Eine Ruine wird zum Glücksfall
Architekt Jörg Schmitz hat eines der ältesten Häuser Ulms saniert. In dem Gebäude stecken viele Geschichten
Ulm Dieses Haus in der Ulmer Büchsengasse kann eine Geschichte erzählen. Oder besser gesagt: jede Menge Andeutungen. Dass sie nicht verloren gegangen sind, liegt an Jörg Schmitz. 28 Jahre lang war der Architekt Stadtbildpfleger von Ulm, seit 1. März ist er im Ruhestand. Der 65-Jährige hat das Haus in der Büchsengasse 12, eines der ältersten in Ulm, vor dem Verfall gerettet. Für die Sanierung haben er und Bauherr Dieter Benz den Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg erhalten. Das Preisgeld von 5000 Euro ist angesichts von 1,5 Millionen Euro Kosten für die Sanierung kaum der Rede wert. Doch die Auszeichnung ist renommiert. „Eine Bestätigung“, sagt Schmitz.
In der Büchsengasse 12 ist innen außen und außen innen. Die beeindruckende Fachwerkfassade mit roten Balken sieht nur, wer den Innenhof betritt. Der, wünscht sich Schmitz, soll am besten immer geöffnet sein, damit ihn jeder ansehen kann. Ein Teil der früheren Fachwerk-Außenwand aus dem Jahr 1408 ist schon vor Jahrhunderten Teil der Innenwand geworden. 1618 wurde das heutige Vorderhaus errichtet und an das Fachwerk-Hinterhaus angedockt. Dort, an der Innenwand, sind noch heute Holzbalken aus dem Mittelalter erhalten.
Wer sucht, findet Details aus vergangenen Jahrhunderten. Farbreste, Fensterbeschläge und eine Zeichnung, die unter dem Putz verborgen war. Es war wohl ein Handwerker, der die Ulmer Dreifaltigkeitskirche mit ihrem Zwiebelturm dort verewigt hat. Den Sakralbau an der Neuen Straße nutzt heute die Evangelische Gesamtkirchengemeinde als Haus der Begegnung.
Die historischen Bauherren müssen betucht gewesen sein. Denn die Balken im Vorderhaus aus dem 17. Jahrhundert sind mit Malachit grün gefärbt – mit gemahlenem Halbedelstein. Ein teurer Luxus. „Das Mittelalter war bunt“, sagt Schmitz. Er ließ die Handwerker zum gleichen Material greifen, damit alles so originalgetreu wie möglich ist.
Die ersten Bewohner im neueren Teil waren wohl Offiziere. Vielleicht lebte hier der Büchsenmeister? Zum Büchsenstadel, dem historischen Waffenlager, sind es nur ein paar Schritte. Als es ins Zeughaus verlegt wurde, verließen die Offiziere die Büchsengasse 12, das belegen Aufzeichnungen. Und während sich im ersten Stock eine große, hohe Halle befand, waren die Räume im Erdgeschoss einzelne Zellen, die nicht miteinander verbunden waren. Hier wurde experimentiert, vermutet der Architekt. Von den Büchsenmeistern? Oder doch eher vom jüdischen Apotheker, der im Zeitalter des Barock dort lebte? Darüber lässt sich spekulieren.
Wenn Jörg Schmitz durch die Straßen Ulms geht, fallen ihm Bau- auf. Dabei geht es dem 65-Jährigen nicht um Geschmacksfragen. Schmitz stört sich an Häusern, die zu stark umgestaltet wurden. An Häusern, die nicht ins Stadtbild passen. „Das Gebäude sagt, wie es sein soll“, erklärt er. Der Architekt mag die mittelalterlichen Dächer, er stört sich an Flachbauten in der Innenstadt. Denn die Häuser stehen in einer Beziehung zueinander. So wie in der Büchsengasse. Die Fenster der Zimmer im ersten Stock von Haus Nummer 12, wo eine Fallschirmschule ihr Büro hat, gehen nach Norden. Dennoch sind die Räume lichtdurchflutet, weil die hellen Wände der Häuser gegenüber das Licht spiegeln. Und wer von weiter oben aus den Fenstern nach Süden schaut, sieht das Münster und spitze Dächer alter Häuser.
Nicht alles ist alt geblieben in der Büchsengasse 12. Schmitz hat einen Teil der Fassade im Erdgeschoss, wo ein Kosmetikstudio eingezogen ist, verglasen lassen. Auch die Tür vor der Treppe zu den Wohnungen und zum Büro ist aus Glas. In die alten Räume hat er moderne Toiletten und Badezimmer einbauen lassen und in die Wohnräume offene Treppen. Der Blick auf die Fenster, die Holzbalken und die Ebenen des Gebäudes soll frei sein. Und es soll erkennbar bleiben, was alt ist und was neu. Die Sanierung hat der Architekt mit den Denkmalschutzbehörden abgestimmt. „Da muss man fast jeden Hammerschlag absprechen“, sagt Schmitz. Er schätzt diese Absprachen, die ihm viele Ideen gebracht haben. Das Urteil der Jury des Denkmalschutzpreises ist besünden geistert: Von überdurchschnittlicher Sorgfalt und von handwerklicher und restauratorischer Qualität ist darin die Rede. Dass Privatleute ein Haus so liebevoll und aufwendig herrichten, ist keine Selbstverständlichkeit. Wer dabei aufs Geld schaut, gesteht Schmitz, wird nicht glücklich. Der Architekt konnte sich auf seinen Schwiegervater verlassen. Der Ulmer Apotheker Dieter Benz übernahm die Rolle des Bauherrn. Schmitz hätte die Finanzierung selbst nicht stemmen können.
Der Zustand des Hauses war vor der Sanierung „wirklich erbärmlich“, wie der 65-Jährige sagt. Das Gebäude stand mehr als 50 Jahre leer. 1970 hatte die damalige Eigentümerin mit der Restaurierung begonnen. Doch die Behörden stoppten den dilettantischen Versuch. Daraufhin ließ die Eigentümerin das Haus verfallen. Nach ihrem Tod stand es zum Verkauf. Schmitz war sicher, dass hinter der verwahrlosten Fassade mehr steckt. Benz und er schlugen zu – und die Arbeit begann. Der Innenhof war mit einem Toiletten-Anbau aus den 30er Jahren zugebaut, vom Fachwerk war dank mehrerer Putzschichten nichts zu sehen, die breiten Eingangstüren waren verengt. Schmitz legte nicht alles von Beginn an fest, vieles ergab sich während der Arbeiten. „Es gab jeden Tag neue Entscheidungen“, erinnert er sich. Zwei Jahre wurde saniert, im Frühjahr 2018 zogen die Mieter ein. „Das sind Glücksfälle im Leben“, sagt Schmitz über Sanierungen wie diese. Er hat einige historische Ulmer Häuser hergerichtet: „Ich hatte einige Glücksfälle.“