Der Bademeister wurde zum Hotelier
Krumbach Karoline Christmann steht an der Tür zu ihrem Postkeller. Es ist die Zeit, in der das Lokal eigentlich voll ist. Voll mit gut gelaunten Gästen, die sich die selbst gemachten Kuchen und Torten schmecken lassen und in gemütlicher Runde den Tag genießen. Eigentlich. Denn das Lokal, in das sich Karoline Christmann jetzt begibt, ist leer, still, schummrig. Kein einziger Gast. Nichts rührt sich. Karoline Christmann ist allein in ihrem Lokal. Dass es so ist, ist ihre eigene Entscheidung. Die, erklärt sie, sei ihr nicht leicht gefallen.
Nach einem Leben für den Gast, für die Gastlichkeit, nun ein Leben nur für sich und ihren Mann Norbert, das muss sie wohl erst noch lernen. Doch die Umstände haben ihr den Weg vorgegeben. „Nach einer massiven Erkrankung im Sommer wurde mir klar, dass ich eine Entscheidung treffen muss.“Und die kann für einen Betrieb wie den Postkeller immer nur bedeuten: Ganz oder gar nicht. Und weil sie ein langes und oft auch aufreibendes Arbeitsleben hinter sich gebracht haben, entschieden sich die Christmanns letztlich für den Ruhestand, so wie ihn ihre Altersgenossen schon lange genießen.
Es war ein aufregendes, manchmal auch abenteuerliches Leben, das die Christmanns als Gastronomen und Hoteliers führten. Nach Krumbach kamen sie aus Zufall: Der medizinische Bademeister Norbert Christmann, ein Pfälzer, fand das schwäbische Städtchen, als er auf der Suche nach einer passenden Praxis war. Und seine Frau Karoline folgte ihm. Sie hatte lange als Köchin gearbeitet, dann in Fabrikantenund Adelshäusern die Hauswirtschaft geführt, ließ sich zur Podologin ausbilden, um in der Praxis mitarbeiten zu können. Als sie eigene Räume für ihr Familienunternehmen suchten, stießen sie auf den Postkeller, ein schmuckes, aber vergammeltes altes Gebäude, das die Christmanns liebevoll nach alten Dokumenten restaurierten. Nach dem sie dort keine Genehmigung zur Führung einer Praxis erhielten, wurde der Postkeller zu ihrem Wohnhaus. „Es war seltsam,“erinnert sich Karoline, „immer wieder kamen Leute vorbei, angezogen von dem Schriftzug Postkeller und hofften, hier ein schönes Lokal zu finden.“Als klar wurde, dass die Zeit als Masseur für Norbert endlich war – er litt an einer der typischen Berufskrankheiten – wandelte sich eine verrückte Idee immer mehr in einen konkreten Plan: Die Christmanns wollten ein Lokal, ein schickes Café und dazu Fremdenzimmer. Aber keine Absteige, sondern ein richtiges kleines Hotel.
„Man hat uns gesagt, in Krumbach wäre kein Bedarf an einem Hotel“, erinnert sich Norbert Christmann an einen der vielen Kämpfe, die der Pfälzer mit den Schwaben auszufechten hatte. „Aber wir haben es trotzdem geschafft! Wir haben im März 1990 ein Hotel in Krumbach eröffnet.“Karoline Christmann ist noch immer stolz, wenn sie an diese Pioniertat denkt. Und auch ihr Mann fühlt sich bestätigt, in eine damals noch nicht so sichere Zukunft investiert zu haben. Doch bald wendete sich das Blatt: Mit Legoland kamen die Gäste und sie blieben. Das Hotel wurde zum sicheren Standbein und es ist der Teil des Unternehmens, der von der nächsten Generation weitergeführt werden wird. Das Café-Restaurant aber hat eine unsichere Zukunft. Die Familie wird es nicht fortführen, ob ein anderer Betreiber übernehmen wird, steht noch nicht fest.
Es ist der Teil des Betriebs, der aufreibt: jeden Morgen um halb sechs Uhr raus, Frühstück machen für die Gäste aus dem Hotel, aber auch für die Externen, die die Gastlichkeit des Hauses schätzen. Dann übergangslos das Mittagessen, die Kaffeezeit, das gemütliche Abendrestaurant. Das gepflegte Buffet, kombiniert mit Service, die hausgemachten Kuchen, das Ambiente, das Karoline Christmann mit viel Liebe und Hingabe saisongerecht ausdekoriert hat – damit verbinden viele Stammgäste den Postkeller.
„Das Lokal war mein Wohnzimmer. Wir haben immer hier gelebt, vom Frühstück bis zum Abend. Auch unsere Kinder.“Und so hat sie den Postkeller wohnlich geschmückt. Ihre Bärenstube war Legende. Unzählige Kisten mit Dekomaterial stapelten sich auf dem Dachboden. Vor Kurzem hat sie bei einem Flohmarkt einiges abgegeben. „Da kamen Gäste, die wollten sich wirklich ein Stück vom Postkeller mit nach Hause nehmen“, stellt Karoline Christmann gerührt fest. Doch es hat gedauert, bis sich der Postkeller durchgesetzt hat. Die Württembergerin und der Pfälzer konnten sich nicht vorstellen, dass sie auf so viel Skepsis und Zurückhaltung stoßen würden. „Ich wollte von Anfang an ein elegantes Haus führen, mit Platztellern und Silber, edel eben. Aber viele Gäste haben sich davon eher abschrecken lassen.“Doch mit der Zeit wuchs der Gästestamm und heute, am Ende einer fast 30-jährigen Gastronomiegeschichte, bedauern zahlreiche Gruppen, Stammtische, Stammgäste die Schließung, fühlen sich heimatlos.
„Aber viele Gäste zeigen durchaus auch Verständnis für unsere Situation und wünschen uns einen guten Ruhestand, den wir auch noch genießen können. Immerhin haben wir nun fast 30 Jahre von sechs Uhr früh bis in die Nacht hinein gearbeitet. Das zehrt an den Kräften.“Viele ihrer Gäste haben sie durch Familienfeiern gewonnen. „Wir haben zahlreiche geschlossene Veranstaltungen organisiert und die zufriedenen Gäste sind dann immer wieder gekommen.“Doch diese Zusatzarbeit kostet Energie. Das merkt Karoline Christmann besonders im Urlaub. „Wenn ich dann ein paar Tage zur Ruhe komme, kommen die Albträume. Da steht eine Gesellschaft vor der Tür und will feiern und ich habe nichts vorbereitet!“Auch Hotelgäste gab und gibt es, die immer wieder kommen. Es braucht nur einen kleinen Anstoß, und die Erinnerung fließt nur so bei den Christmanns. In den Jahrzehnten als Gastgeber haben sie die tollsten Sachen erlebt. Norbert Christmann liebt die Geschichte vom Kreuzschiffkapitän. „Viele Jahre ist dieser Herr regelmäßig zu uns gekommen. Immer in beeindruckender Uniform. Er bezog ein Zimmer und in der Zeit, die er im Postkeller verbrachte, ließ er es so richtig krachen. Die Damenwelt lag ihm zu Füßen. Dann verschwand er und kam nach zwei oder drei Monaten wieder. Eines Tages aber blieb er für immer weg.“Ob er ein Kapitän oder doch vielleicht ein Hochstapler war, warum er ohne Abschied gegangen ist, die Christmanns wissen es nicht.
Aber es war ein Mann, der stets seine Rechnungen bezahlte. Das ist nicht bei allen Gästen so. Ab und an mussten die Hoteliers Lehrgeld zahlen, wurden Gutmütigkeit und Vertrauen ausgenutzt. Aber eher selten, versichern sie. Sie waren stets bereit, zu helfen, wenn Not war. Norbert Christmann sagt von sich gar, er habe ein Helfersyndrom. „Einmal kam nachts eine Frau“, erinnert sich Karoline, „völlig erschöpft, aber wir waren ausgebucht, so wie die ganze Region. Sie bat die Toilette benutzen zu dürfen, nach ihr kamen die Kinder. Die ganze Familie wollte im Auto schlafen, zu viert, das konnte ich nicht mit ansehen. Wir haben kurzerhand im Wintergarten die Möbel beiseitegeschoben und Notbetten aufgestellt.“Mit solchen Extratouren ist nun Schluss. Die Christmanns sind im Ruhestand.