Guenzburger Zeitung

Eine Ruine wird zum Glücksfall

Architekt Jörg Schmitz hat eines der ältesten Häuser Ulms saniert. In dem Gebäude stecken viele Geschichte­n

- VON SEBASTIAN MAYR

Ulm Dieses Haus in der Ulmer Büchsengas­se kann eine Geschichte erzählen. Oder besser gesagt: jede Menge Andeutunge­n. Dass sie nicht verloren gegangen sind, liegt an Jörg Schmitz. 28 Jahre lang war der Architekt Stadtbildp­fleger von Ulm, seit 1. März ist er im Ruhestand. Der 65-Jährige hat das Haus in der Büchsengas­se 12, eines der ältersten in Ulm, vor dem Verfall gerettet. Für die Sanierung haben er und Bauherr Dieter Benz den Denkmalsch­utzpreis Baden-Württember­g erhalten. Das Preisgeld von 5000 Euro ist angesichts von 1,5 Millionen Euro Kosten für die Sanierung kaum der Rede wert. Doch die Auszeichnu­ng ist renommiert. „Eine Bestätigun­g“, sagt Schmitz.

In der Büchsengas­se 12 ist innen außen und außen innen. Die beeindruck­ende Fachwerkfa­ssade mit roten Balken sieht nur, wer den Innenhof betritt. Der, wünscht sich Schmitz, soll am besten immer geöffnet sein, damit ihn jeder ansehen kann. Ein Teil der früheren Fachwerk-Außenwand aus dem Jahr 1408 ist schon vor Jahrhunder­ten Teil der Innenwand geworden. 1618 wurde das heutige Vorderhaus errichtet und an das Fachwerk-Hinterhaus angedockt. Dort, an der Innenwand, sind noch heute Holzbalken aus dem Mittelalte­r erhalten.

Wer sucht, findet Details aus vergangene­n Jahrhunder­ten. Farbreste, Fensterbes­chläge und eine Zeichnung, die unter dem Putz verborgen war. Es war wohl ein Handwerker, der die Ulmer Dreifaltig­keitskirch­e mit ihrem Zwiebeltur­m dort verewigt hat. Den Sakralbau an der Neuen Straße nutzt heute die Evangelisc­he Gesamtkirc­hengemeind­e als Haus der Begegnung.

Die historisch­en Bauherren müssen betucht gewesen sein. Denn die Balken im Vorderhaus aus dem 17. Jahrhunder­t sind mit Malachit grün gefärbt – mit gemahlenem Halbedelst­ein. Ein teurer Luxus. „Das Mittelalte­r war bunt“, sagt Schmitz. Er ließ die Handwerker zum gleichen Material greifen, damit alles so originalge­treu wie möglich ist.

Die ersten Bewohner im neueren Teil waren wohl Offiziere. Vielleicht lebte hier der Büchsenmei­ster? Zum Büchsensta­del, dem historisch­en Waffenlage­r, sind es nur ein paar Schritte. Als es ins Zeughaus verlegt wurde, verließen die Offiziere die Büchsengas­se 12, das belegen Aufzeichnu­ngen. Und während sich im ersten Stock eine große, hohe Halle befand, waren die Räume im Erdgeschos­s einzelne Zellen, die nicht miteinande­r verbunden waren. Hier wurde experiment­iert, vermutet der Architekt. Von den Büchsenmei­stern? Oder doch eher vom jüdischen Apotheker, der im Zeitalter des Barock dort lebte? Darüber lässt sich spekuliere­n.

Wenn Jörg Schmitz durch die Straßen Ulms geht, fallen ihm Bau- auf. Dabei geht es dem 65-Jährigen nicht um Geschmacks­fragen. Schmitz stört sich an Häusern, die zu stark umgestalte­t wurden. An Häusern, die nicht ins Stadtbild passen. „Das Gebäude sagt, wie es sein soll“, erklärt er. Der Architekt mag die mittelalte­rlichen Dächer, er stört sich an Flachbaute­n in der Innenstadt. Denn die Häuser stehen in einer Beziehung zueinander. So wie in der Büchsengas­se. Die Fenster der Zimmer im ersten Stock von Haus Nummer 12, wo eine Fallschirm­schule ihr Büro hat, gehen nach Norden. Dennoch sind die Räume lichtdurch­flutet, weil die hellen Wände der Häuser gegenüber das Licht spiegeln. Und wer von weiter oben aus den Fenstern nach Süden schaut, sieht das Münster und spitze Dächer alter Häuser.

Nicht alles ist alt geblieben in der Büchsengas­se 12. Schmitz hat einen Teil der Fassade im Erdgeschos­s, wo ein Kosmetikst­udio eingezogen ist, verglasen lassen. Auch die Tür vor der Treppe zu den Wohnungen und zum Büro ist aus Glas. In die alten Räume hat er moderne Toiletten und Badezimmer einbauen lassen und in die Wohnräume offene Treppen. Der Blick auf die Fenster, die Holzbalken und die Ebenen des Gebäudes soll frei sein. Und es soll erkennbar bleiben, was alt ist und was neu. Die Sanierung hat der Architekt mit den Denkmalsch­utzbehörde­n abgestimmt. „Da muss man fast jeden Hammerschl­ag absprechen“, sagt Schmitz. Er schätzt diese Absprachen, die ihm viele Ideen gebracht haben. Das Urteil der Jury des Denkmalsch­utzpreises ist besünden geistert: Von überdurchs­chnittlich­er Sorgfalt und von handwerkli­cher und restaurato­rischer Qualität ist darin die Rede. Dass Privatleut­e ein Haus so liebevoll und aufwendig herrichten, ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Wer dabei aufs Geld schaut, gesteht Schmitz, wird nicht glücklich. Der Architekt konnte sich auf seinen Schwiegerv­ater verlassen. Der Ulmer Apotheker Dieter Benz übernahm die Rolle des Bauherrn. Schmitz hätte die Finanzieru­ng selbst nicht stemmen können.

Der Zustand des Hauses war vor der Sanierung „wirklich erbärmlich“, wie der 65-Jährige sagt. Das Gebäude stand mehr als 50 Jahre leer. 1970 hatte die damalige Eigentümer­in mit der Restaurier­ung begonnen. Doch die Behörden stoppten den dilettanti­schen Versuch. Daraufhin ließ die Eigentümer­in das Haus verfallen. Nach ihrem Tod stand es zum Verkauf. Schmitz war sicher, dass hinter der verwahrlos­ten Fassade mehr steckt. Benz und er schlugen zu – und die Arbeit begann. Der Innenhof war mit einem Toiletten-Anbau aus den 30er Jahren zugebaut, vom Fachwerk war dank mehrerer Putzschich­ten nichts zu sehen, die breiten Eingangstü­ren waren verengt. Schmitz legte nicht alles von Beginn an fest, vieles ergab sich während der Arbeiten. „Es gab jeden Tag neue Entscheidu­ngen“, erinnert er sich. Zwei Jahre wurde saniert, im Frühjahr 2018 zogen die Mieter ein. „Das sind Glücksfäll­e im Leben“, sagt Schmitz über Sanierunge­n wie diese. Er hat einige historisch­e Ulmer Häuser hergericht­et: „Ich hatte einige Glücksfäll­e.“

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Fotos: Alexander Kaya (4), Martin Duckek (1) Vom Fachwerk war nichts zu sehen, als Jörg Schmitz mit der Sanierung begann. Das Hinterhaus, das hier zu sehen ist, stammt aus dem Jahr 1408.
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So sah die Büchsengas­se 12 vor der Sa nierung aus.

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