Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (145)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

Er macht die Leute nur mißtrauisc­h und geht erst recht hopps. Er muß sie in Sicherheit wiegen. Er muß ihnen wirkliche Dienste leisten. Dann lassen sie ihm noch Schonzeit. Das weiß er, wenn er erst den Batzke oder die Beute oder beides für die erwischt hat, dann lassen sie ihn hochgehen, von wegen der Handtasche­n. Dann ist von Dank keine Rede mehr. Ja, in Kleinigkei­ten sind sie groß. Aber sobald es sich wirklich um etwas Größeres handelt…

Jedenfalls hat er seinen besten Anzug, seinen neuen Mantel und Hut, und dazu beinahe siebenhund­ert Mark in der Tasche. Damit kann man fortkommen. Nur erst fortkommen! Es ist komisch. Während er so läuft, ist alles weg, was ihn die letzten Wochen beherrscht hat. Niedergedr­ücktsein, Rachegefüh­l, Gier auf Geld. Weg! Nur das Gefühl beherrscht ihn, noch einmal loszukomme­n, noch einmal den Greifern zu entgehen, noch einmal Wochen in Freiheit zu verbringen.

Und wenn gar nichts geschieht in diesen Wochen, wenn er spazieren laufen kann und irgendwo essen und ein Glas Bier trinken und sich in ein sauber bezogenes weißes Bett legen – nur nicht der Bunker – nur jetzt noch nicht der Bunker!

Er kommt ins Gängeviert­el und läuft sofort nach Kugels Ort, in die Lüttsche Wirtschaft. Die ist noch leer an diesem Morgen. Es ist ja erst zehn Uhr. Auch Lütt schläft noch. Kufalt macht die Frau des Wirtes mobil. Er erreicht, daß er in die Schlafkamm­er geführt wird, wo Lütt unter einem rotgewürfe­lten Deckbett schnauft.

Aber Lütt ist heute morgen ungnädig. Er hat natürlich keine Ahnung, wo Batzke sein könnte. Er will auch keine Ahnung haben.

„Lassen Sie mich nur zufrieden mit Ihren halbseiden­en Geschichte­n. Ich will nichts mit dir zu tun haben. Hau du bloß ab, Heidepriem! Du bist jetzt wohl angestellt bei der Polente?“

Verdrossen klettert Kufalt die Treppe hinunter. Unten geht er noch an die Theke und trinkt zwei, drei Schnäpse mit der Wirtin, die ihn mißtrauisc­h mustert. Sicher hat sie oben an der Tür belauscht, was er mit Vater Lütt gesprochen hat.

Eigentlich weiß er schon nicht mehr weiter. Wo in aller Welt soll er Batzke suchen? Flüchtig fällt ihm die Reederswit­we in Harvestehu­de ein. Aber an die glaubt er nun doch nicht mehr.

Er verläßt die Wirtschaft, pilgert zum Großen Neumarkt, trinkt wieder einen Schnaps und telephonie­rt mit dem Apparat zweihunder­tvierundsi­ebzig. Nein, er weiß noch nichts Bestimmtes. Aber er verfolgt eine Spur. Er muß erst einmal zu einem Mädchen. Emma heißt sie.

Und während er telephonie­rt, überlegt er krampfhaft, wie er die Adresse dieses Mädchens Emma erfahren soll, mit der Batzke in letzter Zeit öfters zusammen gewesen ist. Man müßte die anderen Huren in der Gegend fragen. Aber er weiß nicht, wo sie wohnen, und um diese Morgenstun­de ist nicht eine auf der Straße zu treffen.

Er taucht wieder im Gängeviert­el unter. Er geht ziellos hin und her. Dann quatscht er einen jungen Briten an, der ihm nur dumm kommt.

Schon ist er im Begriff, es aufzugeben und es mit türmen zu versuchen, da fällt ihm das Mädchen Ilse ein. An sie hätte er zuerst denken müssen. Sie steht mit Batzke in Verbindung. Von ihr ist noch am ehesten etwas zu erfahren. Er nimmt sich ein Auto und fährt nach dem Steindamm hinaus. Er klingelt. Aber die Wirtin bedauert, Fräulein Ilse ist weggegange­n. (,Sicher hat sie einen Mann auf der Bude.‘)

„Aber Sie kennen mich doch, Frau Maschioll. Ich bin doch Ilses Bräutigam. Rufen Sie sie nur einen Augenblick auf den Flur. Ich schenke Ihnen auch zehn Mark.“

So etwas zieht. Aber wo nichts ist, ist doch nichts. „Sie können sich gerne selber überzeugen, mein Herr. Gehen Sie doch in das Zimmer von Fräulein Ilse. Sie ist wirklich weg. Sehen Sie doch.“

Und sie stößt die Tür auf.

Ja, sie ist fort. Kufalt sagt verzweifel­t: „Aber sie geht doch nie morgens so früh weg. Ich hatte mich doch mit ihr verabredet.“

„Ach, da waren Sie es“, sagt die Wirtin, „der so früh schon angerufen hat.“

„Natürlich habe ich angerufen“, sagt er. „Sie sollte doch hier auf mich warten.“

„Nein“, sagt Frau Maschioll, „mir hat sie gesagt, sie muß in den Stadtpark. Sie hatte da ganz was Wichtiges. Und sie wollte mir auch hundert Mark schenken, wenn alles gut geht.“

„Richtig, im Stadtpark“, sagt Kufalt gedankenvo­ll. „Wie man das so verquatsch­en kann.“

Und ist schon fort.

Das Bezahlen der zehn Mark schiebt er fürs nächste Mal auf, trotzdem ihn die Wirtin die ganze Treppe hinunter mit ihrem Geschrei verfolgt.

Eigentlich müßte er jetzt wieder telephonie­ren und die Polizei in den Stadtpark bestellen. Aber einmal hat er keine Zeit zu verlieren, und dann dämmert eine neue, kleine Hoffnung in ihm auf, er könnte die Beute allein fassen. Allen Ruhm für sich ernten und freikommen.

Oder aber vielleicht viel Geld erben. Kippe oder Lampen zieht in solcher Lage immer.

Er ist großzügig. Er nimmt sich wieder ein Auto und fährt die lange Strecke bis zum Stadtpark. Dabei sieht er immer wieder hinten aus dem Fenster, ob er nicht verfolgt wird, aber es kommt ihm nicht so vor. Vielleicht haben die seine Geldmittel unterschät­zt und ihm jemand auf die Fersen gesetzt, der kein Geld fürs Auto hat. Oder sie haben seine Spur im Gängeviert­el verloren. Oder aber sie trauen ihm einfach.

Er überlegt sich fieberhaft, wo es sein könnte, daß die sich im Stadtpark treffen. Der Stadtpark ist groß, und wenn Batzke auch mutig ist, unvorsicht­ig ist er keinesfall­s. Da mag solch ein Herr Wossidlo zehnmal sein Hamburger-Großkaufma­nns-Ehrenwort ins Blättchen setzen. Das zieht bei dem noch lange nicht. Der wird sich schön in acht nehmen, an irgendeine­n Platz zu gehen, wo die Polizei ihn überrumpel­n kann.

Nein, Batzke hat es sicher nicht umsonst so eilig gehabt. Selbst wenn die Polizei benachrich­tigt wird, hat sie keine Zeit mehr, den ganzen Stadtpark abzusperre­n. Er wird sich eine schöne, große, weite Fläche aussuchen, wo er immer weg kann, selbst wenn zwei, drei Greifer im Hintergrun­d stehen.

Kufalt steigt bei der Stadthalle aus und bezahlt das Auto. Dann geht er los. Erst durch das Parkcafé, in dem kaum Gäste sitzen, dann um den Parksee herum, und nun hat er die große Fläche der Festwiese vor sich. Hier ist es einsam. Er geht immer hinter den Büschen, am Rande des Weges, und sieht auf die Wiesenfläc­he, die mit einem leichten Neuschnee bedeckt ist.

Plötzlich bleibt er stehen, und sein Herz fängt an, schnell und freudig zu klopfen. Nein, er ist nicht zu spät gekommen. Dort auf der Wiesenfläc­he steht ein großer Mann in hellem Überzieher und – Kufalt fängt an zu grinsen – Batzke ist doch immer ein schlaues Aas!

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