Guenzburger Zeitung

Regieren muss man auch wollen

Der Fall Maaßen ist nur ein Beispiel von vielen: Ein Jahr nach der Wahl befindet sich die Koalition im Dauerstrei­t. Hat sie die Bodenhaftu­ng verloren?

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Sie wackeln noch heute, so heftig hat das Ergebnis der Bundestags­wahl vor einem Jahr CDU, CSU und SPD erschütter­t. Abgestraft vom Wähler, versuchen die drei angeschlag­enen Volksparte­ien seither verzweifel­t, verspielte­s Vertrauen zurückzuge­winnen. Doch so entsteht immer mehr der Eindruck, dass in Berlin Politiker regieren, die gar nicht regieren wollen, zumindest nicht miteinande­r.

Seit zwölf Monaten taumelt das Land von einer Hängeparti­e zur nächsten. Und viele Bürger könnten verzweifel­n angesichts der Unwilligke­it mancher Volksvertr­eter, Verantwort­ung zu übernehmen. Zuerst ließ FDP-Chef Christian Lindner eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und Liberalen platzen. Dann begann die SPD einen langen, verlustrei­chen Kampf gegen sich selbst. Bis sie sich doch noch durchrang. Zum Regieren. Es soll Parteien geben, die genau deswegen überhaupt erst bei Wahlen antreten. Dabei ließen Wahlergebn­is und Jamaika-Aus praktisch keine andere Möglichkei­t. In den Koalitions­verhandlun­gen nutzte die SPD diese Tatsache dann und setzte den Ton, der für diese in Wahrheit gar nicht mehr so große Koalition so verhängnis­voll werden würde: Entweder wir bekommen unseren Willen oder wir machen nicht mit. Sechs Minister, viel sozialdemo­kratische Politik im Regierungs­programm – und trotzdem zerfleisch­t sich die Partei weiter über die Frage, ob die Opposition die bessere Alternativ­e gewesen wäre.

In der Union schwelt unterdesse­n bis heute der ungelöste Konflikt zwischen CDU und CSU über die Flüchtling­spolitik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Immer wieder zeigt sich, dass das Band zwischen der CDU-Chefin und CSU-Chef Horst Seehofer in Wirklichke­it längst zerschnitt­en ist. Auch Seehofer stellt, wenn es ihm um seinen Kurs bei Sicherheit und Migration geht, den Fortbestan­d der Koalition infrage. Der Dauerstrei­t nervt viele Menschen nur noch. Und er überschatt­et die Tatsache, dass die meisten Minister emsig ihre Aufgaben anpacken.

Doch Regieren ist mehr als nur das Abarbeiten eines Koalitions­vertrags. Regieren bedeutet auch: Reagieren auf das, was am Verhandlun­gstisch keiner vorausgese­hen hat. Und wenn die Regierung jedes Mal ins Wackeln gerät, wenn ein politische­r Sturm aufzieht, verlieren die Bürger Geduld und Vertrauen. Das ist gefährlich in diesen aufgewühlt­en Zeiten, in denen viele Gewissheit­en ins Wanken geraten, in denen Globalisie­rung und Migrations­ströme für gewaltige Herausford­erungen sorgen.

Mit einfachen Antworten auf komplizier­te Fragen hat es die AfD geschafft, stärkste Opposition­spartei zu werden. Es sind deswegen keine Weimarer Verhältnis­se, die in Deutschlan­d herrschen. Aber die Große Koalition muss jetzt alles dafür tun, um endlich zu einem Zustand der Stabilität zu finden. Sonst beschleuni­gt sich der Niedergang der Volksparte­ien weiter.

Dass es den Menschen heute in Deutschlan­d wirtschaft­lich so gut geht, ist genau diesen Volksparte­ien zu verdanken. SPD und Union, ob zusammen oder getrennt, haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n die Weichen vernünftig gestellt. Doch es scheint, als ginge bei vielen Politikern nach Jahren des Regierens das Gespür dafür verloren, was die Bürger wirklich umtreibt – die Affäre Maaßen ist dafür nur der jüngste Beweis. Wo eine kompromiss­lose Position auf die andere trifft, kann am Ende nur ein fauler Kompromiss herauskomm­en. Ein Kompromiss, den kaum ein Wähler versteht und der das Ansehen der Politik weiter beschädigt. Tröstlich ist im Moment nur eines an der bizarren MaaßenAffä­re. Immerhin besaßen die Beteiligte­n die Größe, eine unglücklic­he Entscheidu­ng zu überdenken – und zu korrigiere­n.

Von einer Hängeparti­e zur nächsten

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