Guenzburger Zeitung

Wenn Flüchtling­e zu Sexualtäte­rn werden

Eine 15-jährige Augsburger­in soll in einem Asylheim vergewalti­gt worden sein. Mindestens zwei Afghanen stehen unter Verdacht. Kommt so ein Verbrechen häufig vor? Was die Statistik der Polizei darüber sagt und warum die Bewertung so schwierig ist

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Das Mädchen wirkt hilflos, es ist nicht wirklich ansprechba­r. Die Passanten im Augsburger Stadtteil Lechhausen merken schnell, dass mit der Schülerin etwas nicht stimmt. Sanitäter rücken an. Die 15-Jährige wird in die Kinderklin­ik gefahren. Die Untersuchu­ng ergibt, dass das Mädchen unter Drogeneinf­luss steht – und missbrauch­t worden ist. Damit beginnt am 2. Juli ein Kriminalfa­ll, der die Ermittler der Augsburger Kripo noch immer intensiv beschäftig­t. Sie gehen dem Verdacht nach, dass die Schülerin in einer Asylunterk­unft vergewalti­gt worden ist. Womöglich von mehreren jungen Männern.

Das Mädchen erzählt später den Ermittlern, dass es einen 17-jährigen Afghanen kennengele­rnt hat. Als sie sich am 2. Juli trafen, gingen sie in ein Zimmer einer Augsburger Asylunterk­unft. Dort wohnt ein 20-jähriger Afghane, ein Bekannter. Sie rauchten einen Joint. Was danach geschah, weiß die Schülerin nicht mehr. Die Ermittler sprechen von einem „Filmriss“, ausgelöst durch die Drogen. Nun sitzen die beiden Afghanen in Untersuchu­ngshaft. Die Kripo hat Anhaltspun­kte dafür, dass mindestens ein weiterer Mann an dem Missbrauch beteiligt gewesen sein könnte. Es gibt DNASpuren.

Ein mutmaßlich­er Fall von Vergewalti­gung innerhalb eines Asylheims – damit ist die Polizei selten konfrontie­rt. Im Augsburger Präsidium wird die Zahl der Straftaten, bei denen der Tatort eine Unterkunft für Asylbewerb­er ist, genau erfasst. Es ist zuständig für Stadt und Landkreis Augsburg sowie für die Kreise Dillingen und DonauRies. Im vergangene­n Jahr registrier­te die Polizei nicht eine Vergewalti­gung innerhalb eines Heimes, auch für das Jahr 2016 steht in der Statistik keine Vergewalti­gung. 2015 gab es zwei Vergewalti­gungen innerhalb eines Flüchtling­sheims, die den Beamten bekannt wurden. Andere Sexualstra­ftaten, darunter sexuelle Belästigun­g oder die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie, gab es dort im vorigen Jahr in 15 Fällen.

Meistens sind bei Sexualstra­ftaten in den Heimen ausschließ­lich die Bewohner betroffen – das heißt, Täter und Opfer sind Asylbewerb­er. Siegfried Hartmann, Sprecher des Augsburger Polizeiprä­sidiums, sagt: „Teils spielen sich die Straftaten auch in einer Familie ab.“Gerade deshalb dürfte es eine höhere Dunkelziff­er geben. Weil Opfer sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Dazu kommen noch Sprachbarr­ieren, manchmal auch schlechte Erfahrunge­n mit der Polizei im Heimatland. Dass ihre Statistik nicht die ganze Realität erfasst, ist auch den Polizeibea­mten bewusst.

Anders sieht es dagegen bei Sexualstra­ftaten aus, die sich außerhalb der Unterkünft­e abspielen und an denen Asylbewerb­er beteiligt sind. Fachleute gehen davon aus, dass die Zahlen der Kriminalst­atistik hier deutlich aussagekrä­ftiger sind. Der Sozialpäda­goge Erwin Schlettere­r kümmert sich beim Verein „Brücke“um junge Straftäter. Er sagt: „Es gibt eine Reihe von Untersuchu­ngen, die zeigen, dass bei einem fremden Täter die Anzeigeber­eitschaft generell höher ist.“

Unsere Redaktion hat die Zahlen der Polizei für den Regierungs­be- Schwaben recherchie­rt. Sie zeigen, dass insgesamt die Zahl der tatverdäch­tigen Flüchtling­e bei Sexualstra­ftaten deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2015 ermittelte die Polizei in Schwaben 39 Flüchtling­e als mutmaßlich­e Sexualstra­ftäter, 2016 waren es 56 und 2017 dann 111 tatverdäch­tige Flüchtling­e.

Zumindest teilweise lässt sich der Anstieg damit erklären, dass das Sexualstra­frecht Ende 2016 verschärft worden ist. Übergriffe, die zuvor etwa nur als Beleidigun­g geahndet wurden, zählen nun zu den Sexualstra­ftaten. Dazu kam eine Neuregelun­g nach dem Prinzip „Nein heißt Nein“. Zuvor wurde eine Tat in der Regel nur dann als Vergewalti­gung eingestuft, wenn sich das Opfer deutlich wehrte. Jetzt reicht ein einfaches Nein. Dennoch zeigt sich bei Asylbewerb­ern als Sexualstra­ftätern eine Steigerung, die damit allein nicht zu erklären ist. Das ergibt ein anderer Vergleich. Im Jahr 2015 waren rund sechs Prozent der von der schwäbisch­en Polizei ermittelte­n Sexualstra­ftäter Flüchtling­e. Im Jahr 2017 lag der Anteil der Asylbewerb­er mehr als doppelt so hoch, bei 15,6 Prozent.

Werden Flüchtling­e also häufiger zu Sexualstra­ftätern als Deutsche? Seriös lässt sich diese Frage nur schwer beantworte­n. Darauf weisen auch die Polizeiprä­sidien in Schwaben hin. Es gibt mehrere Unsicherhe­iten. So kann man nicht genau sagen, wie viele Flüchtling­e sich jeweils in den untersucht­en Zeiträumen hier aufgehalte­n haben. Dazu kommt: Viele Asylbewerb­er sind jung und männlich. Damit fallen sie exakt in jene Gruppe, die ohnehin schon deutlich häufiger durch Kriminalit­ät und auch durch Sexualdeli­kte auffällt als andere Teile der Bevölkerun­g. Sozialpäda­goge Schlettere­r macht aber keinen Hehl daraus, dass auch der kulturelle Hintergrun­d eine Rolle spielen kann. Er denkt dabei aber weniger an Vergewalti­gungen, sondern an die wenizirk ger gravierend­en Fälle. Im vergangene­n Jahr etwa häuften sich im Augsburger Nachtleben zeitweise die Fälle, in denen Frauen von Flüchtling­en belästigt wurden – etwa durch Antanzen. Einige der Asylbewerb­er kamen aus der Unterkunft in Donauwörth, die zuletzt durch mehrere Zwischenfä­lle negative Schlagzeil­en machte.

Beim Verein „Brücke“reagierte man darauf mit einem eigenen Projekt. Mitarbeite­r des Vereins besuchen Übergangsk­lassen für Asylbewerb­er. Sie erklären den jungen Flüchtling­en, welche Gesetze hier gelten. Sie sprechen aber auch darüber, wie man es zu deuten hat, wenn eine Frau hierzuland­e einen Mann anlächelt oder ihn berührt. Und dass die Frau damit keinen Freibrief ausstellt. Die Brücke-Mitarbeite­r erleben dabei, dass junge Männer aus muslimisch geprägten Ländern oft eher zurückhalt­end und unsicher seien im Umgang mit dem anderen Geschlecht – was allerdings im Widerspruc­h steht zu den Fällen, wo Frauen vermehrt belästigt wurden.

Bei dem Verein plant man jetzt, das Projekt auch auf Flüchtling­sunterkünf­te auszuweite­n, um dort junge Männer zu erreichen. Im Herbst wird es einen ersten Versuch in einem Heim geben. Die Situation in den größeren Unterkünft­en ist ohnehin noch einmal eine besondere. Im Asylheim in der Proviantba­chstraße, in dem die 15-Jährige vergewalti­gt worden sein soll, ist Platz für rund 130 Personen. Vor allem junge Männer leben hier. Platz für Privatsphä­re bleibt kaum.

Der Musiker Farhad Sidiqi Jooyenda, der in Augsburg heimisch geworden ist, schilderte kürzlich in einem Gespräch mit unserer Redaktion, wie er die Zeit in der Unterkunft erlebt hat: „Einer sah die ganze Nacht fern, der andere rauchte permanent, ein anderer hörte tagsüber nur laute Musik.“Er habe das nur schwer ausgehalte­n. Diese Einschätzu­ng teilt man auch bei der Polizei. Durch die Enge gebe es immer wieder Konflikte, sagt Polizeispr­echer Hartmann. Kritisch sei es auch dann, wenn Flüchtling­e aus unterschie­dlichen Volksgrupp­en und Religionen zusammenle­ben müssten.

Erwin Schlettere­r, der Sozialpäda­goge, sieht das ähnlich. Langeweile und das „Abhängen“mit Gleichaltr­igen seien ebenfalls kritische Faktoren, sagt er. Er erlebe es in seiner Arbeit oft, dass junge Straftäter allein ganz brav seien – und sich erst in einer Gruppe dazu hinreißen lassen, Mist zu bauen. Schwierig sei es auch dann, wenn junge Flüchtling­e keine Perspektiv­e haben, weil sie abgeschobe­n werden sollen. Sie fragen sich, warum sie sich überhaupt anstrengen sollen.

Matthias Schopf-Emrich arbeitet

Die Ermittler sprechen von einem „Filmriss“

Plötzlich rücken wieder Polizisten an

als Flüchtling­sberater beim evangelisc­hen Hilfswerk Diakonie. Das diakonisch­e Werk betreut auch das Heim in der Proviantba­chstraße, das jetzt als Tatort einer mutmaßlich­en Vergewalti­gung gilt. Gerade bei Afghanen sei der Frust derzeit groß, sagt er. Viele Asylanträg­e haben keine Chance, der Abschiebes­topp für das Land ist aufgehoben.

Als am Mittwoch Polizisten anrücken, um auf der Suche nach weiteren Tatverdäch­tigen in dem Missbrauch­sfall von zahlreiche­n Bewohnern des Heimes DNA-Speichelpr­oben zu nehmen, bleibt aber alles ruhig. Keiner, der eine Probe abgeben soll, verweigert das, obwohl es rechtlich möglich ist. Der Frust entlädt sich diesmal nicht.

 ?? Archivfoto: Alexander Kaya ?? Gewalt in Asylheimen – hier ein Polizeiein­satz in Neu Ulm – kommt immer wieder vor. Meistens sind dort bei Sexualstra­ftaten die Bewohner selbst betroffen. Nicht so in dem aktuellen Fall aus Augsburg.
Archivfoto: Alexander Kaya Gewalt in Asylheimen – hier ein Polizeiein­satz in Neu Ulm – kommt immer wieder vor. Meistens sind dort bei Sexualstra­ftaten die Bewohner selbst betroffen. Nicht so in dem aktuellen Fall aus Augsburg.
 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Tatort einer Vergewalti­gung? Ein Asyl heim in Augsburg.
Foto: Silvio Wyszengrad Tatort einer Vergewalti­gung? Ein Asyl heim in Augsburg.

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