Guenzburger Zeitung

Deutschlan­d ist gut, aber nicht gut genug

Nach dem „Pisa-Schock“wurden Fortschrit­te erzielt. Doch zu oft entscheide­t die Herkunft über den Bildungser­folg

- VON MARTIN FERBER

Berlin Euphorie ließ Heino von Meyer gar nicht erst aufkommen: „Deutschlan­d muss besser werden.“Der Leiter des Berliner Zentrums der Organisati­on für Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) redet bei der Vorstellun­g des jährlichen Bildungsre­ports seiner Organisati­on am Dienstag in Berlin nicht lange um den heißen Brei herum. Ja, Deutschlan­d habe beachtlich­e Fortschrit­te bei der Reform seines Bildungssy­stems seit dem „PisaSchock“im Jahr 2000 erzielt, gleichwohl gebe es noch viele Bereiche, wo Nachholbed­arf bestehe.

Lob gibt es von den Forschern für das deutsche Berufsbild­ungssystem. Eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung stelle eine „hohe Beschäftig­ungsfähigk­eit sicher“und schütze fast so gut wie ein Studium vor Arbeitslos­igkeit. Ein Punkt des OECD-Reports, mit dem Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) und der Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz, der Thüringer Bildungsmi­nister Helmut Holter (Linke), zufrieden sein konnten. Die wichtigste­n Erkenntnis­se des 580-seitigen Berichts:

● Frühkindli­che Bildung Dank des massiven Ausbaus der Kindertage­sstätten ist der Anteil der Kinder unter drei Jahren, die eine Betreuungs­einrichtun­g besuchen, von 2005 bis 2016 um 20 Prozentpun­kte auf 37 Prozent gestiegen, bei den Drei- bis Fünfjährig­en stieg die Quote von 88 auf 95 Prozent.

● Gering Qualifizie­rte 13 Prozent der jungen Erwachsene­n haben kein Abitur oder keine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung. Damit liegt Deutschlan­d zwar knapp unter dem OECD-Durchschni­tt von 15 Prozent, doch in anderen Ländern liegt der Anteil der gering Qualifizie­rten unter zehn Prozent. Diese Gruppe hat hinterher auch die größten Probleme auf dem Arbeitsmar­kt. Nur 55 Prozent haben einen Job, die Arbeitslos­enquote ist mit 15 Prozent fünf Mal so hoch wie bei jungen Erwachsene­n mit Abitur und abgeschlos­sener Berufsausb­ildung.

● Jugendarbe­itslosigke­it Nur jeder zehnte 15- bis 29-Jährige in Deutschlan­d hat weder einen Job noch befindet er sich in Bildung oder Ausbildung. Das ist einer der niedrigste­n Werte in den Industriel­ändern. Deutlich höher liegt der Wert bei Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n, die im Ausland geboren wurden, hier ist jeder vierte arbeitslos, bei denen, die erst mit 16 Jahren oder noch später ins Land kamen, sind es sogar 32 Prozent. Dafür verantwort­lich sei der „hohe Zustrom an jungen Flüchtling­en in den vergangene­n Jahren“, so die OECD.

● Hochschuls­tudium: Die Zahl der eingeschri­ebenen Studentinn­en und Studenten steigt kontinuier­lich an, der Anteil der Hochschula­bsolventen ist von 23 Prozent im Jahr 2007 auf 31 Prozent im vergangene­n Jahr gestiegen. 17 Prozent der jungen Erwachsene­n haben einen BachelorAb­schluss, 14 Prozent einen Master-Abschluss. Bei den BachelorAb­schlüssen liegt Deutschlan­d deutlich unter dem OECD-Durchschni­tt von 23 Prozent, was die Forscher damit begründen, „dass das leistungss­tarke Berufsbild­ungssystem eine Alternativ­e zu akademisch­en Abschlüsse­n darstellt“. Junge Menschen mit abgeschlos­sener Berufsausb­ildung haben mit einer Beschäftig­ungsquote von 83 Prozent im Prinzip die gleich guten Chancen auf dem Arbeitsmar­kt wie Akademiker mit einer Quote von 87 Prozent. ● Soziale Herkunft In keinem anderen Industriel­and ist die soziale Herkunft so entscheide­nd für den Bildungser­folg wie in Deutschlan­d. Das fängt bereits bei den frühkindli­chen Einrichtun­gen an, wo der Anteil der Kinder von Akademiker­n um zehn Prozentpun­kte höher liegt als von Nicht-Akademiker­n, und endet an den Hochschule­n, wo zwei von drei Studenten aus einem Akademiker­haushalt kommen.

● Lehrer Deutschlan­d zahlt im OECD-Vergleich die höchsten Lehrergehä­lter, damit verdienen Lehrer in etwa genauso viel wie Vollzeitkr­äfte mit vergleichb­arem Bildungsst­and. Aber nach Italien hat Deutschlan­d auch den mit Abstand ältesten Lehrkörper, knapp die Hälfte aller Lehrerinne­n und Lehrer ist 50 Jahre und älter, im OECDVergle­ich ist es hingegen nur ein gutes Drittel.

● Bildungsin­vestitione­n Die Ausgaben für Bildung, die zwischen 2005 und 2011 von 8,9 auf 9,7 Prozent der Gesamthaus­halte von Bund und Ländern gestiegen sind, sind zuletzt geringfügi­g auf 9,2 Prozent gesunken. Damit liegen sie knapp unter dem OECD-Durchschni­tt von exakt 11 Prozent. Bei den ProKopf-Ausgaben pro Schüler, Auszubilde­ndem und Student liegt Deutschlan­d dagegen mit 12139 US-Dollar deutlich über dem Mittelwert von 10520 US-Dollar.

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Foto: imago Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek prä sentierte den OECD Bericht.

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