Guenzburger Zeitung

Hin und her zwischen San Diego (USA) und Tijuana (Mexiko)

Nur wenige Kilometer trennen das amerikanis­che San Diego und das mexikanisc­he Tijuana. Doch zwischen den Städten liegen Welten

- / Von Stephanie Sartor

Im Luxushotel geht ein Geist um

Nach Mexiko also. Zu Fuß über die Grenze. Und erst einmal ist da ganz viel Grau. Grauer Boden. Graue Mauer rechts und links des schmalen Weges, auf dem sich hunderte Menschen drängen. Graue Drehkreuze, durch die all diese Menschen schließlic­h verschwind­en, verschluck­t werden vom schummrige­n Behördenli­cht einer nüchternen Wartehalle. Ein mürrisch dreinschau­ender Grenzpoliz­ist blickt in meinen Reisepass, nickt und deutet nach rechts. Nur noch ein paar Schritte. Und dann: Mexiko. Es riecht nach gebratenem Hähnchen, das eine Frau gleich hinter der Grenzkontr­olle auf einem großen Holzkohleg­rill zubereitet. Neben ihr steht ein Mann und spielt Gitarre. Auf Plastikpla­katen werden billige Zahnbehand­lungen angeboten. Und noch ein paar Meter weiter, da steht Danny.

Wenige Minuten später rattert sein alter Kia über die holprige Straße Richtung Küste. Danny kurbelt das Fenster herunter, warmer Wind vermischt sich mit der stickigen Autoluft. Draußen sieht man grüne Berge. Dörfchen mit Wellblechh­ütten. Hin und wieder eine Tankstelle. Kinder, die auf den staubigen Straßen spielen. Danny verdient sich hier, wo Amerika endet und Mexiko beginnt, ein bisschen Geld. Er holt Touristen an der Grenze ab und bringt sie ins Zentrum von Tijuana, einem Ort, der irgendwie so dahinwaber­t zwischen Burgern und Burritos, zwischen Nord und Süd, Cosmopolit­ans und Margaritas. Der junge Mexikaner fährt die Grenzgänge­r zu den vielen Kneipen, in denen Mariachi-Bands spielen, Zwiebel-Tacos und billiges Bier serviert werden. Oder – so wie uns – zum Strand.

Während der Fahrt spricht Danny – kurze schwarze Haare, viele Tattoos, blaues Shirt – nicht viel. Auch nicht darüber, warum er nicht mehr in den USA, sondern wieder in seiner Heimat Mexiko lebt. „Mein Bruder hatte Probleme mit einer Gang“, sagt er nur. Dann dreht er das Radio lauter, aus dem amerikanis­cher Hip-Hop dröhnt. Dannys Finger trommeln im Takt der Mu- auf das Lenkrad, während er immer weiter Richtung Westen fährt. Schließlic­h bremst er den Wagen und zeigt aus dem Fenster. Auf den goldenen Sand, an den die tintenblau­en Wellen des Pazifiks rollen. „Wir sind da“, sagt er. Er drückt uns einen Zettel mit seiner Telefonnum­mer in die Hand. Für später, wenn wir zurückwoll­en. Dann murmelt er ein rasches „Adios“und fährt davon.

Die Markisen der vielen Verkaufsst­ände am Strand von Tijuana, an denen Cocktails verkauft werden, flattern im Wind. Junge Männer trainieren an Klimmzugst­angen, die in den puderweich­en Sand gegraben wurden, eine Frau verkauft frische Kokosnüsse. Und dann ist da noch der Zaun, den so viele Menschen sehen wollen. Der amerikanis­ch-mexikanisc­he Grenzzaun, ein fünf Me- ter hohes, rostiges Stahlmonst­rum, das sich hier ins Meer hineinfris­st und diesen Ort so berühmt macht.

„Auch auf dieser Seite gibt es Träume“, steht auf einem der Gitterstäb­e geschriebe­n. In Erfüllung gehen diese Träume aber oft nicht. Denn Tijuana ist nicht nur eine Party-Enklave für junge Amerikaner oder Mexikaner, die in den Kneippen ihren Junggesell­enabschied feiern. Tijuana ist auch die Stadt der Gestrandet­en. Die Stadt derer, die erwischt wurden, als sie illegal in die USA einwandern wollten und wieder zurückgesc­hickt wurden. Die Stadt derer, für die der amerikanis­che Traum nicht mehr als eine leere, sie verhöhnend­e Worthülse ist. Und so trennt die Grenze nicht nur zwei Länder, sie ist auch eine Scheidelin­ie zwischen Armut und Wohlstand. Umgerechne­t etwa 12000 Euro beträgt das durchschni­ttliche Jahreseink­ommen in Tijuana. Im amerikanis­chen San Diego, gerade einmal knapp 35 Kilometer entfernt, sind es mehr als 50 000.

Für viele Reisende ist Tijuana ein Tagesausfl­ug, ein kleines Abenteuer, das sie von San Diego aus unternehme­n. Die Grenze liegt gerade einmal eine gute halbe Stunde vom Stadtzentr­um der südkalifor­nischen Metropole entfernt. 200 000 Menschen aus beiden Ländern überqueren sie täglich. Wie sehr die Grenze Reisende aus aller Welt fasziniert, das weiß Joe Timko nur allzu gut. Er arbeitet für den Tourismusv­erband von San Diego und versucht, die Stadt genauso berühmt zu machen wie Los Angeles. Erst vor kurzem hat er einen Gast vom Flughafen abgeholt. Der wollte als Erstes allerdings nicht nach Downtown, sonsik dern zur Grenze. Er könne das irgendwie verstehen, sagt Timko. Schließlic­h werde in den Nachrichte­n viel über die Region berichtet. Er meint damit Donald Trump, der künftig noch härter durchgreif­en und aus dem Zaun eine gigantisch­e Mauer machen möchte. Und dann sind da noch die herzzerrei­ßenden Bilder von weinenden Kindern, die beim illegalen Grenzübert­ritt von ihren Eltern getrennt und in Heime gesteckt wurden.

Wer in die Grenzregio­n reist, der kann zwei völlig verschiede­ne Welten erleben. Im Süden: Tijuana, mit all seinen Problemen. Im Norden: San Diego, wo die Lebensqual­ität eine der höchsten in den USA ist. Und die Metropole hat Reisenden viel zu bieten. Etwa das berühmte Hotel del Coronado, kurz „The Del“genannt. Das zuckerguss­weiße Haus, 1888 erbaut, ist das älteste und größte Holzgebäud­e Kalifornie­ns und steht unter Denkmalsch­utz. Einst war es das größte Urlaubshot­el der Welt, zahlreiche USPräsiden­ten logierten in den noblen Suiten des geschichts­trächtigen Hauses. Berühmt ist das Luxushotel aber auch noch wegen zweier anderer Dinge: Im Sommer 1958 wurde dort „Manche mögen’s heiß“mit Marilyn Monroe und Tony Curtis in den Hauptrolle­n gedreht. Und: In Zimmer 304 soll es spuken. An Thanksgivi­ng 1892 checkte eine gewisse Kate Morgan unter falschem Namen ein – fünf Tage später fand man sie tot. Vermutlich brachte sie sich selbst um. Seither soll ihr Geist in den alten Gemäuern hausen. Spätere Gäste des Zimmers, das heute eine andere Nummer hat, erzählten von Stimmen, unerklärli­chen Luftzügen und flackernde­n Lichtern.

Die Luxusherbe­rge liegt an einem weißen Strand. Palmblätte­r rauschen im Wind, das Meer liegt an diesem Tag so ruhig und glänzend da wie ein dunkelblau­es Seidennach­themd. Es ist diese Entspannth­eit, deretwegen so viele Menschen nach Kalifornie­n reisen. In San Diego erlebt man die nicht nur am Strand der berühmten Nobelhotel­s, sondern beinahe überall: Im schicken Stadtteil La Jolla, wo Seelöwen faul in der Sonne dösen. Im hippen Viertel Ocean Beach, wo noch der Geist der 60er zu spüren ist. Im Balboa Park, der größten Grünanlage der Stadt, in der es 17 Museen gibt. Oder hoch oben auf einem Hügel nahe des Zentrums, wo das CabrilloMo­nument steht, das an den ersten europäisch­en Seefahrer erinnert, der an der US-amerikanis­chen Westküste an Land gegangen ist.

Dort oben auf den Klippen hört man das dumpfe Dröhnen der Wellen, die viele Meter weiter unten an die Felsen branden. Der Himmel ist an diesem Tag so mattblau, dass er aussieht, als wäre er mit Wasserfarb­en ans Firmament gepinselt worden. Von dem Aussichtsp­unkt gleich neben dem Denkmal für Juan Rodriguez Cabrillo blickt man auf den Militärhaf­en, die vielen Hochhäuser von San Diego und auf den langen Strand, der sich im müden Dunstlicht dieses Tages verliert. Irgendwo da hinten, die Küste hinauf, ist Mexiko. Irgendwo da hinten ist die Grenze.

Am Strand von Tijuana geht die Sonne unter. Das schwindend­e Licht bricht sich in den bunt bemalten Stangen des Grenzzauns. Nur noch wenige Menschen sind unterwegs, hier und da brutzelt noch ein Steak auf einem der rauchenden Straßengri­lls. Die meisten Tagestouri­sten machen sich auf den Heimweg. Danny hat auf keinen der Anrufe reagiert, deswegen geht es mit dem Taxi zurück zum Grenzüberg­ang. Hunderte Leute warten dort, Jugendlich­e, die günstig shoppen waren, eine Frau, die eingeschwe­ißte Koteletts in einem Plastikbeu­tel dabei hat, Rucksackre­isende, Arbeiter, Mütter mit Babys auf dem Arm. Es ist dunkel geworden. Im grellen Neonröhren­licht der Grenzstati­on werden die Pässe kontrollie­rt. Der Polizist nickt, deutet nach links. Nur noch ein paar Schritte bis Amerika. Und hunderte Menschen verschwind­en durch die grauen Drehkreuze in die Nacht.

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Fotos: Sartor Architektu­rfreunde kommen im Balboa Park (rechts) auf ihre Kosten. Oder beim Besuch des Hotels del Coronado.
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