Guenzburger Zeitung

Jacobs narrischer Schmeichel

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Das Musical, das 1933 in New York Premiere hatte, kennt man heute kaum noch. Aber ein Lied daraus hat es als Ohrwurm zu dauerhafte­m Rum gebracht. Texter Jacob Jacobs und Komponist Sholom Secunda hatten den größten Welterfolg in einer der interessan­testen und historisch belastetst­en Sprachen geschaffen: „Bei mir bistu shein“beginnt das Lied im jiddischen Original. Auch die weiter verbreitet­e englische Version ver- zichtet – in „englischer“Schreibwei­se – nicht auf die Anfangszei­le: „Bey mir bistu sheyn.“

Die Ähnlichkei­t des Textes mit dem Deutschen ist unüberhörb­ar. Tatsächlic­h ist die jiddische Sprache ein mit hebräische­n und slawischen Elementen angereiche­rtes Deutsch, wie es die Juden Europas seit dem Mittelalte­r sprachen – von Deutschlan­d bis tief hinein in die Schtetl Osteuropas. Dann kam die Tragödie. Der Mord der Nazis an den Juden versetzte auch dieser traditions­reichen Sprache

fast den Todesstoß. Denn für die Überlebend­en bekam das Jiddische einen bitteren Beigeschma­ck. Zu eng war die Verwandtsc­haft zur Sprache der Mörder. Es war, als wären die Opfer sprachlich an die Täter gekettet. Immer weniger Menschen wollten Jiddisch sprechen. Hebräisch, die offizielle Sprache Israels, war das Idiom der äußeren und inneren Befreiung.

Doch das Jiddische mit seinem ganz eigenen, herben Reiz ist zu neuem Leben erwacht. Es wird auf vielfache Weise gefördert und hat in Dichtung und Musik einen Platz als jüdisches Kulturgut zurückerob­ert. Klezmer-Bands feiern weltweit Erfolge.

Wie speziell der Reiz des Jiddischen ist,

verrät der Text von Jacob Jacobs. Wer nämlich ist „bey mir shein“? Eine geliebte Person, auch wenn sie ganz und gar nicht dem Schönheits­ideal entspricht. Ob sie nun einen „narrischn Schmeichl“hat, also ein närrisches Grinsen, oder „wild“ist „wi Indianer“: Bei mir bistu shein.

In der englischen und deutschen Fassung wird daraus ein textlich simples Liebeslied. Die herrliche Liebes-Komik des jiddischen Originals geht verloren. So lässt sich an einem einzigen Lied die besondere, ironische Kraft der jüdischen Kultur ablesen, die sich aus einer tragischen Geschichte speist. Jacob Jacobs’ „narrischer Schmeichel“sagt mehr als tausend Abhandlung­en über die jüdische Erfahrung und die Aussagekra­ft einer Sprache, die dem Untergang geweiht war.

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Sholom Secunda als Kind
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