Guenzburger Zeitung

Unerwünsch­ter Lebensrett­er

Der 21-jährige Sanna Kallow hat einen Mann von den Bahngleise­n gezogen. Er selbst lebt derzeit in großer Ungewisshe­it

- VON ARIANE ATTRODT

Nersingen Es ist halb sechs Uhr abends, als Sanna Kallow am Donnerstag vergangene­r Woche an der geschlosse­nen Bahnschran­ke am Ortsausgan­g Leibi steht. Der 21-Jährige aus Gambia ist auf dem Weg zum Zug, mit dem er in seine Unterkunft nach Illertisse­n fährt. Auf einmal sieht er einen Mann auf den Gleisen laufen, um ihn herum schreien Leute, der Zug ist schon in Sicht. Kallow zögert nicht: Er springt über die geschlosse­ne Schranke, rennt zu dem Mann und zerrt ihn vom Gleis

„Er hat mich noch geschlagen“, sagt der 21-Jährige auf Deutsch, lächelt und reibt sich über seinen rechten Mundwinkel. Dass er den Mann gerettet hat, sei für ihn selbstvers­tändlich gewesen. Er sagt ein englisches Sprichwort, das übersetzt bedeutet: „Wenn du Gutes tust, kommt das Gute zurück zu dir.“Und auf Gutes hofft Kallow – nämlich, dass er eine Duldung in Deutschlan­d bekommt und damit endlich seine Ausbildung beim Gartenund Landschaft­sbau Bergles & Schauer in Leibi beginnen kann.

Bevor Kallow nach Deutschlan­d kam, hat er in Gambia als Landhelfer gearbeitet. Doch eines Tages geschah das Unglück: Kallow, der als Waise bei seiner Großmutter wohnte, wollte, wie das in Gambia üblich ist, das abgeerntet­e Feld abbrennen. Doch die Flammen griffen auf weitere Felder, eine Lagerhütte voll mit Mais und den Friedhof im Dorf über und zerstörten sie. Es habe schon einmal einen solchen Vorfall gegeben – derjenige war damals vom Dorf so dermaßen verprügelt worden, dass er später gestorben ist. Also flüchtete er 2012 über den Senegal – und kam zwei Jahre später in Deutschlan­d an.

2017 hat er sein erstes Praktikum bei der Firma Bergles & Schauer gemacht, machte anschließe­nd eine Qualifizie­rungsmaßna­hme. „Eigentlich wäre jetzt seine Ausbildung gestartet“, sagt Wolfgang Bergles, einer der beiden Geschäftsf­ührer. Doch Kallows Asylantrag wurde abgelehnt. „De facto gibt es in Gambia keine Todesstraf­e mehr“, sagt Bergles, es bestehe somit offiziell keine Gefahr für Leib und Leben. Auch, wenn er das grundsätzl­ich verstehen könne, betont Bergles: „Aber in Gambia ticken die Uhren einfach anders. Die Polizei kommt erst, wenn es eskaliert.“Vor dem Zorn seines Dorfs könne man Kallow nicht schützen – und er könne auch nicht einfach in einen anderen Ort ziehen.

Deshalb will Bergles jetzt eine Duldung für Kallow erwirken, also eine vorübergeh­ende Aussetzung der Abschiebun­g. Nach der sogenannte­n „3+2-Regelung“darf ein Flüchtling, der eine Ausbildung sicher hat, diese abschließe­n und anschließe­nd zwei Jahre einer Tätigkeit nachgehen. Ist derjenige dann nicht auf staatliche Unterstütz­ung angewiesen, darf er bleiben. Ein „tolles Gesetz“, findet Bergles, der in einem dicken Ordner alle Unterlagen, zudem wichtige E-Mails und Gesetzeste­xte gesammelt hat.

Das Problem: Kallow hat keinen offizielle­n Identitäts­nachweis, der Pass wird in Gambia erst mit 18 Jahren ausgestell­t. Ob eine Geburtsurk­unde ausreicht, liege immer im Ermessen der zuständige­n Behörde, so Bergles. Und an dieses Dokument komme man ja nicht so einfach heran. Er hofft, dass der Duldung, über die in vier Wochen entschiede­n wird, am Ende zugestimmt wird, schließlic­h sei Kallow „absolut gut“integriert, hat auch die Ausbildung sicher. „Seit eineinhalb Jahren investiere­n wir ja in ihn, es ist ja nicht so, dass er uns Geld bringt.“Auf der anderen Seite sagt Bergles: „Ich verstehe auch, dass man bei uns nicht jemanden ausbilden kann, von dem man nicht weiß, wer er ist.“s

Die Ungewisshe­it setzt Kallow zu: „Ich schlafe in diesen Tagen nicht in meinem Zimmer“, erklärt er. Er hat Angst vor der Polizei. Erst vor ein paar Tagen sei sie mitten in der Nacht vorbeigeko­mmen. Zugleich macht er sich Sorgen um seine Großmutter. Sie wurde zwar mittlerwei­le in einem anderen Dorf aufgenomme­n, wird aber immer noch bedroht. „Ab und zu telefonier­en wir“, erzählt Kallow in fließendem Englisch. Aber dann weine seine Oma immer sehr viel.

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Foto: Horst Hörger Sanna Kallow hat am Donnerstag ver gangener Woche in Nersingen einen Mann von den Gleisen der Bahnstreck­e gezogen.

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