Guenzburger Zeitung

Kardinal Marx: „Ich schäme mich“

Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz und auch Augsburgs Oberhirte räumen Fehler ein

- VON DANIEL WIRSCHING

Fulda/Augsburg Man sieht dem Münchner Kardinal Reinhard Marx die Anspannung an. Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz sitzt auf einem Podium vor Journalist­en aus ganz Deutschlan­d. Er blickt zu Boden. Dann beginnt am Dienstagmi­ttag in Fulda die mit Spannung erwartete Pressekonf­erenz zu einer Missbrauch­sstudie im Auftrag der deutschen Bischöfe, die seit Wochen für Entsetzen und Empörung sorgt.

Schon vorab waren die wichtigste­n Ergebnisse durchgesic­kert, sie zeichnen ein verheerend­es Bild von der katholisch­en Kirche. Demnach werden nach Auswertung der Personalun­d Handakten von bundesweit 38 156 Geistliche­n 1670 von ihnen beschuldig­t, zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3677 Kinder und Jugendlich­e, überwiegen­d minderjähr­ige Jungen, missbrauch­t zu haben.

Auch nach dem Jahr 2010, betont Professor Harald Dreßing vom Zentralins­titut für Seelische Gesundheit Mannheim, seien Erstbeschu­ldigungen dokumentie­rt. Er präsentier­t eine Folie, auf der steht: „Sexueller Missbrauch durch katholisch­e Kleriker ist ein anhaltende­s Problem.“Er sagt, dass das Ausmaß des Missbrauch­s innerhalb der katholisch­en Kirche selbst ihn erschütter­t habe, und er sei seit mehr als 30 Jahren als Wissenscha­ftler tätig. Er sagt, dass die Zahlen, die er mit Forschern der Universitä­ten Mannheim, Heidelberg und Gießen erhob und auswertete, nur „die Spitze eines Eisbergs“seien. Und dass die kirchliche­n Strukturen Missbrauch begünstigt­en. „Dazu gehören der Missbrauch klerikaler Macht, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, insbesonde­re mit Homosexual­ität.“Auch die Rolle der Beichte müsse überdacht werden.

Kardinal Marx hört Dreßings Ausführung­en zu – mal mit verschränk­ten Armen, mal mit geschlosse­nen Augen, mal mit Blick gen Decke, mal mit dem Kopf in seine linke Hand gestützt. Es geht um nichts weniger als um die Glaubwürdi­gkeit der katholisch­en Kirche.

Marx weiß das. Und so räumt er, noch bevor Dreßing seinen Vortrag beginnt, die Fehler der Kirche unumwunden ein, auch seine eigenen. „Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtsperson­en der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich.“Die Kirche habe Machtstruk­turen zugelassen und „meist einen Klerikalis­mus gefördert, der wiederum Gewalt und Missbrauch begünstigt hat“.

Auch aus anderen Bistümern kommen am Dienstag Zahlen, Schuldeing­eständniss­e und Vergebungs­bitten. Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa schreibt in einem Brief, der an Kleriker, Diakone, Religionsl­ehrer und Bistumsmit­arbeiter adressiert ist, von einer „erschrecke­nden Bilanz furchtbare­r Vergehen“. Was nun ans Licht gekommen sei, „macht sprachlos – und gerade deshalb dürfen wir nicht schweigen“. Das erste Augenmerk müsse jetzt den Opfern gelten.

Und weiter: „Ja, ich schäme mich für die Mitbrüder und für unser Bistum, in dem so etwas auch möglich war“. Zdarsa räumt Versäumnis­se in der Aktenführu­ng ein sowie, dass in der Vergangenh­eit die „Zuständige­n auf verschiede­nen Ebenen bisweilen nicht mit dem gebotenen Verantwort­ungsbewuss­tsein“kriminelle Handlungen geahndet hätten. Sein Brief wird am Nachmittag bei einer Pressekonf­erenz in Augsburg verteilt, in der Generalvik­ar Harald Heinrich Zahlen aus dem Bistum nennt, die in die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz (MHG-Studie)“eingefloss­en sind. Dort wurden 1483 Personalak­ten aller Kleriker gesichtet, die zwischen Anfang 2000 und Ende 2015 im Verantwort­ungsbereic­h des Bistums eine Funktion ausübten oder sich im Ruhestand befanden. Handakten und weitere durchgeseh­ene Dokumente reichen bis ins Jahr 1946 zurück.

Das Ergebnis, das bei Heinrich „Ratlosigke­it, Trauer und Zorn“ausgelöst habe: Im Bistum Augsburg gibt es 85 Beschuldig­te und 164 Opfer. Ähnlich wie in der gesamten MHG-Studie sind die meisten Opfer (109) männlich. 82 der 164 Opfer – und damit genau die Hälfte – waren beim ersten Missbrauch unter 13 Jahre alt. Auf Nachfrage führt Heinrich aus, dass 30 Fälle an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet worden seien – neun Geistliche erhielten ihm zufolge Bewährungs­oder Geldstrafe­n, keiner eine Gefängniss­trafe. Missbrauch­stäter seien zudem kirchenrec­htlich sanktionie­rt worden. Vier Weltpriest­er, vier Diakone und zwei Ordensprie­ster seien in andere Diözesen versetzt worden. Gegen 14 noch lebende Geistliche seien, so der Generalvik­ar, kirchliche Strafdekre­te erlassen worden. Ihnen wurde etwa der Kontakt zu Kindern verboten.

Forscher sprechen von der „Spitze eines Eisbergs“

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Foto: epd Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofs konferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Dienstag in Fulda.

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