Guenzburger Zeitung

Ein Hoffnungss­chimmer für Idlib?

Moskau gibt Ankara mehr Zeit, radikale Rebellen zum Abzug zu bewegen. Doch der Beschuss der Region hält an

- VON THOMAS SEIBERT

Russland Kurz vor dem erwarteten Beginn der Großoffens­ive gegen die syrische Rebellen-Hochburg Idlib hat Russland der türkischen Regierung offenbar mehr Zeit für eine friedliche Lösung der Konfrontat­ion gegeben. Ein Ausweg ohne militärisc­he Mittel sei möglich, sagte der russische Syrien-Beauftragt­e Alexander Lawrentjew. Ob die türkischen Bemühungen erfolgreic­h sein und eine Schlacht in dem Gebiet mit mehr als drei Millionen Zivilisten verhindern können, ist aber ungewiss.

Syrische Truppen setzten am Mittwoch ihren Beschuss von Landstrich­en im Süden Idlibs fort. Schon in den vergangene­n Tagen hatte es rund 160 Luftangrif­fe in der Gegend gegeben. Die Militärakt­ionen dienen der Vorbereitu­ng des Angriffs auf Idlib, das letzte Gebiet in Syrien, in dem noch Gegner von Baschar al-Assad das Sagen haben. Die UN befürchtet eine humanitäre Katastroph­e. Als direkte Nachbarin von Idlib setzt sich die Türkei besonders intensiv dafür ein, die Offensive doch noch zu verhindern.

Ankara unterstütz­t mehrere Rebellengr­uppen in Idlib und verfügt deshalb über Einfluss auf die Haltung der Aufständis­chen dort. Ziel der türkischen Bemühungen ist es, gemäßigte Rebellen und islamistis­che Hardliner wie die Kämpfer der Dschihadis­ten-Gruppe HTS voneinande­r zu trennen. Die Türkei will die rund 10000 Mann starken HTS-Truppen laut Medienberi­chten in den Norden von Idlib oder in türkisch kontrollie­rte Gebiete in Nord-Syrien wie Afrin oder Dscharablu­s verlegen, während die bisher von der HTS kontrollie­rten Gebiete in Idlib von Rebellen besetzt werden, die mit der Türkei verbündet sind. Auf diese Weise will Ankara eine Sorge Russlands aus der Welt schaffen: Im Norden von Idlib oder in Afrin wären die HTSKämpfer anders als bisher nicht mehr in der Lage, den russischen Luftwaffen­stützpunkt Hmeimim an der Mittelmeer­küste anzugreife­n. Damit wäre ein Faktor ausgeschal­tet, der als Begründung des erwarteten Angriffs angeführt wird.

Für die Türkei hätte dieses Vorgehen mehrere Vorteile. Zum einen wäre die Gefahr eines neuen Flüchtling­sansturms aus Syrien erst einmal gebannt. Zum anderen wäre die Präsenz Ankara-treuer Rebellen in Idlib gesichert, was für die Türkei wichtig ist, um bei den Entscheidu­ngen über die Zukunft Syriens mitreden zu können. Allerdings wirft der türkische Plan viele Fragen auf. So sieht sich die Türkei der Forderung der mit ihr verbündete­n Rebellengr­uppen nach militärisc­hem Schutz gegenüber. Ankara verstärkt derzeit zwar die türkiPräsi­dent schen Truppen an der Grenze zu Idlib, hat aber kein Interesse an einer militärisc­hen Konfrontat­ion mit Russland in Syrien. Auch ist offen, ob die HTS-Dschihadis­ten dem türkischen Wunsch nach einem Abzug nach Norden folgen wollen. Doch unter den Rebellen in Idlib sind auch Islamisten aus Tschetsche­nien – es ist kaum zu erwarten, dass Russland diese Extremiste­n ungeschore­n ihres Weges ziehen lässt. Vor allem aber würde die Verlegung der HTS-Kämpfer und anderer radikaler Gruppen das eigentlich­e Grundprobl­em nicht lösen, sondern nur von Idlib in andere Gebiete verlagern: Die syrische Regierung will mit der Hilfe Russlands und des Iran die Kontrolle über das gesamte Staatsgebi­et zurückgewi­nnen.

Unter dem Vormarsch syrischer Truppen leidet die Zivilbevöl­kerung. Der UN zufolge wurde alleine in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mehr als eine Million Menschen vertrieben – insgesamt sind es laut UN 6,5 Millionen. Der Krieg, der im Jahr 2011 begann, soll bereits insgesamt 400 000 Opfer gefordert haben.

Auch am Mittwoch ging in Deutschlan­d der Streit um die Frage weiter, ob sich die Bundeswehr an militärisc­hen Vergeltung­sschlägen beteiligen soll, falls das Assad-Regime erneut Giftgas gegen die eigene Bevölkerun­g einsetzen sollte. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) legt sich anders als SPDChefin Andrea Nahles in der Frage einer deutschen Teilnahme an einer möglichen Militärakt­ion in Syrien nicht fest. „Mein Hauptinter­esse liegt im Moment darin, zu verhindern, dass wir diese Frage irgendwann entscheide­n müssen“, sagte Maas am Mittwoch im Bundestag. Auf jeden Fall sei aber für einen solchen Schritt ein vorheriges Votum des Parlaments erforderli­ch.

 ?? Foto: Ugur Can, dpa ?? Der kleine Muhammed Halife erzählt, dass er in seiner Schule, die westlich von der Stadt Idlib liegt, bei einem Bombenangr­iff verletzt wurde. Bis zu drei Millionen Menschen sollen sich in der eingeschlo­ssenen Region aktuell aufhalten. Noch wird verhandelt, um eine Offensive auf die letzte verblieben­e Rebellenho­chburg doch noch zu vermeiden.
Foto: Ugur Can, dpa Der kleine Muhammed Halife erzählt, dass er in seiner Schule, die westlich von der Stadt Idlib liegt, bei einem Bombenangr­iff verletzt wurde. Bis zu drei Millionen Menschen sollen sich in der eingeschlo­ssenen Region aktuell aufhalten. Noch wird verhandelt, um eine Offensive auf die letzte verblieben­e Rebellenho­chburg doch noch zu vermeiden.

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