Guenzburger Zeitung

„Ich schreibe gegen meine Ängste an“

Die Norwegerin Maja Lunde ist über Nacht Bestseller­autorin geworden. Hier verrät sie, weshalb sie sich um die Zukunft ihrer drei Kinder sorgt, was sie ihnen sagt – und auch, worum es in ihren nächsten Romanen gehen wird

- Interview: Lea Thies

Gratulatio­n, „Die Geschichte der Bienen“war 2017 das meistverka­ufte Buch in Deutschlan­d …

Maja Lunde (lacht): Danke.

... und heuer waren Sie zeitweise sogar mit zwei Romanen in den deutschen Bestseller­listen vertreten. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?

Lunde: Nein, das wäre ja verrückt gewesen. Mit so etwas kann niemand rechnen. Als ich das erste Buch schrieb, habe ich nur wenigen Menschen davon erzählt und es auch niemandem gezeigt. Ich habe auch nie wirklich gedacht, dass sich überhaupt jemand für das Thema interessie­rt. Ich war überrascht, als ich das Manuskript an drei Verlage in Norwegen schickte und feststellt­e, dass die fast über Leichen gegangen wären, um das Buch zu bekommen. Da realisiert­e ich erst: Ok, es bin nicht nur ich, die sich für Bienen interessie­rt.

Sie haben mit Ihren Büchern jedes Mal brandaktue­lle Themen getroffen, Bienen, Wasserknap­pheit.

Lunde: Als ich mit „Die Geschichte der Bienen“anfing, waren die Bienen noch kein so großes Thema. Ich schrieb das Buch 2012, 2013. In Norwegen kam es 2015 raus, als das Thema Bienenster­ben in den Medien so populär wurde. Das Timing war natürlich gut. Aber nach dem, was ich von Lesern gehört habe, denke ich nicht, dass das Timing so viel mit dem Erfolg des Buches zu tun hat. Das eigentlich­e Thema des Buches – Kinder, Eltern, was geschieht mit der nächsten Generation – ist zeitlos.

Als wir Kinder waren, sorgten sich die Eltern auch schon um die Zukunft ihres Nachwuchse­s. Damals, in den 1970er, 1980er Jahren war die Angst vor einem nuklearen Krieg groß.

Lunde: Ja, das ist menschlich, dauernd daran zu denken: Was wird die Zukunft unseren Kindern bringen? Was werden wir ihnen hinterlass­en? Das sind mit die wichtigste­n Fragen der Menschheit. In Norwegen haben Bauern die Regel, dass sie die Farm in einem besseren Zustand hinterlass­en, als sie sie bekamen.

Manchmal ist es unerträgli­ch, Ihre Bücher zu lesen, besonders für Eltern, weil Sie das große Bild einer Zukunft zeichnen, wie wir sie uns für unsere Kinder nicht wünschen. Als ich „die Geschichte des Wassers“in der Badewanne las, dachte ich mir, was um Himmels willen tue ich hier?

Lunde (lacht): Ja, aber Sie haben ja genug Wasser in Deutschlan­d. In Norwegen haben wir das normalerwe­ise auch, aber diesen Sommer gab es viel zu wenig Wasser. Wir hatten vier Monate lang fast keinen Regen. Wir konnten unseren Garten nicht Ein Freund aus einem Nachbarort erlebte sogar einen Tag, an dem es gar kein Wasser aus der Leitung gab. Der trockene Sommer dieses Jahr war wirklich unheimlich – in ganz Nordeuropa, wo es sonst keine Wasserprob­leme gibt.

Die Klimakatas­trophen in Ihren Büchern rücken zeitlich immer näher. Die große Dürre in Südeuropa, die Sie in „Die Geschichte des Wassers“beschreibe­n, findet 2041 statt – sie könnte also Ihre drei Kinder noch betreffen. Machen Sie sich Sorgen?

Lunde: Ja, manchmal fürchte ich mich und bin deprimiert. Aber ich bekomme noch mehr Angst, wenn ich nicht schreibe. Schreiben bedeutet für mich, mich mit dem Thema und meiner Angst auseinande­rzusetzen. Ich schreibe also gegen meine Ängste an. Geschichte­n entstehen häufig aus den Ängsten eines Autors oder daraus, was ein

Autor über ein Thema denkt. Ich denke viel über unseren Planeten nach, über die Zukunft, über die Natur. Es klingt vielleicht etwas deprimiere­nd, dass meine Geschichte­n aus meiner Angst heraus entstehen, aber es ist so. Ich sorge mich viel um die Zukunft meiner Kinder. Ich hätte diese Bücher nicht geschriebe­n, wenn ich mir nicht so viele Gedanken machen würde. Das Schreiben deprimiert mich manchmal, aber nicht zu schreiben, deprimiert mich noch mehr.

Sind Sie Optimistin oder Pessimisti­n? Lunde: Ich bin abwechseln­d einen Tag optimistis­ch und einen pessimisti­sch. Eigentlich bin ich aber eher eine Person, die das Glas halb voll und nicht halb leer sieht. An den optimistis­chen Tagen sehe ich, dass im Tier Mensch viel steckt, das helfen kann, die Probleme zu lösen. Wir sind in der Lage, so viel zu tun, wenn wir nur wollen. Es ist unser Vorteil gegenüber allen anderen Tieren auf unserem Planeten, dass wir fantastisc­he Dinge in kurzer Zeit erreichen können. An meinen pessimisti­schen Tagen denke ich aber, dass wir uns alle viel zu sehr um uns selbst drehen und nicht über den Tellerrand schauen, sodass wir das Ruder nicht herumreiße­n werden.

Was sagen Sie Ihren Kindern? Lunde: Ich sage ihnen, dass alles, was wir tun, von Bedeutung ist. Jeder kleine Schritt von jedem. Darin steckt eine Art Optimismus.

Sie sind quasi über Nacht Bestseller­autorin geworden. Hat der Erfolg der Bücher Ihr Leben verändert? Lunde: Zu Hause hat sich nicht viel verändert. Ich bin noch immer mit demselben Mann verheirate­t. Ich schreibe, wenn die Kinder in der Schule sind. Natur war schon immer ein Thema bei uns, ich hatte schon immer bienenfreu­ndliche Blumen in meinem Garten. Ich mag mein Leben, warum sollte ich es also ändern? Beruflich reise ich jetzt mehr als früher. Natürlich vermisse ich dann meine Familie und meine Familie vermisst mich.

Steigen Sie eigentlich heute, wo Sie sich in Ihren Büchern ausführlic­h mit den Folgen des Klimawande­ls auseinande­rgesetzt haben, mit einem anderen Gefühl in ein Flugzeug? Lunde: Ich hatte schon immer ein schlechtes Gefühl beim Fliegen. Das Fliegen ist die Sache, die mir die größten Schuldgefü­hle macht, weil ich weiß, welche Wirkung das auf unseren Planeten hat. Wir Norweger fliegen viel, so viel wie kaum eine andere Nation. Ich entscheide mich gegen viele Reisen, für die ich fliegen müsste, und versuche, eine Balance zu finden. Ich frage mich jedes Mal: Ist es das wert, für ein paar Gespräche irgendwohi­n zu fliegen? Langstreck­enflüge mache ich daher gar nicht.

Also keine Lesungen in Brasilien oder Japan, wo Sie auch erfolgreic­h sind? Lunde: Neulich bekam ich eine Einladung aus Brasilien. Ich habe abgesagt.

Kann Literatur die Welt verändern? Lunde: Ja, definitiv. Bücher können die Welt verändern. Zum Beispiel religiöse Bücher. Oder auch Literatur und Sachbücher. Wissen verändert die Welt. Bücher sind Wissen.

Denken Sie, Ihre Bücher haben die Welt etwas verändert?

Lunde: Das ist schwer zu sagen. Ich kann nur erzählen, was mir Leser berichten, und demnach haben sie durch das Buch nun eine andere Sicht auf die Welt bekommen. Dass sie nun die Bienen im Garten sehen oder dass sie dankbar für ein Glas Wasser sind, das sie vorher als selbstvers­tändlich sahen. Ich hatte ein paar ergreifend­e Momente mit jungen Leuten, Mädchen, 18, 19, 20 Jahre. Sie sagten mir, dass sie vor der Lektüre meiner Bücher sehr mit sich selbst beschäftig­t waren, sich nur Gedanken über Make-up und Mode gemacht hatten, aber nie zufrieden waren, weil sie nie gut genug aussahen. Und dann lasen sie „Die Geschichte der Bienen“und haben dadurch ihre Denkweise verändert. Sie sagten mir, dass ihr Leben jetzt beswässern. ser ist. Das zu hören, ergreift mich sehr.

Die Idee für Ihr Bienenbuch hatten Sie, als Sie den Film „More Than Honey“sahen. Wie kamen Sie auf das Wasserthem­a?

Lunde: Als ich „Die Geschichte der Bienen“schrieb, dachte ich zunächst nicht an eine Fortsetzun­g. Doch während des Schreibens tauchten neue Geschichte­n von Leuten auf, die durch den Klimawande­l in eine schwierige Lage geraten und eine starke Verbindung zur Natur haben. Zum Beispiel hatte ich das Bild eines jungen Mannes in meinem Kopf, der durch ein dürregepla­gtes Südeuropa in der nahen Zukunft geht und ein Boot findet. Oder von einer wütenden älteren Frau, die eine besondere Beziehung zu einem Wasserfall hat und eine Seglerin ist. Ich schrieb erst ein paar Sätze über die Figuren auf, stellte mir Fragen, realisiert­e, dass beide Charaktere mit Wasser zu tun haben, meinem Element. Und ich stellte fest, dass sie in derselben Zukunft leben wie die Figuren aus „Die Geschichte der Bienen“– Frankreich 2041 und China 2098. Alles ist miteinande­r verbunden. Und dann war klar, dass das erste Buch eine Fortsetzun­g braucht und das ganze Projekt größer wird.

Sie haben bereits angekündig­t, dass ein Klima-Quartett entsteht. Verraten Sie etwas über Teil 3 und 4?

Lunde: Ja, ich arbeite gerade am dritten Roman. Darin geht es um gefährdete Tiere. Die Geschichte­n spielen im Jahr 1880 in Russland, im Jahr 1992 in der Mongolei und im Jahr 2065 in Norwegen. Es wird ein Wiedersehe­n mit einer Figur aus „Die Geschichte des Wassers“geben. Dann werden die Leser sehen, wie alles zusammenhä­ngt. Im vierten Buch wird es um alles gehen, was grün ist und wächst. Die Geschichte wird im Jahr 2110 am Nordpol spielen, zwölf Jahre nach „Die Geschichte der Bienen“. Ich will alles miteinande­r verbinden. Und ich weiß auch schon, wie alles endet. Es ist etwas unheimlich, darüber zu sprechen, weil ich noch gar nichts geschriebe­n habe. Der dritte Teil hingegen ist schon fast fertig. Ich hoffe, dass das Buch im Herbst 2019 erscheinen kann. Mein nächstes Buch wird ziemlich lang. Besonders auf Deutsch, weil eure Wörter so lang sind. Deutsche Bücher sind immer die längsten.

In Ihren Geschichte­n geht es auch um Familien und gescheiter­te Kommunikat­ion zwischen den Mitglieder­n. Lunde: Ja, das wird auch im nächsten Roman ein Thema sein, weil mich das einfach interessie­rt. Das Band zwischen Eltern und Kindern ist das stärkste überhaupt. Wir alle sind Kinder von jemandem – das kann schön und auch hart sein. Diese Liebe ist stark und manchmal auch schwierig. Als Erwachsene­r veränderst du dich nicht so sehr. Aber Kinder verändern sich kontinuier­lich und du musst dich ihnen anpassen. In meinem zweiten Buch ging es um zwei starke Mädchen, Lou und Signe. In meinem nächsten geht es auch um die Schwierigk­eiten, Teenager zu haben. Und um erwachsene Kinder.

Und Sie schreiben die Geschichte­n, die Sie selber lesen möchten ?

Lunde: Ja genau, das ist das Wichtigste für mich. Und zu spüren, dass es lebt. Ich weiß, dass das etwas seltsam klingt, aber die Charaktere sind für mich wie echte Personen. Ich fühle mit ihnen, wenn ich schreibe. Als Signe nach dem Sturm auf ihrem Schiff fror, war mir auch kalt. Als David durstig war, musste ich dauernd Wasser trinken. Ich weinte, als meine Figuren weinten. Das ist schreiben für mich.

Das heißt, wenn Sie schreiben, sind Sie irgendwie schizophre­n?

Lunde (lacht): Ich bin eine Frau, ich bin gut im Multitaski­ng. Und ich bin gut darin, den Blickwinke­l zu wechseln. Ich kann ganz tief im Text sein und auch schnell aus meiner Schreibbla­se rauskommen.

Was ist das Wichtigste, das Menschen von einem Bienenvolk lernen können? Lunde: Das ist definitiv: Daran zu denken, dass wir alle Teil desselben Bienenstoc­ks sind. Die Bienen arbeiten für den ganzen Stock, nicht für sich. Wir sollten bedenken: Es kommt auf jeden kleinen Schritt an. Es ist nicht egal, was ein Einzelner tut. Wir können zum Beispiel kleine Dinge auf lokaler Ebene bewirken, das zählt viel. In Norwegen gab es viele Städte, die das Straßenbeg­leitgrün entfernten. Nun lassen sie es für die Bienen stehen, weil Einzelpers­onen sich engagiert haben. Und natürlich müssen wir die Politiker wählen, die bereit sind, die Probleme anzugehen und – zum Beispiel – die Bienen zurückzuho­len. Es ist eine Kombinatio­n aus politische­r Führung und lauter kleinen Schritten eines jeden von uns. Bevor 42, Bestseller autorin wurde, schrieb sie Kinder und Drehbücher. „Die Geschichte der Bienen“und „Die Geschichte des Wassers“(beide btb Verlag, Überset zerin Ursel Allenstein) wurden al lein in Deutschlan­d rund 800 000 Mal verkauft. Lunde lebt mit ihrer Familie im Osten Oslos. Gerade ver handelt sie über die Filmrechte ih res ersten Bestseller­s.

 ?? Foto: Oda Berby ?? Maja Lunde hat die Bestseller „Die Geschichte der Bienen“und „Die Geschichte des Wassers“geschriebe­n. In unserem Interview verrät sie, wie ihr Klima Quartett weitergeht.
Foto: Oda Berby Maja Lunde hat die Bestseller „Die Geschichte der Bienen“und „Die Geschichte des Wassers“geschriebe­n. In unserem Interview verrät sie, wie ihr Klima Quartett weitergeht.

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