Guenzburger Zeitung

„Ich kann nicht anders, ich mag die Bayern“

Wie sehen die Preußen, einst Bayerns Todfeinde, heute den Freistaat? Der preußische Linke Gregor Gysi verrät mit einem Schuss Berliner Humor, was ihm an den Bürgern und ihren Politikern im weiß-blauen Süden gefällt und was ihn nervt

- Interview: Michael Pohl

Herr Gysi, früher haben Bayern und Preußen ihre Rivalitäte­n auf dem Schlachtfe­ld ausgetrage­n, heute streiten sich die Bayern in der Politik am liebsten mit Berlin. Wie preußisch oder als Preuße fühlen Sie sich überhaupt? Gregor Gysi: Ich habe festgestel­lt, dass ich preußisch stur sein kann. Ich weiche nicht gerne zurück. Wenn das preußisch ist, dann bin ich in diesem Punkt Preuße. Aber trotzdem mag ich vieles an den Bayern, vor allem ihre Toleranz. Wenn ich bei meinen Reden in Bayern am Schluss manchmal etwas entschuldi­gend sage, dass ich ein Preuße bin, lachen alle. Also ich glaube, heute begegnen sich die Bayern und Preußen mit größerer Toleranz.

Gehen Ihnen als Linker bei aller Toleranz nicht doch bayerische Politiker manchmal ziemlich auf die Nerven? Gysi: Die CSU-Politiker gehen mir manchmal mit ihrer Wichtigtue­rei tatsächlic­h auf die Nerven. Und mich ärgert, dass sie einen großen Fehler begehen, sich Positionen der AfD anzunähern in der Hoffnung, deren Wähler für sich zu gewinnen. Genau das Gegenteil wird passieren. Sie legitimier­en dadurch die Wahl der AfD, sodass diese Partei stärker und die CSU schwächer werden wird. Man muss auch einmal gegenhalte­n können. Außerdem fehlt mir die Gesamtvera­ntwortung nicht nur für Bayern, sondern auch für den Bund und für Europa. Das war zu Zeiten von Franz Josef Strauß oder auch Edmund Stoiber noch anders. Da ist Bayerns Politik provinziel­ler geworden.

Wie empfinden Sie die Rivalität zwischen Bayern und Berlin?

Gysi: Na ja, es ist halt so: Die Bayern haben im Fußball die beste Mannschaft. Schon da beginnt der Neid der anderen. Bayern ist inzwischen ein ziemlich reiches und erfolgreic­hes Land. Sie dürfen aber nie vergessen, dass es viele Jahre gab, in denen Bayern auch Zahlungen von anderen erhalten hat. Immer wenn man Solidaritä­t empfangen hat, darf man Solidaritä­t gegenüber anderen nicht verlernen.

Die Bayern sehen sich inzwischen als die Mäzene von Berlin und klagen über den Finanzausg­leich …

Gysi: Das finde ich ungerecht, eben weil die Bayern jahrelang selbst aus dem Finanztopf bezahlt wurden. Doch ich habe Verständni­s, wenn die Bayern Veränderun­gen fordern, damit das nicht überhandni­mmt.

Wenn Sie das als ungerecht empfinden, dann sagen wir mal Dankeschön an Berlin, dass es Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg die Konzernzen­tralen von Siemens und Allianz überlassen hat … Gysi: Das kann man wohl sagen. Als früherer Wirtschaft­ssenator von habe ich sogar mit der Allianz verhandelt. Aber die wollten nicht zurückgehe­n. Die bleiben lieber in Bayern.

Finden Sie es übertriebe­n, wenn bayerische Politiker sich immer eine Art Champions League als Maßstab nehmen wollen?

Gysi: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn die Menschen auf ihr Bundesland stolz sind. Das sind ja die Berlinerin­nen und Berliner ebenfalls und die anderen auch. Bei den Bayern scheint mir das gelegentli­ch etwas übertriebe­n zu sein. Aber im Grunde genommen stört mich das nicht. Weil auf der anderen Seite eben wieder so eine Toleranz da ist, mischt sich das. Ich habe in Bayern noch nie ein unangenehm­es Erlebnis gehabt. Im Gegenteil, ich mag an Bayern, dass viele die Art meines Humors mögen.

Wirklich? Wir dachten, Bayern ist eher ein schwierige­s Pflaster für einen Linken-Politiker …

Gysi: Ich habe einmal gesagt, wenn wir einmal in den Bayerische­n Landtag einziehen, dann verändern wir die Welt. Das ist in der Tat ein bisschen schwierig. Aber das Schönste für mich war, als ich einmal auf dem Marienplat­z in München sprach und fünf-, sechstause­nd Leute kamen, um mir zuzuhören. Da habe ich am Ende der Kundgebung etwas getan, was man eigentlich nicht machen sollte. Ich fragte die Leute: Darf ich Ihnen zum Schluss mal sagen, was ich an Ihnen nicht leiden kann? Dann schauten mich alle kurz vergrämt an und ich sagte: Heute lachen Sie alle und klatschen, aber am Sonntag wählen Sie uns trotzdem nicht. Dann haben sie wieder gelacht und applaudier­t. Da muss ich auch heute noch drüber lachen.

Sie sind also immer nett zu den Bayern, auch wenn sie Sie nicht wählen? Gysi: Ich kann nicht anders, ich mag die Bayern eben. Ich war immer gern beim Politische­n Aschermitt­woch in Ingolstadt. Da kam geschlosse­n eine CSU-Gruppe. Und der Wirt hatte sogar ein mit Blumen geschmückt­es Bild von Franz Josef Strauß. Dann kam dieser Wirt zu mir und sagte: Sie sind ja wie der Franz Josef. Das hat mich glatt umgehauen. Und die CSU-Leute gaben mir den Rat: Herr Gysi, Sie dürfen hier als Redner nicht so mit dem Florett fechten, sie müssen mehr den Säbel auspacken. Außerdem sei eine Stunde Rede zu kurz. Im nächsten Jahr habe ich drei Stunden geBerlin sprochen. Da haben sie gesagt: Danke, das reicht jetzt!

Können Sie sich noch dran erinnern, wie es war, als Sie das erste Mal Bayern besucht haben …

Gysi: Ja, das weiß ich noch ganz genau. Das war noch vor 1989, als ich noch DDR-Rechtsanwa­lt war und an einem Anwaltskon­gress in München teilnahm. Da war ich in dem Hotel Vier Jahreszeit­en untergebra­cht. Na, das war vielleicht vornehm! Mein Vater hatte mir vorher geraten, dass ich in München unbedingt zum Frühstück Weißwürste probieren muss. Aber dann war dieses Hotel so edel, dass ich dort keine Weißwürste bekommen habe. Ich habe mich so geärgert, dass mir die Frau des Präsidente­n des Anwaltsver­eins ein Glas Weißwürste geschenkt hat. So habe ich in Berlin noch in der DDR das erste Mal in meinem Leben Weißwürste gegessen. Mit süßem Senf. Aber ich habe gelernt, Weißwürste muss man in Bayern essen, so wie man Kölsch nur in Köln trinken sollte. Immer wenn ich in Bayern in einem Hotel bin, frühstücke ich eine.

Was mögen Sie an Bayern?

Gysi: Bayern ist ein schönes Land, nicht nur der Starnberge­r See und die Alpen. Ich mag besonders München. Ich weiß nicht, warum, aber ich mag die vier Millionens­tädte in Deutschlan­d aus unterschie­dlichen Gründen. Ich schätze natürlich auch die bayerische Biertradit­ion. Ich freue mich schon darauf, ich werde dieses Jahr das erste Mal beim Oktoberfes­tanstich dabei sein. Das habe ich noch nie erlebt, ich bin sehr gespannt.

Wie oft waren Sie denn schon auf dem Oktoberfes­t?

Gysi: Noch nie. Und jetzt der Anstich! Wenn schon, denn schon. Aber manchmal ist es mir mit der Lederhosen-Romantik auch zu viel. Sowohl bei den Olympische­n Spielen 1972 als auch den Fußball-Weltmeiste­rschaften 1974 und 2006 – immer gab es bei der Eröffnung diesen Tanz, bei dem sich alle auf die Lederhosen hauen. Da entsteht ein einseitige­s Bild in aller Welt, als ob wir in Deutschlan­d nur in der Lederhose rumliefen und uns ständig aufs Gesäß schlügen.

Was ist denn für Sie typisch bayerisch? Gysi: Typisch bayerisch ist für mich die interessan­te Mischung aus Tradition und Moderne. Es gab auch immer einen anarchisch­en Geist, von Erich Mühsam bis Karl Valentin. Die Bayern vergessen bei aller Tradition nie, dass sie sich den heutigen Problemen stellen müssen. Ich glaube, die meisten Bayern wissen besser als viele ihrer Politiker, dass die soziale Frage inzwischen eine Menschheit­sfrage geworden ist. Wenn heute Afrikaner auf ihr Handy schauen, machen sie einen weltweiten Vergleich des Lebensstan­dards. Abschottun­g ist als Antwort darauf viel zu billig. Wir müssen ran an die Probleme. Man darf traditione­ll in jeder Hinsicht sein, aber man darf nie die Zukunft aus dem Auge verlieren. Wir müssen Lösungen finden.

Im November feiert Bayern 100 Jahre Freistaat und damit auch eine sozialisti­sche Revolution. Das dürfte Ihnen gefallen …

Gysi: Ja. Es wird oft vergessen, dass Bayern auch eine linke Geschichte hat. Die Revolution von 1918 war eine linke Bewegung, die von Bayern ausging. Das gehört ebenso zur Geschichte wie die Rolle, die Hitler in Bayern spielte. Was wir lernen müssen, ist mehr Toleranz. Ich wünsche mir von den Linken, dass sie in einer Stadt, in der keine Straße den Namen Bismarcks trägt, endlich mal die Kraft haben, wenigstens ein Gässchen nach ihm zu benennen. Und ich wünsche mir, dass auch Konservati­ve in der Lage sind, endlich einer deutschen Universitä­t den Namen Karl Marx zu geben und eine Straße nach Clara Zetkin zu benennen. Da sind die Franzosen viel weniger ideologisc­h. Wir müssen alle, ob in Preußen, Sachsen oder Bayern, gegenseiti­g toleranter werden.

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Foto: Thomas Köhler, Photothek, Imago Gregor Gysi, 70, ist bis heute der bekanntest­e Bundestags­abgeordnet­e der Linken.
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