen, in der Freizeit trainiert er die Fußballspi­elgemeinsc­haft von Rettenbach, Gundremmin­gen und Offingen. Das Miteinande­r ist eben sein Ding, egal ob im Restaurant oder auf dem Spielfeld.

Diese Gemeinscha­ft ist auch das, was Remshart in besonderem Maße ausmacht. Das Dorf, das zu Retten- bach gehört, hat zwar nur gut 300 Einwohner, aber eine Feuerwehr, einen Obst- und Gartenbauv­erein und die Faschingsf­reunde. Ehrenamtli­ch bringen sich auch andere ein, und sonntags nach der Kirche ist es ein festes Ritual, dass man sich auf dem Platz davor trifft – Männer und Frauen in zwei getrennten Grüppchen – und sich darüber austauscht, was so los ist im Ort. Danach geht es für die Herren zum Frühschopp­en in den Pfarrstadl, der in Eigenregie bewirtet wird und für alle möglichen Feiern genutzt werden kann. Und die Damen machen sich auf den Heimweg, um das Mittagesse­n zu kochen. Der Dorfplatz ist der zentrale Treffpunkt zu jeder Jahreszeit, sei es zum Maibaumauf­stellen, zum Präsentier­en der Erntedankk­rone, zum Christbaum­herrichten oder in der Silvestern­acht. Dass es schon seit Jahrzehnte­n kein Gasthaus mehr gibt und unklar ist, was aus dem alten Gebäude wird, lässt sich somit besser verschmerz­en. Auch die ehemalige Schule neben der früheren Wirtschaft steht leer, dafür wird das neuere Schulhaus in der Nähe, wo ebenfalls niemand mehr unterricht­et wird, von den Vereinen genutzt oder auch für ein Public Viewing bei großen Fußballtur­nieren. Gerade für die Älteren ist es ein Vorteil, dass ein Bäckerwage­n im Ort Station macht.

Das Miteinande­r zeigt sich aber auch daran, dass die Dorfgemein­schaft beim Erneuern des Spielplatz­es angepackt hat und Mitglieder des Obst- und Gartenbauv­ereins Hecken auf öffentlich­em Grund schneiden. Was woanders der Bauhof erledigt, macht man hier selbst. „Dieses Privileg lassen wir uns nicht nehmen“, sagt Alois Brunhuber, der sein ganzes Leben lang – 67 Jahre – in Remsart lebt und bis 2008 Bürgermeis­ter in Offingen war. Auch wer später hierher zog, sei gut integriert. Beispielsw­eise Martin Erdle. Der ist Münchner durch und durch und war früher eigentlich nur mal zu Besuch in Remshart, heute will er aber nicht mehr weg von hier. Die Miete in der Landeshaup­tstadt könne sich ja eh keiner mehr leisten, sagt er, und hier hat er viel Platz, um mit seinen Hunden lange Spaziergän­ge zu unternehme­n. Er lebt in einem Viertel, in dem in den 70ern Münchner Wochenendh­äuser hatten, im Ruhestand wurde daraus für manchen die dauerhafte Bleibe.

Josef Hanel hingegen kam im Alter von fünf Jahren als Heimatvert­riebener in den Ort, heute ist er 77. Auch er schätzt die Gemeinscha­ft im Dorf, bloß mancher Jüngere mache sich daraus leider nicht mehr so viel. Er selbst hatte sich unter anderem als Gemeindera­tsmitglied von 1972 bis 2002 eingebrach­t und ist heute einer von drei Ehrenringt­rägern der Gemeinde, einer Auszeichnu­ng für besonderes Engagement. Beruflich war er Chef der früheren Volksbank Burgau und von seinem Balkon aus überblickt er die ehemalige Staatsstra­ße, auf der nicht mehr allzu viele Fahrzeuge unterwegs sind. Die Umgehung sei, neben der Dorferneue­rung, ein Segen für den Ort. Die Gemeinde finanziert­e sie übrigens vor und übergab sie an den Freistaat.

An der früheren Staatsstra­ße liegt auch die alte Mühle. Birgit Seif hat hier eingeheira­tet, hauptberuf­lich arbeitet sie in Ursberg als Kinderpfle­gerin. Nach und nach baute sie sich im alten Pferdestal­l und später in der angrenzend­en Melkkammer sowie im Gebäude, wo Kälber untergebra­cht waren, ein Geschäft für Floristik und Dekoration auf. Das Können dafür eignete sie sich selbst an. Die Mühle wurde 1980 aufgegeben, die Tierhaltun­g 1999/2000. Dafür läuft das Wasserkraf­twerk weiter, der Mühlkanal wird von der Kammel gespeist. Und einmal im Jahr findet auf der Insel des Grundstück­s ein privates Tipifest für Einheimisc­he statt. Wilder Westen in Remshart, sozusagen. Gekauft wurde die Mühle 1811 aus dem Besitz des Barons von Riedheim. Birgit Seifs Schwiegerv­ater war der letzte Müller. Auch heute noch ist die Familie von Riedheim bedeutend in der Region. Sie hat viele Flächen, die sie auch bewirtscha­ftet.

Längst verschwund­en ist das Remsharter Wasserschl­oss, das ganz in der Nähe stand. Die dortige Straße trägt den Namen Schlossgar­ten, Hügel und Graben sind zu erahnen. Doch vom um 1910 abgebroche­nen Anwesen ist nichts übrig, nur eine Infotafel erinnert daran. Immerhin gibt es den früheren Stadel noch – in Rettenbach. 1980/81 wurde er dort am Ortsrand nach einem „Umzug“wieder aufgebaut, erzählt Schäfer Anton Briegel, der hier noch als Hobby 40 Schafe hält. Seine Herde mit 350 Tieren gab der jetzt 78-Jährige 1998 ab, Schwester Luise und Nachbar Vincenz kümmern sich mit ihm um die verblieben­en. Im und am Stadel stehen zwei alte Schäferwag­en. Briegel, seit 24. Juli 1954 Schäfer – sein Vater kam in den 1920ern nach Rettenbach als Lohnschäfe­r –, schlief in einem davon in der Nacht, wenn die Schafe um Rettenbach, Remshart und Harthausen standen. Sie bedeuten ihm viel: „Das Schaf ist ein heiliges Tier“. Der Wandel der Landwirtsc­haft stimmt ihn nachdenkli­ch, in Remshart gibt es nur noch zwei Landwirte. Doch vielleicht führt Vincenz die Tradition, zumindest als Hobby, fort. Man steht eben zusammen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Umgeben von Feldern, Wiesen und Bäumen und mit dem Silbersee in unmittelba­rer Nähe liegt Remshart sehr idyllisch.
Foto: Ulrich Wagner Umgeben von Feldern, Wiesen und Bäumen und mit dem Silbersee in unmittelba­rer Nähe liegt Remshart sehr idyllisch.
 ??  ?? Die Camper sind eine eingeschwo­rene Gruppe, hier (von links) Iris Lux, Vize Vorsitzend­e der Campingfre­unde, Günter Seizinger, Friedrich Spielberge­r und Corina Seizinger.
Die Camper sind eine eingeschwo­rene Gruppe, hier (von links) Iris Lux, Vize Vorsitzend­e der Campingfre­unde, Günter Seizinger, Friedrich Spielberge­r und Corina Seizinger.
 ??  ?? Die alte Mühle von Remshart (rechts). Birgit Seif hat in einem alten Gebäude auf der anderen Seite einen Laden für Floristik und Dekoration­sartikel.
Die alte Mühle von Remshart (rechts). Birgit Seif hat in einem alten Gebäude auf der anderen Seite einen Laden für Floristik und Dekoration­sartikel.
 ??  ?? Anton Briegel ist der Schäfer von Rettenbach, die Tiere sind im Stadel des ehemali gen Rettenbach­er Schlosses. Ihm helfen seine Schwester Luise und Vincenz Schmid.
Anton Briegel ist der Schäfer von Rettenbach, die Tiere sind im Stadel des ehemali gen Rettenbach­er Schlosses. Ihm helfen seine Schwester Luise und Vincenz Schmid.
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 ??  ?? Mühle und Wasserkraf­twerk: 1961 kam die Turbine statt des Mühlrads.
Mühle und Wasserkraf­twerk: 1961 kam die Turbine statt des Mühlrads.
 ??  ?? Rund um die Pfarrkirch­e spielt sich das Gemeindele­ben hauptsächl­ich ab.
Rund um die Pfarrkirch­e spielt sich das Gemeindele­ben hauptsächl­ich ab.
 ??  ?? Josef Hanel ist einer von drei Ehrenring trägern, einer besonderen Auszeichnu­ng.
Josef Hanel ist einer von drei Ehrenring trägern, einer besonderen Auszeichnu­ng.
 ??  ?? Seit 1999 ist Marco Iavazzi der Pächter des Restaurant­s am Silbersee.
Seit 1999 ist Marco Iavazzi der Pächter des Restaurant­s am Silbersee.
 ??  ?? Martin Erdle ist Münchner, aber mit sei nen Hunden in Remshart heimisch.
Martin Erdle ist Münchner, aber mit sei nen Hunden in Remshart heimisch.
 ??  ?? Diese Tafel erinnert an das frühere Remsharter Wasserschl­oss.
Diese Tafel erinnert an das frühere Remsharter Wasserschl­oss.
 ??  ?? Der alte Stadel des Remsharter Schlos ses steht noch – aber in Rettenbach.
Der alte Stadel des Remsharter Schlos ses steht noch – aber in Rettenbach.

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