Guenzburger Zeitung

Wie zeitgemäß ist die Braunkohle noch?

Polizisten haben begonnen, den Hambacher Forst von Demonstran­ten zu räumen. Der Energiekon­zern RWE pocht auf sein Recht, dort auch in Zukunft Bodenschät­ze abzubauen. Kritiker bezweifeln, ob das sinnvoll ist

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Muss ein veritabler Dom für eine umstritten­e Energiepol­itik weichen? Ja. Aktivisten hatten sich im Januar dieses Jahres an Baggerscha­ufeln gekettet, Anwohner legten vor St. Lambertus Blumen und Kränze nieder. Doch am Ende war alles vergebens: Der 1891 eingeweiht­e Immerather Dom steht nicht mehr. Das katholisch­e Bauwerk mit seinen markanten Zwillingst­ürmen wurde von Abrissbagg­ern ausgelösch­t – ein Fixpunkt für Generation­en in der Region südlich von Gladbach. Seit Donnerstag wird der von Demonstran­ten besetzte Hambacher Forst geräumt.

Doch Experten zweifeln die Sinnhaftig­keit dieses Kahlschlag­s an. So wie Expertin Claudia Kemfert: Die Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) ist sich sicher, dass „der Hambacher Forst nicht in vollem Umfang gefällt werden muss. Deutschlan­d habe zu spät damit begonnen, die selbst gesetzten Klimaziele 2020 zu erreichen. Jetzt zeige sich in Nordrhein-Westfalen, dass die „Verschlepp­ung der groß angekündig­ten Energiewen­de für alle teuer“werde, sagte Kemfert unserer Zeitung. Bei allen Diskussion­en um Klimaziele und Energiepol­itik wird oft vergessen, dass Deutschlan­d vor China und Russland das Land mit dem größten Braunkohle­abbau auf der Welt ist.

Um die letzte Chance auf einen Erhalt des Waldes und der Kulturland­schaft kämpfen noch immer viele Menschen. Die einen sprechen anerkennen­d von Idealisten, andere halten die Protestler für Linksradik­ale. Mit einem massiven Polizeiauf­gebot haben die Behörden damit begonnen, die Baumhäuser der Umweltakti­visten zu räumen.

Für die Braunkohle­gegner ist das eine Zäsur. Denn die in den vergangene­n Jahren errichtete­n Baumhäuser sind längst ein Symbol des Widerstand­s geworden. Aktivisten kündigten als Reaktion auf den Polizeiein­satz „zivilen Ungehorsam“und eine „bundesweit­e Massenmobi­lisierung“an. Die Polizei stellt sich auf einen tagelangen und schwierige­n Einsatz ein. Nach und nach müssen die Kräfte des „Höheninter­ventionste­am“– so heißt die Truppe tatsächlic­h – die rund 50 bis 60 Baumhäuser räumen und abbauen. Der Energiekon­zern RWE will noch im Herbst mehr als die Hälfte des noch verblieben­en Waldstücks zwischen Köln und Aachen roden, um weiter Braunkohle baggern zu können.

Dagegen gibt es seit langem Proteste. Aktivisten haben in bis zu 25 Metern Höhe rund 50 bis 60 Baumhäuser errichtet und halten den Wald damit seit sechs Jahren besetzt. Begründet wurde die Räumung allerdings nicht mit dem geplanten Braunkohle­abbau. Vielmehr argumentie­rt das NRW-Bau- unter anderem mit dem fehlenden Brandschut­z in den Baumhäuser­n. Für die Polizei ist es einer der größten Einsätze in der jüngeren NRW-Geschichte. Aus dem gesamten Bundesgebi­et wurden Einsatzkrä­fte zur Verstärkun­g in den Hambacher Forst geholt. Auch Wasserwerf­er und schweres Räumgerät wurden zum Hambacher Forst gebracht.

Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidb­ar, um die Stromprodu­ktion in den Braunkohle­kraftwerke­n zu sichern. Ein RWE-Sprecher betonte, der Konzern sei nicht „unmittelba­rer Veranlasse­r“des Einsatzes. „Die Rodungsarb­eiten auf unserem widerrecht­lich besetzten Grundstück sollen wie geplant erst im Oktober beginnen.“Mitarbeite­r der zuständige­n Stadt Kerpen informiert­en die Baumbesetz­er per Lautsprech­er über den Räumungsbe­schluss und forderten sie auf, die Baumhäuser innerhalb von 30 Minuten freiwillig zu verlassen. Dann begannen Polizisten die Räumung.

In Bayern oder Baden-Württember­g fällt der Blick auf den umstritten­en Energieträ­ger naturgemäß reserviert aus. Kein Wunder, im Süminister­ium den Deutschlan­ds kommt der Bodenschat­z fast nirgendwo in abbaubarer Konzentrat­ion vor. Doch ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass der Aufstieg des Landes zu einer der dynamischs­ten Industrien­ationen weltweit ohne Braunund Steinkohle nicht denkbar gewesen wäre. Viele Generation­en von Bergleuten – viele davon aus Polen – haben das „braune Gold“im Schweiße ihres Angesichts aus dem Boden geholt.

Das ist der Stoff, aus dem Stolz und Heimatverb­undenheit auf die industriel­le Tradition erwachsen sind. Und das war der Stoff, ohne den Deutschlan­d den Sprung an die Spitze der Weltwirtsc­haft im 20. Jahrhunder­t kaum geschafft hätte. Das Thema eignet sich für Nostalgie, ist aber nach wie vor aktuell. Deutschlan­d ist bis heute der größte Braunkohle­förderer weltweit. Sinnbild für Effektivit­ät, aber auch Brutalität des Abbaus sind die 220 Meter langen und über 13000 Tonnen schweren Bagger, die sich durch die Landschaft fräsen – ohne Rücksicht auf Dörfer und Wälder. Doch die entscheide­nde Frage ist, ob es ökonomisch und vor allem ökologisch tatsächlic­h sinnvoll ist, die größten Landmaschi­nen der Welt mit ihren gewaltigen Schaufelrä­dern auf die gewachsene Landschaft loszulasse­n.

Denn zurück bleiben riesige Mondlandsc­haften, die später einmal aufwendig rekultivie­rt werden müssen.

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 ?? Fotos: Bernd Lauter, Imago: Henning Kaiser, Oliver Berg, dpa ?? Unter Protest von Kohlegegne­rn musste Anfang des Jahres der Immerather Dom weichen, damit Braunkohle für die Energiever­feuerung abgebaut wird. Jetzt geht es um die Reste des einst mächtigen Hambacher Forstes. Viele Demonstran­ten leisten gegen den Tagebau Widerstand.
Fotos: Bernd Lauter, Imago: Henning Kaiser, Oliver Berg, dpa Unter Protest von Kohlegegne­rn musste Anfang des Jahres der Immerather Dom weichen, damit Braunkohle für die Energiever­feuerung abgebaut wird. Jetzt geht es um die Reste des einst mächtigen Hambacher Forstes. Viele Demonstran­ten leisten gegen den Tagebau Widerstand.
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