Das Paradies kommt am Ende
Die letzte Folge von „Heimat im Kleinen“führt in diesem Jahr in den Ortsteil von Deisenhausen. Ende ist eine Einöde, in der es aber alles andere als öde zugeht. Die fünf Bewohner wollen mit niemandem tauschen. Eines aber stört sie gewaltig
Deisenhausen/Ende Das mit den fünf Einwohnern ist nicht ganz richtig, wenn man die Tiere mit einbezieht. In dem Deisenhauser Ortsteil leben nämlich auch drei Hunde: Cäsar und Maxl, ein Schäferhundund ein Dackelmischling, sowie Lilly, eine Labradordame. Und acht Hennen gibt es auch: Drei schwarze, drei braune und zwei weiße, die jeden Tag sieben bis acht Eier legen. Die anderen Bewohner sind: Franziska, 79, und Horst Hofmann, 78, sowie ihr Sohn Bernhard, 53, der mit seiner Frau Karin, 51 und Sohn Benedikt, 26, ebenfalls dort lebt. Lediglich deren Tochter Bettina, 25, ist inzwischen verhei- ratet und wohnt in Hairenbuch. Die Einöde Ende liegt sozusagen auch an einem gewissen Ende: nämlich an dem von Oberbleichen, am Billenhauser Weg. Und damit hat der Ort etwas, über das manche doch ein bisschen größeren Orte gar nicht verfügen: Hausnummern, die der Straße zugeordnet sind. Und zwar den Billenhauser Weg Nummer eins und den Billenhauser Weg Nummer zwei. Sogar ein Ortschild, wenn auch kein offizielles, habe es einmal gegeben, erzählt Karin Hofmann schmunzelnd. Sie habe kurzerhand eine Folie, gelb und mit „Ende, Lkr. Günzburg“bedrucken lassen und auf eine Sperrholzplatte geklebt.
Ende bestand einst nur aus einem einzelnen Gebäude – nämlich der Einöde „Zum End“, erklärt Benedikt Hofmann. Auch von der Bezeichnung „Beim Enderbauern“soll die Rede gewesen sein. Erst- bezeugt ist der Name im Jahr 1712. Franziska Hofmann erzählt weiter: „Es war eine Gastwirtschaft.“Und ganz früher müsse es einmal eine Poststation gewesen sein. 1971 haben sie und ihr Mann Horst die Wirtschaft, den „Schlachterwirt“von einer Erbengemeinschaft gekauft, obwohl sie eigentlich in Thannhausen schon ein nagelneues Haus gebaut hatten. Das ehemalige Wirtschaftsschild „Schlachterwirt, Bes. H. u. F. Hofmann“haben sie aufgehoben. Es befindet sich in der Werkstatt gegenüber. Auch das Kreuz mit Christus, das sich früher in der Wirtsstube befand, ist noch vorhanden. Es hängt heute im Esszimmer von Karin und Bernhard Hofmann. Wie alt es ist, können sie allerdings nicht sagen.
Das Gebäude selbst sei damals stark renovierungsbedürftig gewesen, fährt Franziska Hofmann fort und erinnert sich daran, wie viel Arbeit sie damals in dieses hineingesteckt haben. Zwei Jahre lang führten die Hofmanns die Gastwirtschaft weiter. Die Gäste kamen vorwiegend aus der Umgebung, Spaziergänger und hauptsächlich Lastwagenfahrer. „Das hat sich herumgesprochen“, sagt Franziska Hofmann. An einem Rosenmontag sei einmal der ganze Billenhauser Weg mit Lastwagen, hauptsächlich von solchen mit Bärenmarke-Reklame, zugestellt gewesen. Und wenn am Nachmittag jemand gekommen sei und Hunger gehabt habe, dann habe sie dem auch einmal noch schnell ein Schnitzel gemacht. Manchmal seien die LkwFahrer schon in der Früh um sieben zum Kaffee und zu Rühreiern mit Speck dagestanden – sie selbst dagegen noch im Bademantel.
Franziska Hofmann erzählt auch von dem Franzosen, der gelegentlich vorbeikam: Der habe zunächst in alle Töpfe geguckt, dann habe er nicht mehr aufgehört zu essen, einen halben Liter Wein getrunken und zum Abschluss auch noch eine Käseplatte verlangt. „So viel Auswahl hat’s bei uns zwar nicht gegeben, aber eine richtige Speisekarte, die haben wir schon gehabt“, sagt sie und lacht. Ihr Mann Horst fuhr damals ebenfalls Lkw – mit Baustoffen und Zement beladen. Am Mittag habe er es schon immer so hindrehen können, dass er in der Wirtschaft vorbeikam und beim Ausschenken habe mithelfen können, erzählt er.
Gleichzeitig hielten Franziska und Horst Hofmann immer um die 27 Zuchtsauen, die Ferkel wurden verkauft. Es wurden Äcker dazu gepachtet und Getreide und Futtermittel angebaut. Heute machen es sich Franziska und Horst Hofmann schön. 2003 ging er in Rente, mit den Sauen wurde 2007 aufgehört, was vor allem an den Auflagen ohne Ende gelegen habe, wie er sagt. Aus den Äckern wurden Wiesen, Horst Hofmann macht heute nur noch Heu oder das Holz im Wald – Sohn Bernhard hilft mit, vor allem wenn es um das Instandhalten der Maschinen geht. Franziska Hofmann kümmert sich um den großen Gemüsegarten, in dem eigentlich alles angebaut wird, was angebaut werden kann. Wie viele Gläser Gurken sie heuer schon eingemacht habe, könne sie gar nicht sagen, sagt sie. Inzwischen leben sie in dem Haus nebenan, das sie sich später gebaut haben und in das sie 1997 eingezogen sind. Ein Bekannter habe – nicht zuletzt auch wegen der Abgeschiedenheit – vor vielen Jahren einmal gesagt: „Bei Euch ist es wie im Dornröschenschloss.“Irgendwie sieht es auch heute noch so aus mit den eingewachsenen Grundstücken, die von außen nur wenig Blick in das Innere freigeben.
Dort, wo die Gastwirtschaft war, wohnen jetzt Sohn Bernhard und seine Frau Karin sowie deren Sohn Benedikt. Woanders zu leben, das können sie sich nicht vorstellen. Auch dort gibt es einen großen Gemüsegarten, und das Brot wird noch selbst gebacken. „So, wie man in der Landwirtschaft schon früher halt immer alles selber gemacht hat“, sagt Karin Hofmann. Sie kennt die Extreme in der Beurteilungsskala: „Wie im Paradies“und „Bei Euch muss es doch stinklangweilig sein“– beide Aussagen hat sie gehört. Letzteres lässt Karin Hofmann nicht gelten. Regelmäßig kämen Bekannte. Und vor allem früher, als die Kinder klein waren, seien immer Freunde da gewesen. „Bei uns wird nichts geplant“, sagt sie. Wenn sich jemand ankündigt, wird schnell einmal unter dem großen Kastanienbaum zusammengesessen. Dort befindet sich auch eine große Feuerstelle mit einem Schwenkgrill und ein paar Bänken.
Langweilig wird es auch ihrem Mann Bernhard nicht. In der Werkstatt steht ein zehn Jahre alter VW-Bus, den er gerade wieder etmals was herrichtet. Einmal VW-Bus – immer VW-Bus, meint Bernhard Hofmann. Daneben steht ein Motorrad, eine etwas ältere Suzuki. Nur weniges an der Maschine ist noch im Originalzustand. Die Sitzbank hat er selbst bezogen: Mit dem Lederstoff aus einer alten Lederjeans.
Blickt man in den Garten mit der Bienenweide und zu den Gemüsegärten, dann fällt eines auf: In Ende scheint alles zu wachsen und zu gedeihen. Sogar die prächtigen Tabakpflanzen, die Sohn Benedikt am Rand des Gartens angebaut hat. Keine Sorge: Es handelt sich dabei um nichts Ungesetzliches – bis zu einer gewissen Menge ist der Anbau von Tabak grundsätzlich erlaubt. Und die Pflanzen werden von Benedikt Hofmann sorgsam gehegt und gepflegt.
Nur auf eines würden die Hofmanns gerne verzichten: Das ist die B 16, die in unmittelbarer Nähe vorbeiführt. Der Lärmpegel, der störe manchmal gewaltig, sagen sie. Bevor die Straße ausgebaut wurde, sei sie sogar direkt am Haus vorbeigegangen. In den letzten Jahren habe der Verkehr spürbar zugenommen, bemerkt Bernhard Hofmann. Trotzdem fällt ein weiteres Mal das Wort „Paradies“. Bereits beim Frühstück sehe man hinauf ins Holz, wenn die Rehe und die Hasen kommen. Vor zwei Jahren sei sogar ein Eulenpärchen in das Anwesen mit eingezogen. Tauschen möchten Franziska und Horst, Karin und Bernhard sowie Benedikt Hofmann mit niemandem. Zwei Häuser, jede Menge Wiesen, Äcker und Wälder drumherum, sonst nichts: Das ist Ende.
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Mit der zwölften Folge beenden wir unsere diesjährige Dorfserie. Für 2018 sagen wir: Ende!
Zwei Jahre lang führten sie die Gastwirtschaft weiter
Wie ein „Dornröschenschloss“