Gegen Insektensterben: Vielfalt schlägt Einfalt
Warum draußen im Landkreis Günzburg nicht immer alles sauber und aufgeräumt sein muss und für wen die automatischen Mähroboter durchaus gefährlich werden können
Landkreis Hauptsache abgemäht, sauber und ordentlich. Das sieht schön aus, aber ist das alles wirklich so gut? Das Insektensterben und die Bedrohung der Honigbiene sind nach wie vor in aller Munde. Ein Dominoeffekt, stehen doch Vögel ganz oben an der Nahrungskette. Auch Körnerfresser wie die Amsel benötigen gerade für die Aufzucht ihrer Jungen tierisches Eiweiß.
Seit Jahren setzt sich der Landkreis für Blühflächen ein, aber dies ist nicht alles. Die Nivellierung der Standorte mit gleichem Nährstoffhaushalt und gleichen Bodenverhältnissen sei ein großes Problem, erklärt Ottmar Frimmel von der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt. Alles werde so hergerichtet, dass es stets im optimalen Bereich sei. „Unsere Pflanzenarten haben sich im Laufe der Jahrtausende durch natürliche Auslese genetisch an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst.“Nur durch die jahrhundertelange Pflege und Nutzung durch den Menschen sei diese Artenvielfalt entstanden. Verschwindet eine Pflanze, dann ver- schwinden auch Tierarten, die darin ihre eigene Nische haben und von ihr abhängig sind. Gerade deswegen sei es wichtig, durch den Erhalt der gewachsenen genetischen Vielfalt diese zu fördern und qualitativ hochwertige Lebensräume zu schaffen.
Ein Riesenproblem sei die Eutrophierung, die Anreicherung der Standorte mit unnötigen Nährstoffen, sagt Frimmel. Dass Gartenabfälle in die Biotonne oder auf den Komposthof gehören und nicht in den Wald oder auf die „wilde Wiese“in der freien Natur, das sollte eigentlich klar sein. Das Ökosystem wird damit enorm beeinträchtigt. Ähnlich sieht es beim Mulchen von Flächen aus: Die Böden werden dadurch immer mehr aufgedüngt, es kommt zu Massenwuchs, die Gräser nehmen zu und die Vielfalt der Kräuter wird unterdrückt. „Mulchen ist Gift für die Artenvielfalt. Schnitt- und Mahdgut sollten grundsätzlich abgeräumt werden“, betont Frimmel.
Auch der Mähroboter im eigenen Garten ist nicht das Nonplusultra, auch wenn er eine große Erleichterung darstellt: Wenn die Geräte den Rasen ständig kurz halten, haben viele Blütenpflanzen kaum eine Möglichkeit, sich zu entwickeln. Hinzu kommt: Amphibien, Insekten, Spinnen und kleine Säugetiere können dem leisen Wundergerät ganz schnell zum Opfer fallen. Gerade Igel sind nachtaktiv und keine Fluchttiere. Fährt ein Mähroboter in der Dämmerung oder gar nachts nahezu lautlos durch den Garten, bleibt er vor einem Igel nicht stehen, auch dann nicht, wenn er sich zusammengerollt hat.
Entscheidend ist die richtige Pflege der Flächen. Dazu gehört nicht nur der richtige Mähzeitpunkt, sondern auch die Mähfrequenz, die Mähtechnik und die Schnitttiefe. All dies beeinflusst die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften. Das Potenzial an Bereichen, auf denen Lebensräume erhalten aber auch geschaffen werden können, ist groß. Kommunale Flächen, die nur wenige Male im Jahr oder auf denen verschiedene Bereiche zeitlich versetzt gemäht werden und wo sich ein kräuterreicher Rasen entwickeln könnte, gäbe es genügend, sagt Frimmel. Und wenn zunächst die eine Seite eines Weges oder eines Grabens und einige Wochen später die andere Seite gemäht wird, dann hat das sehr wohl seinen Sinn: Es erhält wichtige Lebensräume.
Platz gäbe es auch für Altgrasstreifen oder Bereiche, die gar nicht gemäht werden und einmal ein oder zwei Jahre stehen bleiben. Diese verbessern nicht nur die Lebensbereiche für Tagfalter, Heuschrecken, Libellen und Kleinsäuger, auch in kleinen Flächen tragen sie wesentlich zu deren Erhalt bei. Dasselbe gilt für stehendes Tot- und Trockenholz abgestorbener Bäume, aber auch für bereits auf dem Boden liegendes Moderholz: Es zählt zu den lebendigsten Lebensräumen, von denen viele Insekten profitieren und die gleichzeitig wieder Nahrungsquelle für andere Arten sind.
Aber: Nicht immer stößt dies bei der Bevölkerung auf Akzeptanz. Das Natur- und Umweltschutzdenken habe zwar zugenommen – dies sei die eine Seite, sagt Frimmel. Die andere aber sei: Manche wollten eben die intensiv gepflegten und die „geschleckten“Flächen. Tatsache ist: Ökologische Pflege hat nichts mit Nachlässigkeit, Schlampigkeit oder gar mit Faulheit zu tun – auch wenn Vertreter oder Mitarbeiter von Kommunen von diesem Kreis dafür oftmals Kritik einstecken müssen.
„Der Trend ist eindeutig vorhanden und das Thema wird sowohl im Landkreis als auch bei den Kommunen sehr ernst genommen“, bestätigt Frimmel. Wichtig sei, die Bürger über Sinn und Zweck der Maßnahmen aufzuklären. Der Landkreis sei in engem Kontakt mit den Kommunen wie auch mit der Straßenbauverwaltung – auch hinsichtlich von Pflegekonzepten.
Inzwischen finden sich im Landkreis Firmen, die ebenfalls so denken, auch größere. Denn gerade dort gibt es Flächen, die ein riesiges Potenzial bieten: nicht mit intensiv gepflegtem, dafür trostlosem englischem Rasen, sondern mit Blumenrasen oder mit Blühstreifen.
Naturschutz könne nicht verordnet werden, er müsse im Kopf sein und jeder einzelne könne etwas dafür tun. Naturschutz brauche aber auch langen Atem und Kontinuität. Und dazu seien eben Kreativität, intelligente Lösungen, Toleranz und Flexibilität gefragt, betont Frimmel.