Guenzburger Zeitung

Gefahr durch die ewige Sommerzeit?

Forscher warnen vor den Folgen, wenn es morgens im Winter zu lange dunkel sein sollte. Angeblich drohen dann etwa Diabetes oder Depression­en

- Stern.

München/Berlin Im Sommer eine Stunde vor, im Winter eine Stunde zurück – viele Menschen leiden unter der Zeitumstel­lung. Die EUKommissi­on will nun vorschlage­n, sie abzuschaff­en. „Die Zeitumstel­lung gehört abgeschaff­t“, sagte EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker denn auch am Mittwoch in Straßburg. Seine Behörde legte einen Gesetzesvo­rschlag vor, nach dem im März 2019 zum letzten Mal verpflicht­end alle EU-Staaten an der Uhr drehen müssten. „Die Zeit drängt“, sagte er (ein Interview mit Juncker finden Sie auch auch Poli tik). Wissenscha­ftler begrüßen den neuen Kurs grundsätzl­ich. Aus ihrer Sicht widerspric­ht der künstliche Wechsel der Biologie. Viele Forscher warnen allerdings vor der dauerhafte­n Einführung der Sommerzeit – sie könne fatale Folgen haben.

In einer nicht repräsenta­tiven Online-Umfrage der EU-Kommission hatten sich 84 Prozent der 4,6 Millionen Teilnehmer gegen die Zeitumstel­lung ausgesproc­hen. Mitgemacht haben damit weniger als ein Prozent der EU-Bürger. Allein drei Millionen Antworten kamen aus Deutschlan­d. Die meisten waren für eine dauerhafte Sommerzeit.

Die drastischs­ten Worte dazu findet Till Roenneberg vom Institut für Medizinisc­he Psychologi­e der Universitä­t München. Stelle man die Uhren ganzjährig auf Sommerzeit um, werde es „riesige Probleme geben“, warnt er vor dem „Cloxit“. „Man erhöht die Wahrschein­lichkeit für Diabetes, Depression­en, Schlaf- und Lernproble­me – das heißt, wir Europäer werden dicker, dümmer und grantiger.“Der Chro- nobiologe prognostiz­iert zudem: „Jedes Land, das das nicht macht, wird uns akademisch überholen.“Denn vor allem Schüler und Studenten seien betroffen, weil lernen und das Gelernte verarbeite­n bei zu wenig Schlaf stark eingeschrä­nkt werde. Im Alter von etwa 20 Jahren schlafe man besonders spät ein und stehe morgens entspreche­nd spät auf.

Russland habe schon einmal versucht, dauerhaft die Sommerzeit einzuführe­n – und sei damit gescheiter­t, sagt Roenneberg. Bei dauerhafte­r Sommerzeit müsse man an deutlich mehr Tagen im Dunklen aufstehen, meint Roenneberg: „Je nach Wohnort haben sie sechs Wo- chen mehr dunkle Schulwege morgens.“Er kritisiert, dass die OnlineBefr­agung weitgehend ohne Aufklärung geschehen sei. „Wenn EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker gesagt hätte, dass wir künftig alle ganzjährig eine Stunde früher arbeiten müssen, wären die Leute auf der Straße gewesen. Es ist aber nichts anderes.“Auch Professor Ingo Fietze von der Berliner Charité sagt: „Da denkt im Moment keiner dran, weil es Sommer ist und so hell draußen. Wenn die Umfrage im Winter gewesen wäre, hätten wahrschein­lich viele für die Winterzeit plädiert.“

Die Forscher und die Deutsche Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM) sprechen sich für eine dauerhafte „Normalzeit“aus. „Die bisherige Winterzeit entspricht den Verhältnis­sen, die unter Berücksich­tigung der natürliche­n Lichteinfl­üsse für unseren Schlaf-Wach-Rhythmus am günstigste­n ist“, sagt der DGSM-Vorsitzend­e Alfred Wiater. „Wenn wir im Winter am Morgen länger der Dunkelheit ausgesetzt sind, werden wir schlechter wach“, sagt Wiater. Das könne Konzentrat­ion und Aufmerksam­keit beeinträch­tigen und zu mehr Fehlern in der Schule und im Job führen sowie Unfälle begünstige­n. Licht und Dunkelheit bestimmen unsere innere Uhr – wann wir wach und wann wir müde werden. Das Problem ist: Die wenigsten Deutschen können sich nach diesem natürliche­n Rhythmus richten. Ihr Tagesablau­f wird von der sogenannte­n sozialen Zeit bestimmt. Der Großteil braucht einen Wecker, um pünktlich bei der Arbeit oder in der Schule zu sein. Roenneberg nennt das „sozialen Jetlag“.

Wenn es durch die Sommerzeit abends länger hell ist, setzt die Produktion des Schlafbote­nstoffs Melatonin erst später ein. Man wird nicht rechtzeiti­g müde, muss aber morgens trotzdem früh aus dem Bett. „Mit der Zeit droht ein Schlafmang­el – wir werden noch mehr zu einer chronisch unausgesch­lafenen, übermüdete­n Gesellscha­ft“, sagte der Schlaffors­cher Hans-Günter Weeß kürzlich dem

Wie auch immer: Die nächste Umstellung findet auf jeden Fall noch statt. In der Nacht auf den 28. Oktober werden die Uhren wieder eine Stunde zurückgedr­eht.

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Foto: Emilio Naranjo, dpa Welche Zeit wird künftig in Deutschlan­d vorherrsch­en? Dieses Thema beschäftig­t derzeit viele Menschen.

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