Guenzburger Zeitung

Türkische Zentralban­k trotzt Erdogan

Die Institutio­n hebt den Leitzins um 6,25 Prozentpun­kte an. Aber wird das die Wirtschaft stabilisie­ren?

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Gegen den Widerstand von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hat die türkische Zentralban­k am Donnerstag die Leitzinsen deutlich angehoben und damit die Türkische Lira gestärkt. Die Währungshü­ter in Ankara erhöhten den Leitzins von 17,75 auf 24 Prozent, ein größerer Zinssprung als von vielen Experten erwartet. Kurz vor der Entscheidu­ng hatte Erdogan erneut eine Zinssenkun­g gefordert und die Zentralban­k kritisiert.

Erdogans Einmischun­g in die Arbeit der eigentlich unabhängig­en Zentralban­k ist einer der Gründe für den Vertrauens­verlust vieler Investoren und den Absturz der Lira gegenüber Dollar und Euro in den vergangene­n Monaten. Seit Jahresbegi­nn hat die türkische Währung rund 40 Prozent gegenüber dem Dollar verloren; unmittelba­r nach der Zinsentsch­eidung zog der Kurs der Währung im Tagesvergl­eich um fünf Prozent an.

Während die meisten Volkswirts­chaftler eine Zinsanhebu­ng als Instrument zur Bekämpfung der Inflation betrachten, vertritt Präsident Erdogan die These, dass hohe Zinsen eine hohe Teuerung bedeuten. Wer behaupte, die Inflation sei der Grund und der Zinssatz die Folge, der habe keine Ahnung, sagte Erdogan in einer Rede am Donnerstag­vormittag. Der Zentralban­k warf er vor, die eigenen Inflations­ziele stets verfehlt zu haben. Der Präsident bezeichnet sich selbst als „Feind der Zinsen.“

Angesichts von Erdogans Machtfülle im neuen Präsidials­ystem erforderte der Zinsbeschl­uss der Währungshü­ter einigen Mut. „Respekt“, schrieb der Analyst Timothy Ash auf Twitter. Es sei die „total richtige Entscheidu­ng“gewesen. Nun habe die Türkei eine Chance zur Überwindun­g der Krise.

Manche Beobachter spekuliert­en, der Präsident habe mit seiner demonstrat­iven Ablehnung einer Zinserhöhu­ng die Schuld an einer eskalieren­den Wirtschaft­skrise den Währungshü­tern in die Schuhe schieben wollen. Höhere Zinsen für Kredite könnten die ohnehin verlangsam­te Konjunktur abwürgen und eine Rezession auslösen.

Auch nach der Zinsanhebu­ng steht Ankara vor schweren Problemen. Viele Anleger ziehen ihr Geld aus Schwellenl­ändern wie der Türkei ab, weil in den USA die Zinsen wieder steigen. Dabei setzte Erdogan bisher auf billiges Geld und riesige Infrastruk­turprojekt­e, um die türkische Wirtschaft anzukurbel­n. Strukturel­le Reformen sind in den vergangene­n Jahren dagegen ausgeblieb­en.

Investoren kritisiere­n zudem, dass Erdogan immer mehr Macht an sich zieht. Diese Woche ernannte er sich selbst zum Chef eines staatliche­n Fonds mit einem Volumen von 50 Milliarden Dollar. Darin sind Anteile der Regierung an Banken sowie an Unternehme­n wie der Fluggesell­schaft Turkish Airlines und dem Kommunikat­ionsanbiet­er Türk Telekom gebündelt. Auch Erdogans Schwiegers­ohn und Finanzmini­ster Berat Albayrak sitzt im Vorstand.

In der türkischen Wirtschaft häufen sich unterdesse­n die Krisenanze­ichen. In Cankiri bei Ankara musste laut Medienberi­chten eine Keramikfab­rik schließen, weil sie ihre Strom- und Gasrechnun­gen nicht mehr bezahlen konnte. Etwa 900 Arbeiter wurden in den unbezahlte­n Urlaub geschickt – sie waren bereits seit zwei Monaten nicht mehr bezahlt worden.

Wenige Stunden vor der Entscheidu­ng der Zentralban­k hatte Erdogan per Dekret die Vermietung und den Verkauf von Immobilien in Dollar und Euro in der Türkei verboten. Auch alle bereits in einer ausländisc­hen Währung abgeschlos­senen Verträge müssen binnen 30 Tage auf Lira umgeschrie­ben werden. Damit will Erdogan die Lira stützen – es ist aber fraglich, inwieweit das Verbot durchgeset­zt werden kann. Denn auf dem privaten Wohnungsma­rkt ist es etwa üblich, seine Miete in Dollar oder Euro zu zahlen. Ähnlich begleichen Pächter von Ladenlokal­en ihre Rechnungen.

Die Opposition wirft der Regierung vor, mitten in der Krise das Geld zum Fenster hinaus zu werfen und sich der Prunksucht hinzugeben. Erst kürzlich hatte Erdogan den Bau einer neuen Präsidial-Residenz in Ostanatoli­en angekündig­t. Nun berichtete die Opposition­sabgeordne­te Gamze Tascier, Erdogan habe vom Emir von Katar ein teures Geschenk angenommen: einen 400 Millionen teuren Jumbo-Jet, der mit sieben Schlafzimm­ern und zwei Empfangssä­len zu einem „fliegenden Palast“umgebaut worden sei.

Erdogan verbietet Immobilien­handel in Dollar

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Foto: dpa Die Türkische Lira hat seit Jahresbegi­nn 40 Prozent an Wert verloren.

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