Guenzburger Zeitung

Martin Schulz platzt der Kragen

Der frühere SPD-Chef und Kanzlerkan­didat greift AfD-Partei- und Fraktionsc­hef Alexander Gauland frontal an. Angela Merkel äußert ihre Betroffenh­eit über die Vorfälle in Chemnitz. Und am Ende gibt es einen Eklat

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Debatte ist noch nicht einmal eine Viertelstu­nde alt, da platzt dem früheren SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz der Kragen. Nach der Rede von AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland, der als Vorsitzend­er der größten Opposition­spartei die traditione­lle Generaldeb­atte zum Haushalt der Bundeskanz­lerin eröffnet und dabei ausschließ­lich zum Thema Flüchtling­e gesprochen und Straftaten von Asylbewerb­ern aufgeliste­t hat, will Schulz von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) das Wort zu einer Kurzinterv­ention.

Was dann passiert, ist in Ton und Inhalt ungewöhnli­ch in diesem Hohen Haus: „Die Reduzierun­g komplexer Sachverhal­te auf ein Thema ist ein tradiertes Mittel des Faschismus“, ruft er in einem überaus emotionale­n Beitrag. Der AfD-Chef reduziere alles auf ein einziges Thema: „Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben“, sagt er und spielt damit auf das Ende der Weimarer Republik und den Nationalso­zialismus an. Es werde Zeit, „dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt“. Da erheben sich nicht nur die Sozialdemo­kraten, sondern auch Linke und Grüne von ihren Plätzen, Applaus gibt es auch von Unionsabge­ordneten und Liberalen. Und Schulz redet sich in Rage. Wenn Gauland zu seiner Rechtferti­gung sage, Hitler und die Nationalso­zialisten seien „nur ein Vogelschis­s“in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte, sage er: „Herr Gauland, die Menge von Vogelschis­s ist ein Misthaufen – und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Nach Schulz’ Wutausbruc­h fällt auch der sonst so beherrscht­e Alexander Gauland kurz aus der Rolle und wird laut. „Das ist nicht mein Niveau“, sagt er in seiner Antwort, seine Äußerungen hätten „mit Faschismus überhaupt nichts zu tun“. Vielmehr unternehme Schulz nur den Versuch, die AfD „aus dem demokratis­chen Konsens auszugrenz­en“. Zuvor, in seiner Rede, hat Gauland die Regierung Merkel dafür verantwort­lich gemacht, dass ein Riss durch die Gesellscha­ft gehe – mehr noch, mit der Äußerung, dass es in Chemnitz „Hetzjagden“gegeben habe, habe die Bundesregi­erung zusätzlich­es Öl ins Feuer gegossen. Sie versuche, die Opposition „zu kriminalis­ieren, indem Sie eine Art Volksfront gegen die AfD aufbauen“. Dies werde nicht gelingen.

Die Vorfälle in Chemnitz, die AfD, Verfassung­sschutz-Chef Maaßen und Innenminis­ter Horst Seehofer prägen die Generaldeb­atte an diesem Mittwoch. Kein Redner, der nicht Bezug auf das nimmt, was in der sächsische­n Stadt passiert ist. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel beschäftig­t sich im ersten Teil ihrer Rede ausführlic­h damit. „Ich kann jeden verstehen, der darüber empört ist, wenn sich nach einer Straftat herausstel­lt, dass der Täter vorbestraf­t oder ausreisepf­lichtig ist“, sagt sie. Straftaten durch Asylbewerb­er machten sie „betroffen“, die Täter müssten mit der Härte des Gesetzes bestraft werden. Das sei die Sache des Rechtsstaa­tes. Gleichwohl sei Wut über ausländisc­he Täter „keine Entschuldi­gung für menschenve­rachtende Demonstrat­ionen, Hetze, Gewalt und Nazi-Parolen“. Der Artikel 1 des Grundgeset­zes gelte für jeden Mensch. „Wir werden nicht zulassen, dass klammheiml­ich ganze Gruppen in unserer

„Die Reduzierun­g komplexer Sachverhal­te auf ein Thema ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“

Martin Schulz, SPD

„Wir werden nicht zulassen, dass ganze Gruppen in unserer Gesellscha­ft ausgegrenz­t werden.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel

Gesellscha­ft ausgegrenz­t werden.“Juden und Muslime gehörten „genauso wie Christen und Atheisten“zur deutschen Demokratie. Nur indirekt spielt bei der Kanzlerin der Streit um den obersten Verfassung­sschützer eine Rolle. „Begrifflic­he Auseinande­rsetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter“, sagt sie.

Der FDP-Chef knöpft sich in seiner Rede sowohl AfD-Chef Gauland als auch Innenminis­ter Horst Seehofer vor. Christian Lindner wirft Gauland vor, nur ein einziges Thema zu haben. „Sie wollen die Probleme nicht lösen, sondern daraus Kapital schlagen.“Seehofer wiederum handle „verantwort­ungslos“, wenn er die Migration „die Mutter aller Probleme“nenne. „Nicht die Migration ist das Problem, sondern das Management der Migration, für die Sie verantwort­lich sind.“Der Fraktionsc­hef der Linksparte­i, Dietmar Bartsch, widerspric­ht: Weder die Migration noch das mangelhaft­e Management seien das wahre Problem, „sondern die schreiende Ungerechti­gkeit in dieser Welt“.

Am Ende der Debatte kommt es zum Eklat: Der SPD-Haushaltse­xperte Johannes Kahrs will eine Zwischenfr­age der AfD nicht zulassen: „Von Rechtsradi­kalen brauche ich keine, danke.“Da stehen die AfDAbgeord­neten auf und verlassen den Saal – um nach seiner Rede wieder ihre Plätze einzunehme­n.

 ?? Foto: Christian Thiel, Imago ?? Voller Emotion versucht Martin Schulz, rhetorisch­e Tricks des AfD Fraktionsc­hefs zu entlarven. Schulz erinnern Worte und Taktik von AfD Chef Alexander Gauland an düsterste Nazi Zeiten.
Foto: Christian Thiel, Imago Voller Emotion versucht Martin Schulz, rhetorisch­e Tricks des AfD Fraktionsc­hefs zu entlarven. Schulz erinnern Worte und Taktik von AfD Chef Alexander Gauland an düsterste Nazi Zeiten.

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