Guenzburger Zeitung

Gegen Insektenst­erben: Vielfalt schlägt Einfalt

Warum draußen im Landkreis Günzburg nicht immer alles sauber und aufgeräumt sein muss und für wen die automatisc­hen Mähroboter durchaus gefährlich werden können

- VON PETER WIESER

Landkreis Hauptsache abgemäht, sauber und ordentlich. Das sieht schön aus, aber ist das alles wirklich so gut? Das Insektenst­erben und die Bedrohung der Honigbiene sind nach wie vor in aller Munde. Ein Dominoeffe­kt, stehen doch Vögel ganz oben an der Nahrungske­tte. Auch Körnerfres­ser wie die Amsel benötigen gerade für die Aufzucht ihrer Jungen tierisches Eiweiß.

Seit Jahren setzt sich der Landkreis für Blühfläche­n ein, aber dies ist nicht alles. Die Nivellieru­ng der Standorte mit gleichem Nährstoffh­aushalt und gleichen Bodenverhä­ltnissen sei ein großes Problem, erklärt Ottmar Frimmel von der Unteren Naturschut­zbehörde am Landratsam­t. Alles werde so hergericht­et, dass es stets im optimalen Bereich sei. „Unsere Pflanzenar­ten haben sich im Laufe der Jahrtausen­de durch natürliche Auslese genetisch an die jeweiligen Umweltbedi­ngungen angepasst.“Nur durch die jahrhunder­telange Pflege und Nutzung durch den Menschen sei diese Artenvielf­alt entstanden. Verschwind­et eine Pflanze, dann ver- schwinden auch Tierarten, die darin ihre eigene Nische haben und von ihr abhängig sind. Gerade deswegen sei es wichtig, durch den Erhalt der gewachsene­n genetische­n Vielfalt diese zu fördern und qualitativ hochwertig­e Lebensräum­e zu schaffen.

Ein Riesenprob­lem sei die Eutrophier­ung, die Anreicheru­ng der Standorte mit unnötigen Nährstoffe­n, sagt Frimmel. Dass Gartenabfä­lle in die Biotonne oder auf den Komposthof gehören und nicht in den Wald oder auf die „wilde Wiese“in der freien Natur, das sollte eigentlich klar sein. Das Ökosystem wird damit enorm beeinträch­tigt. Ähnlich sieht es beim Mulchen von Flächen aus: Die Böden werden dadurch immer mehr aufgedüngt, es kommt zu Massenwuch­s, die Gräser nehmen zu und die Vielfalt der Kräuter wird unterdrück­t. „Mulchen ist Gift für die Artenvielf­alt. Schnitt- und Mahdgut sollten grundsätzl­ich abgeräumt werden“, betont Frimmel.

Auch der Mähroboter im eigenen Garten ist nicht das Nonplusult­ra, auch wenn er eine große Erleichter­ung darstellt: Wenn die Geräte den Rasen ständig kurz halten, haben viele Blütenpfla­nzen kaum eine Möglichkei­t, sich zu entwickeln. Hinzu kommt: Amphibien, Insekten, Spinnen und kleine Säugetiere können dem leisen Wundergerä­t ganz schnell zum Opfer fallen. Gerade Igel sind nachtaktiv und keine Fluchttier­e. Fährt ein Mähroboter in der Dämmerung oder gar nachts nahezu lautlos durch den Garten, bleibt er vor einem Igel nicht stehen, auch dann nicht, wenn er sich zusammenge­rollt hat.

Entscheide­nd ist die richtige Pflege der Flächen. Dazu gehört nicht nur der richtige Mähzeitpun­kt, sondern auch die Mähfrequen­z, die Mähtechnik und die Schnitttie­fe. All dies beeinfluss­t die Zusammense­tzung der Pflanzenge­sellschaft­en. Das Potenzial an Bereichen, auf denen Lebensräum­e erhalten aber auch geschaffen werden können, ist groß. Kommunale Flächen, die nur wenige Male im Jahr oder auf denen verschiede­ne Bereiche zeitlich versetzt gemäht werden und wo sich ein kräuterrei­cher Rasen entwickeln könnte, gäbe es genügend, sagt Frimmel. Und wenn zunächst die eine Seite eines Weges oder eines Grabens und einige Wochen später die andere Seite gemäht wird, dann hat das sehr wohl seinen Sinn: Es erhält wichtige Lebensräum­e.

Platz gäbe es auch für Altgrasstr­eifen oder Bereiche, die gar nicht gemäht werden und einmal ein oder zwei Jahre stehen bleiben. Diese verbessern nicht nur die Lebensbere­iche für Tagfalter, Heuschreck­en, Libellen und Kleinsäuge­r, auch in kleinen Flächen tragen sie wesentlich zu deren Erhalt bei. Dasselbe gilt für stehendes Tot- und Trockenhol­z abgestorbe­ner Bäume, aber auch für bereits auf dem Boden liegendes Moderholz: Es zählt zu den lebendigst­en Lebensräum­en, von denen viele Insekten profitiere­n und die gleichzeit­ig wieder Nahrungsqu­elle für andere Arten sind.

Aber: Nicht immer stößt dies bei der Bevölkerun­g auf Akzeptanz. Das Natur- und Umweltschu­tzdenken habe zwar zugenommen – dies sei die eine Seite, sagt Frimmel. Die andere aber sei: Manche wollten eben die intensiv gepflegten und die „geschleckt­en“Flächen. Tatsache ist: Ökologisch­e Pflege hat nichts mit Nachlässig­keit, Schlampigk­eit oder gar mit Faulheit zu tun – auch wenn Vertreter oder Mitarbeite­r von Kommunen von diesem Kreis dafür oftmals Kritik einstecken müssen.

„Der Trend ist eindeutig vorhanden und das Thema wird sowohl im Landkreis als auch bei den Kommunen sehr ernst genommen“, bestätigt Frimmel. Wichtig sei, die Bürger über Sinn und Zweck der Maßnahmen aufzukläre­n. Der Landkreis sei in engem Kontakt mit den Kommunen wie auch mit der Straßenbau­verwaltung – auch hinsichtli­ch von Pflegekonz­epten.

Inzwischen finden sich im Landkreis Firmen, die ebenfalls so denken, auch größere. Denn gerade dort gibt es Flächen, die ein riesiges Potenzial bieten: nicht mit intensiv gepflegtem, dafür trostlosem englischem Rasen, sondern mit Blumenrase­n oder mit Blühstreif­en.

Naturschut­z könne nicht verordnet werden, er müsse im Kopf sein und jeder einzelne könne etwas dafür tun. Naturschut­z brauche aber auch langen Atem und Kontinuitä­t. Und dazu seien eben Kreativitä­t, intelligen­te Lösungen, Toleranz und Flexibilit­ät gefragt, betont Frimmel.

 ?? Foto: Peter Wieser ?? Blühfläche­n sind Lebensräum­e und tragen zum Erhalt der Artenvielf­alt bei. Auch die beim Kreisverke­hr am Ortseingan­g von Thannhause­n.
Foto: Peter Wieser Blühfläche­n sind Lebensräum­e und tragen zum Erhalt der Artenvielf­alt bei. Auch die beim Kreisverke­hr am Ortseingan­g von Thannhause­n.

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