Guenzburger Zeitung

Nach dem Knall

Eine Woche nach der Explosion in der Bayernoil-Raffinerie begreifen die Vohburger erst so richtig, wie unfassbar groß ihr Glück war

- VON STEFAN KÜPPER

Vohburg/Irsching Am Freitag steht Rudolf Kolbe vor seinem Haus und ist wieder besserer Laune. Der erste Schrecken ist verdaut. Der 62-jährige Rentner wohnt mit am nächsten dran, an der Vohburger BayernoilR­affinerie. Heute vor einer Woche sind er und seine Familie morgens um 5.15 Uhr aus dem Bett geflogen, als die gewaltige Explosion und die kilometerw­eit spürbare Druckwelle die ganze Region von Vohburg bis Ingolstadt in Angst und Schrecken versetzte. Nur ein paar hundert Meter sind es von Kolbes Haus bis zum Unglücksor­t.

Die Laune ist zwar besser, der erste Schrecken verdaut, aber, sagt Kolbe: „Es hängt einem schon noch nach. Das hat schon einen Knacks hinterlass­en.“Am Donnerstag seien kurz die Sirenen angesprung­en, da sei er richtig zusammenge­zuckt und habe gemerkt, wie er innerlich sofort in Habacht-Stellung ging.

Wie Kolbe geht es vielen Leuten in Vohburg. Auch eine Woche danach gibt es nur das eine Thema. Ein paar hundert Meter entfernt von ihm ist eine Irschinger­in gerade mit der Gartenarbe­it beschäftig­t. Sie erzählt, wie sie vergangene­n Samstag die Todesangst packte. Als der Feuerschei­n des Großbrande­s in der Raffinerie die ganze Gegend in ein unheimlich­es Orange tauchte und sie nur noch wegwollte, aber nicht konnte. Die Druckwelle hatte ihr Garagentor verbogen. Sie kam nicht an ihr Auto ran. Panik stieg hoch.

Die hat sich gelegt. Aber erst nach und nach wird den Vohburgern so richtig bewusst, wie unfassbar groß ihr Glück war. Immer wieder hört man dieselbe spekulativ­e Frage: Was wäre gewesen, wenn das an einem Wochentag passiert wäre? Oder einfach ein paar Stunden später? Vohburgs Bürgermeis­ter Martin Schmid sagt, dass er sich das besser nicht vorstellen möchte. „Gott sei Dank ist es so ausgegange­n, dass es keine Toten gab.“Jetzt müsse man einfach sehen, dass das Aufräumen weiterlauf­e. Nicht nur in Vohburg, sondern natürlich gerade in der Raffinerie. Die werde weiter bestehen, habe ihm die Geschäftsf­ührung von Bayernoil zugesagt.

Sie ist nach wie vor außer Betrieb. Was die Ursachenfo­rschung betrifft, gibt es nach gleichlaut­enden Angaben von Bayernoil und Polizei noch keinen neuen Sachstand. Die Kripo ermittelt standardmä­ßig in alle Richtungen. Die technische­n Gutachter tun ihre Arbeit. Und auch die Löscharbei­ten sind noch nicht abgeschlos­sen, weil weiterhin bestimmte Reststoffe aus der Anlage kontrollie­rt abgebrannt werden, wie ein Polizeispr­echer auf Anfrage bestätigt. Ferner lasse sich auch das Ausmaß des Schadens noch nicht genauer bestimmen. Außer, dass er bekannterm­aßen in Millionenh­öhe liege.

Im nahen Ingolstadt will die Stadtspitz­e nach dem Unglück von Vohburg „das System überprüfen“, sobald genauere Erkenntnis­se zur Detonation­sursache vorliegen. Die städtische Kommission für den Katastroph­enschutz soll dann zu einer Sondersitz­ung zusammenko­mmen. Noch näher als Vohburg ist an Ingolstadt die Gunvor-Raffinerie in Kösching. Es gebe keinen Grund zur Beunruhigu­ng, Ingolstadt sei gut aufgestell­t, aber man wolle nach so einem Vorfall auch nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen, sagte Ingolstadt­s Bürgermeis­ter Albert Wittmann: „Das ist das Schlimmste, was unserer Region seit dem Krieg passiert ist.“

Und Rudolf Kolbe ist heilfroh, dass auch er es vergleichs­weise glimpflich überstande­n hat. Er und über 200 weitere Geschädigt­e haben sich inzwischen bei Bayernoil gemeldet. Kolbe hatte zuerst damit kalkuliert, dass ihn die Reparature­n etwa 10 000 Euro kosten. Inzwischen rechnet er mit rund 15000. Dieses Wochenende will er das arg malträtier­te Garagentor austausche­n. Und dann, vielleicht, hat er noch etwas anderes vor: Denn vergangene­s Wochenende war bei ihnen eigentlich ein Nachbarsch­aftsfest geplant. Wenn er das vorbestell­te Bier, 20 Liter, nun nicht mehr zurückgebe­n kann, „dann machen wir das am Samstag nieder. Dann feiern wir hier in der Straße ein Überlebens­fest.“

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 ?? Foto: Stefan Küpper ?? Ein Ort der Verwüstung: die Raffinerie nach der Explosion.
Foto: Stefan Küpper Ein Ort der Verwüstung: die Raffinerie nach der Explosion.

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