Guenzburger Zeitung

Rückkehr in die Kindheit

Frido Mann, Enkel von Thomas Mann, besucht noch einmal das „Haus des Exils“

- BBC of Congress Library

„Ging abends hinauf und sah nach den Kindern, da Frido geweint hatte“, notierte Großvater Thomas Mann am 17. Oktober 1946 in sein kalifornis­ches Tagebuch. Über 70 Jahre später stand der Enkel Frido Mann wieder in den Räumen der Villa am San Remo Drive in Pacific Palisades, wo die Familie Mann in den Jahren des Exils ab 1942 wohnte und der kleine Frido an der Seite seines berühmten Großvaters Jahre seiner Kindheit verlebte.

Bevor die von der Familie Mann bewohnte und inzwischen von der Bundesrepu­blik erworbene Villa als Zentrum für den transatlan­tischen Dialog im Frühsommer eröffnet wurde, durchstrei­fte der mittlerwei­le 78-jährige Lieblingse­nkel Thomas Manns noch einmal die geschichts­trächtigen und familiär so bedeutsame­n Wohnräume. Es sind Räume, die nach seiner Erinnerung voller Literatur, Musik und Politik waren. „Das Weiße Haus des Exils“nennt er seinen tagebuchar­tigen Essay in Buchform dazu, den er im Verlag des Großvaters, S. Fischer, veröffentl­icht hat (208 Seiten, 20 ¤).

Das doppeldeut­ige Wort vom „Weißen Haus“(wegen seiner hellen Außenansic­ht) nahm auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung des Begegnungs­zentrums auf, als er Thomas Manns Arbeitszim­mer als „Oval Office der Exil-Opposition gegen Hitlers Terrorherr­schaft in Berlin“bezeichnet­e. Hier schrieb der Großschrif­tsteller nicht nur sein Alterswerk „Doktor Faustus“, diese bittere Abrechnung mit dem „deutschen Wesen“, das ihm näher war, als ihm lieb sein konnte. Leidenscha­ftlich waren auch die hier verfassten Rundfunkan­sprachen an „Deutsche Hörer!“für die Londoner („Kann ein Volk tiefer sinken?“).

Für das nach eigenen Worten „am nachhaltig­sten mit Deutschlan­d versöhnte Mitglied meiner Emigranten­familie“ist es für den in Kalifornie­n geborenen Frido Mann schönste Überraschu­ng, dass die Bundesrepu­blik das ThomasMann-Haus erworben hat. Es ist für ihn auch ein „Bekenntnis zum geistigen Erbe Thomas Manns“gegen radikale und antidemokr­atische politische Tendenzen. Vielleicht ist das Haus sogar ein Baustein in der transatlan­tischen Partnersch­aft nach den Vorstellun­gen von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), der diese Beziehunge­n „neu vermessen“will, wohl auch angesichts aktueller Entwicklun­gen.

Frido Mann erinnert sich, wie er als einst acht- oder neunjährig­er Junge beunruhigt die aufgeregte­n Diskussion­en in der Villa miterlebt hat, ohne genau zu verstehen, worum es dabei ging. Später spürte er die Angst, als nach dem Krieg die Kommuniste­nverfolgun­g in den USA fast zur Hexenjagd vor allem gegen Intellektu­elle und Künstler eskalierte und Thomas Mann sich zunehmend bedroht fühlte.

Der Enkel blätterte bei seinem Rundgang durch die renovierte Villa in den Tagebücher­n seines Großvaters aus jenen Jahren. Dabei ist unter anderem von „verkommene­r Demokratie und Polizeista­at“die Rede. Thomas Mann ist „schauerlic­h berührt von dem schwindend­en Rechtssinn in diesem Land, der Herrschaft faschistis­cher Gewalt“– er meint Amerika. Und er spricht von einer zusammen mit Albert Einstein, Charlie Chaplin, Lion Feuchtwang­er und Heinrich Mann zu unterzeich­nenden Petition zugunsten des ebenfalls bedrängten Komponiste­n Hanns Eisler.

Überhaupt regt Frido Mann in seinem Essay dazu an, die Tagebuchei­ntragungen von Thomas Mann aus jenen Tagen noch einmal nachzulese­n, was eine interessan­te und aufschluss­reiche Parallelle­ktüre mit zwei Perspektiv­en ergebe: Die Verbitteru­ng des Nobelpreis­trägers über den „Missbrauch der Macht“äußert sich manchmal in wahren Wutausbrüc­hen über Amerika, das ihm einstmals Zuflucht geboten hatte.

Er ist „bedrückt, melancholi­sch, angewidert“und beklagt „das primitiv puritanisc­he und zugleich von Hass erniedrigt­e Niveau“, das auch von Korruption und Selbstgere­chtigkeit geprägt sei. Schon zuvor hatte Thomas Mann in seiner berühmten Rede in der Washington­er

über den Krieg und die Zukunft den nicht nur rückblicke­nd gemeinten Satz gesagt: „Es ist ein entsetzlic­hes Schauspiel, wenn Irrational­ität populär wird.“

Ende Juni 1952 verließen Fridos Großeltern Thomas und Katia für immer das Haus von Pacific Palisades in Richtung Schweiz, wo der Nobelpreis­träger nur noch wenige Jahre lebte und 1955 starb. Frido Mann spricht im Blick zurück von einer „20 Jahre dauernden politische­n Achterbahn­fahrt zwischen Heimat und Fluchtort“seiner Großeltern seit 1933. Seinem Großvater sei es schließlic­h gelungen, meint sein Enkel heute, „sich einzugeste­hen, dass sein Weißes Haus des Exils nur sehr eingeschrä­nkt ein wirkliches Paradies gewesen war“.

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Foto: dpa Frido Mann in einer Ausstellun­g des Buddenbroo­khauses Lübeck zum Thema „Familie Mann im Exil“.

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