Ein Hoffnungsschimmer für Idlib?
Moskau gibt Ankara mehr Zeit, radikale Rebellen zum Abzug zu bewegen. Doch der Beschuss der Region hält an
Russland Kurz vor dem erwarteten Beginn der Großoffensive gegen die syrische Rebellen-Hochburg Idlib hat Russland der türkischen Regierung offenbar mehr Zeit für eine friedliche Lösung der Konfrontation gegeben. Ein Ausweg ohne militärische Mittel sei möglich, sagte der russische Syrien-Beauftragte Alexander Lawrentjew. Ob die türkischen Bemühungen erfolgreich sein und eine Schlacht in dem Gebiet mit mehr als drei Millionen Zivilisten verhindern können, ist aber ungewiss.
Syrische Truppen setzten am Mittwoch ihren Beschuss von Landstrichen im Süden Idlibs fort. Schon in den vergangenen Tagen hatte es rund 160 Luftangriffe in der Gegend gegeben. Die Militäraktionen dienen der Vorbereitung des Angriffs auf Idlib, das letzte Gebiet in Syrien, in dem noch Gegner von Baschar al-Assad das Sagen haben. Die UN befürchtet eine humanitäre Katastrophe. Als direkte Nachbarin von Idlib setzt sich die Türkei besonders intensiv dafür ein, die Offensive doch noch zu verhindern.
Ankara unterstützt mehrere Rebellengruppen in Idlib und verfügt deshalb über Einfluss auf die Haltung der Aufständischen dort. Ziel der türkischen Bemühungen ist es, gemäßigte Rebellen und islamistische Hardliner wie die Kämpfer der Dschihadisten-Gruppe HTS voneinander zu trennen. Die Türkei will die rund 10000 Mann starken HTS-Truppen laut Medienberichten in den Norden von Idlib oder in türkisch kontrollierte Gebiete in Nord-Syrien wie Afrin oder Dscharablus verlegen, während die bisher von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib von Rebellen besetzt werden, die mit der Türkei verbündet sind. Auf diese Weise will Ankara eine Sorge Russlands aus der Welt schaffen: Im Norden von Idlib oder in Afrin wären die HTSKämpfer anders als bisher nicht mehr in der Lage, den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim an der Mittelmeerküste anzugreifen. Damit wäre ein Faktor ausgeschaltet, der als Begründung des erwarteten Angriffs angeführt wird.
Für die Türkei hätte dieses Vorgehen mehrere Vorteile. Zum einen wäre die Gefahr eines neuen Flüchtlingsansturms aus Syrien erst einmal gebannt. Zum anderen wäre die Präsenz Ankara-treuer Rebellen in Idlib gesichert, was für die Türkei wichtig ist, um bei den Entscheidungen über die Zukunft Syriens mitreden zu können. Allerdings wirft der türkische Plan viele Fragen auf. So sieht sich die Türkei der Forderung der mit ihr verbündeten Rebellengruppen nach militärischem Schutz gegenüber. Ankara verstärkt derzeit zwar die türkiPräsident schen Truppen an der Grenze zu Idlib, hat aber kein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit Russland in Syrien. Auch ist offen, ob die HTS-Dschihadisten dem türkischen Wunsch nach einem Abzug nach Norden folgen wollen. Doch unter den Rebellen in Idlib sind auch Islamisten aus Tschetschenien – es ist kaum zu erwarten, dass Russland diese Extremisten ungeschoren ihres Weges ziehen lässt. Vor allem aber würde die Verlegung der HTS-Kämpfer und anderer radikaler Gruppen das eigentliche Grundproblem nicht lösen, sondern nur von Idlib in andere Gebiete verlagern: Die syrische Regierung will mit der Hilfe Russlands und des Iran die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet zurückgewinnen.
Unter dem Vormarsch syrischer Truppen leidet die Zivilbevölkerung. Der UN zufolge wurde alleine in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mehr als eine Million Menschen vertrieben – insgesamt sind es laut UN 6,5 Millionen. Der Krieg, der im Jahr 2011 begann, soll bereits insgesamt 400 000 Opfer gefordert haben.
Auch am Mittwoch ging in Deutschland der Streit um die Frage weiter, ob sich die Bundeswehr an militärischen Vergeltungsschlägen beteiligen soll, falls das Assad-Regime erneut Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen sollte. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) legt sich anders als SPDChefin Andrea Nahles in der Frage einer deutschen Teilnahme an einer möglichen Militäraktion in Syrien nicht fest. „Mein Hauptinteresse liegt im Moment darin, zu verhindern, dass wir diese Frage irgendwann entscheiden müssen“, sagte Maas am Mittwoch im Bundestag. Auf jeden Fall sei aber für einen solchen Schritt ein vorheriges Votum des Parlaments erforderlich.