EU zeigt Ungarn die Rote Karte
Parlament beschließt Sanktionsverfahren
Straßburg Der Eklat kam mit Ankündigung. Die EU-Abgeordneten haben mit großer Mehrheit für die Einleitung des sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus gegen Ungarn gestimmt. 448 Abgeordnete votierten dafür, 197 dagegen. Erstmals machte das Europäische Parlament damit Gebrauch von seinem Recht, ein solches Verfahren auszulösen. Selbst die Parteienfamilie der ungarischen Regierungspartei Fidesz, die Europäische Volkspartei (EVP), stimmte für das Auslösen des Verfahrens. Ein solches Verfahren hatte die EU-Kommission im Dezember gegen Polen gestartet.
Grund für das Sanktionsverfahren, das im EU-Jargon „Atombombe“genannt wird, ist unter anderem die Asylpolitik Ungarns. So werden Hilfesuchende unzulässig lange in Transitzentren an der Grenze festgehalten und erhalten nur bedingt Zugang zum Asylsystem. NGOs, die Flüchtlingen helfen, machen sich strafbar. Auch sonst fiel der Bericht hart aus: Es herrsche eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“.
Selbst der Fraktionschef der EVP, Manfred Weber (CSU), kritisierte Ministerpräsident Viktor Orbán, obwohl seine Partei enge Kontakte mit dem Ungarn pflegte. Orbán weigert sich, obwohl dies von den Mitgliedstaaten beschlossen wurde, Hilfesuchende aufzunehmen und schürt Ängste. „Wenn man ganz allgemein sagt, dass man Angst haben müsse vor Muslimen, dann würden wir genau das tun, was die Dschihadisten tun“, mahnte Weber. Mit Blick auf Orbáns Gesetz zu Nichtregierungsorganisationen
„Die Konservativen, die heute für ein Verfahren gegen Orbán gestimmt haben, haben Rückgrat bewiesen.“Anton Hofreiter, Grüne
wurde der Fraktionschef aus Bayern sogar noch deutlicher: An ein Klima, „in dem Regierungskritiker Mühe haben, ihre Arbeit zu machen, glauben wir in der EVP nicht.“
Orbán selbst griff das Parlament heftig an und sprach sogar davon, dass der Bericht des zuständigen Ausschusses „Ungarn bedroht“und „Lügen verbreitet“. Sein Land werde sich „nicht erpressen lassen“, „weiter die Grenzen verteidigen und die illegale Migration stoppen“.
In Berlin wurde das Votum dagegen begrüßt. „Es war überfällig, dass sich auch Konservative und allen voran Manfred Weber klar auf die Seite derer stellen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen“, sagte Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, unserer Zeitung. „Die Konservativen, die heute für ein Verfahren gegen Orbán gestimmt haben, haben Rückgrat bewiesen und gezeigt, dass nicht jeder in der CSU bereit ist, demokratische Grundwerte und Humanität über Bord zu werfen.“
Die Hürden für eventuelle Strafen gegen Ungarn sind allerdings hoch. Der Ministerrat müsste in einem nächsten Schritt mit der Zustimmung von vier Fünfteln der Mitgliedstaaten feststellen, dass die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“der EUWerte besteht. Nur, wenn im Anschluss der Rat der EU-Staaten einstimmig beschließt, dass im Fall Ungarn tatsächlich eine solche Verletzung vorliegt, können mögliche Strafen durchgesetzt werden. Im Extremfall verliert das Land Stimmrechte im Ministerrat. Vor jedem Schritt muss aber das betroffene Mitgliedsland Gelegenheit bekommen, sich zu äußern.