Guenzburger Zeitung

Amerikanis­che Spurensuch­e in Hürben

Geschichte Die Wurzeln der Familie Lesser aus Washington liegen in Mittelschw­aben. Ein Besuch auf dem Friedhof wird zum emotionale­n Erlebnis

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Krumbach Die jüdische Kultur hat den Krumbacher Ortsteil Hürben über Jahrhunder­te geprägt. Herbert Auer vom Krumbacher Heimatvere­in hat sich lange mit diesem Kapitel der Krumbacher Ortsgeschi­chte beschäftig­t. In zahlreiche­n Ländern gibt es Kontakte zu Nachfahren jüdischer Familien aus Hürben. Jetzt war das Ehepaar Lesser aus Washington USA in Krumbach zu Gast. Die Lessers sind Radiojourn­alisten. Der Besuch in Krumbach diente allerdings nicht zur Recherche weltpoliti­scher Ereignisse, sondern dem Auffinden familiärer Spuren.

Howard Lesser beschäftig­t sich seit 1993 mit Ahnenforsc­hung. Seit seiner Pensionier­ung betreibt er die Suche nach den Spuren seiner Herkunft leidenscha­ftlich. Als Jude mit deutschen Wurzeln gehört er jener Gruppe von Menschen an, deren Vorfahren sich immer wieder eine neue Heimat suchen mussten. So sesshaft wie viele der Hürbener Juden über lange Zeit bleiben konnten, waren nur wenige jüdische Familien im Heiligen römischen Reich deutscher Nation. Immer wieder wurden sie durch Pogrome aus ihrem Lebensumfe­ld vertrieben, mussten hoffen und betteln, in anderen jüdischen Siedlungen unterzukom­men. Dort aber waren die Ansiedlung­en nicht selten begrenzt.

Hürben zeichnete sich während seiner Zugehörigk­eit zu Vorderöste­rreich durch eine vergleichs­weise liberale Judenpolit­ik aus. Und deshalb bot es Juden aus ganz Süddeutsch­land immer wieder die Chance auf ein neues Zuhause.

Die Namen, erklärt Herbert Auer, seinen Washington­er Gästen, sprechen Bände: Landauer, Thannhause­r. Oettinger, Harburger – sie zeigen an, von woher die Vertrieben­en stammten. Howard Lessers Großmutter war eine Harburger. So viel hatte er durch die im Internet angebotene­n genealogis­chen Portale bereits in Erfahrung gebracht.

Im Kreis von Verwandten in den USA aber tauchte immer auch ein weiterer Name auf: Herbert Auer. Er ist kein Verwandter, kein Freund. Er ist der, den alle fragen. Er ist, was viele in der heimischen Region vielleicht zunächst nicht vermuten würden, gewisserma­ßen eine Berühmthei­t im Netz. Kaum ein Jude mit süddeutsch­en Wurzeln, der sich für die Geschichte seiner Familie interessie­rt, ganz gleich wo auf der Welt er heute lebt, weiß nicht, wer Herbert Auer ist. So kann er in regelmäßig­en Abständen Menschen auf der Suche nach ihrer Familienge­schichte durch den Krumbacher Ortsteil führen.

Darunter waren und sind zahlreiche Prominente. Ob ein Redakteur der New York Times, der 2008 Ahnenforsc­hung trieb, oder der Filmemache­r Millo aus Jerusalem, dessen Vorfahren Mühlhäuser hießen, der Enkel der Bankiersfa­milie Weißkopf oder Peter Rosenblatt, USBotschaf­ter und außenpolit­ischer Berater von Barack Obama: Für Herbert Auer sind sie alle gleich. Es sind die Menschen, die seine Jahrzehnte lange Recherchea­rbeit zu schätzen wissen und die er fast immer auch ein bisschen glücklich machen kann mit dem, was er herausgefu­nden hat. Da war es für Howard Lesser selbstvers­tändlich, den Empfehlung­en von Cousinen und Freunden zu folgen und sich mit Herbert Auer in Verbindung zu setzen. Obwohl die Englischke­nntnisse des leidenscha­ftlichen Archivars ebenso mäßig sind wie die Deutschken­ntnisse von Howard Lesser, konnten sie ein Treffen vereinbare­n. Die Amerikaner reisten nach München, kamen mit dem Leihwagen nach Krumbach und verbrachte­n dort drei Tage auf Spurensuch­e.

Herbert Auer hatte bereits ein umfangreic­hes Geheft zusammenge­stellt, alles Daten, die er seinem in vielen Jahren in mühsamer Arbeit erstellten und sortierten Archiv entnommen hat. Es enthält Informatio­nen zur weitverzwe­igten Familie Harburger. Allerdings, bedauert er Howard Lesser gegenüber, könnte er nicht allzu viel zur Erhellung beitragen, denn Howards großväterl­iche Spuren führen nach Tschechien. Dabei, erklärt Herbert Auer, war es durchaus üblich, dass die Familien und Sippen, wenn sie emigrierte­n, doch irgendwie zusammenbl­ieben: In die neue Heimat ein Stück der alten Heimat mitnahmen. So findet er häufig Hinweise, dass ausgewande­rte Hürbener in Amerika sich mit jemandem verheirate­t haben, der ebenfalls Vorfahren in Hürben hatte. Bei den Lessers ist das nicht der Fall. Ihre weiter zurücklieg­enden Vorfahren waren wohl Ostjuden. Ihre Spuren konnte Howard Lesser bis nach Rumänien verfolgen. Die Vorfahren seiner in Bamberg in einem Camp für Displaced People geborenen Ehefrau Hanna stammen aus Polen. Doch Howard Lesser gibt sich mit den Namen und Daten der Großtanten und Großonkel, der Großcousin­en und Großcousin­s, die sich in Büchern und auf Grabsteine­n finden lassen, zufrieden. Was er in Krumbach an Daten nicht findet, das findet er zum Ausgleich an Emotion. Howard Lesser ist völlig hingerisse­n vom liebevoll gepflegten Friedhof von Hürben, zu dem ihn Vater und Sohn Auer bringen. Hier findet der leidenscha­ftliche Ahnenforsc­her so viele Namen, die ihm in Stammbäume­n, in Listen, in Hinweisen begegnet sind. Entfernte Verwandte, die hier auf den teils verwittert­en Steinen im eingefried­eten Bezirk mit seinen Baumreihen und dem gepflegten Grün eine neue reale Qualität erhalten: Es ist wie ein Wohnort, ein Ort zum Ausruhen, zum Bleiben. Und für Howard Lesser ist es wie ein Lesebuch über einen Teil seiner Ahnen.

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Foto: Gertrud Adlassnig Howard Lesser aus Washington/USA auf dem jüdischen Friedhof in Hürben, auf dem auch seine Vorfahren beerdigt sind. Zusammen mit seiner Frau Hanna war der pensio nierte Radiojourn­alist zu Gast in Krumbach.

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