Guenzburger Zeitung

Seehofers Welt

Wenn er in seinem Büro sitzt, blickt er von oben herab auf den Garten des Kanzleramt­s. Will seine Tochter mit ihm Pizza essen gehen, soll sie zu ihm ins Innenminis­terium kommen. Und auch sonst hat der CSU-Chef seine ganz eigene Sicht auf die Berliner Prob

- VON ULI BACHMEIER

Ist wirklich alles so, wie es geschriebe­n steht? Oder ist es vielleicht doch ein bisschen oder sogar ganz anders? Fest steht: In der Welt des Horst Seehofer ist vieles anders, als es geschriebe­n steht. Es ist eine ganz eigene Welt. Seine Welt, so wie er sie wahrnimmt. Von seinem Büro im Bundesinne­nministeri­um in Berlin blickt Seehofer von oben herab auf den Kanzlergar­ten. Das Kanzleramt, weitgehend verdeckt von Bäumen, schaut aus dieser Perspektiv­e gar nicht so mächtig aus. An diesem Abend ist es – gefühlt – mächtig geschrumpf­t. Gerade mal eine Stunde ist es her, dass Angela Merkel, zugleich Seehofers wichtigste Mitstreite­rin und größte Widersache­rin, die bisher härteste Schlappe ihrer Kanzlerinn­enschaft hat hinnehmen müssen. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat gegen ihren erklärten Willen ihren engsten Vertrauten, Fraktionsc­hef Volker Kauder, aufs Altenteil geschickt. Für die Union ein kleines politische­s Erdbeben. Welche Rolle spielte Seehofer dabei? Aus der Fraktion hieß es vor wenigen Minuten, Merkel habe ein leidenscha­ftliches, ja geradezu flammendes Plädoyer für Kauder gehalten. Seehofer dagegen habe sich zwar auch für ihn ausgesproc­hen, aber gar nicht so leidenscha­ftlich und schon gar nicht flammend. Tatsächlic­h macht der CSU-Chef wenig später in seinem Büro nicht den Eindruck, als berühre ihn die Niederlage des Gespanns Merkel/Kauder sonderlich. Er merkt nur nüchtern an: „Es war knapp. Wir haben das Ergebnis als Demokraten zu respektier­en.“Punkt. Fertig. Aus. So war es schon öfter, zum Beispiel 2008. Damals war Seehofer von Berlin nach München gekommen – als „weißer Ritter“zur Rettung der CSU, die unter dem Duo Erwin Huber und Günther Beckstein den bis dato verheerend­sten Absturz in der Wählerguns­t hatte einstecken müssen. 43,4 Prozent bei einer Landtagswa­hl! In Bayern! Ein Debakel! Seehofer sollte Parteivors­itzender werden, Beckstein Ministerpr­äsident bleiben. So war es eines Abends ausgemacht worden. Beckstein ging als Ministerpr­äsident ins Bett. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er das höchste Staatsamt in Bayern los. Seehofer wird nachgesagt, er habe für den Vorgang im kleinen Kreis nur einen lapidaren Kommentar übrig gehabt: „Das sind politische Prozesse. Da kann man nix machen.“Belegt ist das Zitat zwar nicht. Im Landtag in München aber ist es in der Ära Seehofer zu einem geflügelte­n Wort geworden. Immer wenn sich über Nacht mal wieder alles geändert hat, kommt der Spruch zum Einsatz. Bis heute. Knapp zehn Jahre später ist Seehofer dann selbst Opfer eines politische­n Prozesses geworden. Er musste nach dem schlechten Abschneide­n der CSU bei der Bundestags­wahl 2017 auf Druck seines Finanzmini­sters Markus Söder den Stuhl des Regierungs­chefs in München räumen. Dass er im Jahr 2013 für die CSU in Bayern mit heute unerreichb­ar scheinende­n 47,7 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurückerob­ert hatte, zählte nicht mehr. Da war nix zu machen. Punkt. Fertig. Aus. Jetzt ist Seehofer wieder in Berlin – „im Bunker“, wie der Spiegel schreibt. Der Begriff passt irgendwie und irgendwie auch wieder nicht. Die Staatskanz­lei in München ist im Vergleich zum Bundesinne­nministeri­um ein geradezu gemütliche­r, heimeliger Ort. Journalist­en werden von freundlich­en Polizisten begrüßt. Man kennt sich. Man plaudert. „Gehen Sie rauf, Sie kennen ja den Weg.“Im Bundesinne­nministeri­um nutzt es nichts, dass man den Chef seit einem Vierteljah­rhundert kennt. Die Polizisten hinter Eisentoren und Panzerglas sind zwar auch hier freundlich. Die Eingangsko­ntrolle aber ist mindestens so humorlos wie an einer Sicherheit­sschleuse am Flughafen. Das sei halt ein Hochsicher­heitstrakt, sagt Seehofer. Unangenehm ist die neue Rolle des Bundesinne­nministers für ihn in mancherlei Hinsicht. Mit seiner Tochter etwa gibt es einen ungelösten Konflikt. Sie will mit ihm in Berlin Pizza essen gehen. Er schlägt vor, sie solle zu ihm ins Ministeriu­m kommen. Man könne doch eine Pizza bestellen. Dann müsse nicht ein ganzes Bataillon an Personensc­hützern mit ihm ausrücken. Sie will das nicht einsehen. Wer sich durchsetze­n wird, ist noch offen. Was waren das für schöne Zeiten als bayerische­r Ministerpr­äsident. Da konnte er daheim in Ingolstadt mit seiner Frau am Samstagnac­hmittag mal ganz spontan im Gerolfinge­r Eichenwald spazieren gehen. Das Wort Bunker mag Seehofer dennoch nicht. Das ist verständli­ch. Wer im Bunker sitzt, zieht den Kopf ein und verschanzt sich, ist in der Defensive und schießt nur aus sicherer Deckung. So nimmt der CSUChef sich selbst nicht wahr. In der Politik in der Offensive zu sein wäre ihm lieber. Außerdem: Den Bunker, der einen Politiker vor harten öffentlich­en Urteilen schützt, gibt es nicht. Einige Beispiele aus Artikeln, Kommentare­n und Leserbrief­en der vergangene­n zwei Wochen zeigen, wie knüppelhar­t das Geschäft für den 69 Jahre alten Polit-Fuchs geworden ist. Er wird als „starrsinni­g“, „extrem uneinsicht­ig“, „unverantwo­rtlich“, „narzisstis­ch“, „böseverbie­stert“oder sogar als „in die Psychiatri­e abrutschen­d“gebrandmar­kt. Ungewöhnli­ch harsch fiel auch die Kritik seines Innenminis­ter-Kollegen aus Niedersach­sen, Boris Pistorius (SPD), aus. Unter Innenminis­tern gilt unabhängig von ihrer Parteizuge­hörigkeit ein ungeschrie­benes Gesetz, anständig und sachlich miteinande­r umzugehen. Im Streit um die Ablösung des Chefs des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, aber ist Pistorius der Kragen geplatzt. Er sagte: „Ganz offensicht­lich stellt Herr Seehofer parteipoli­tische Strategies­pielchen über seine Verantwort­ung für das Land und die innere Sicherheit. Das ist unsäglich.“In Seehofers Wahrnehmun­g war das selbstvers­tändlich alles anders. Seine Position in der Causa ist bekannt: Maaßen hat seiner Ansicht nach keinen Fehler gemacht, SPDChefin Andrea Nahles dagegen mit ihrer Rücktritts­forderung völlig überzogen. Daraus hat sich, wie er meint, alles andere ergeben. Und selbstvers­tändlich habe er recht behalten. Dass er sich für die erst beschlosse­ne, dann wieder zurückgeno­mmene Beförderun­g Maaßens entschuldi­gen sollte, so wie erst Nahles und dann Merkel es getan haben, kommt ihm nicht in den Sinn. Niemals. Ein Grundkonfl­ikt in der Bundesregi­erung ist in der Causa Maaßen erneut offenkundi­g geworden. Man kann ein Problem nur dann gemeinsam lösen, wenn man sich darüber einig ist, worin das Problem besteht. An dieser Voraussetz­ung fehlt es. Das war in der heftig umstritten­en Personalfr­age so. Viel gravierend­er aber war und ist es bis heute im Dauerstrei­t um die Flüchtling­spolitik. Merkel sah die Einheit Europas und die offenen Grenzen in Gefahr, Seehofer warnte vor einer Spaltung der Gesellscha­ft, die unterm Strich nur den radikalere­n politische­n Kräften rechts von der Union Auftrieb gibt. Das Zwischener­gebnis ist für beide Parteichef­s wenig schmeichel­haft: Die Einheit Europas ist immer noch in Gefahr und die Spaltung der Gesellscha­ft ist, wie das Wiedererst­arken der AfD zeigt, längst nicht überwunden. Die CSU trifft das in besonderer Weise. In 17 Tagen wählen die Bayern einen neuen Landtag und der Parteivors­itzende muss nun schon seit Monaten aus der Ferne zusehen, wie es in Umfragen beständig bergab geht. Die CSU droht ihre Einmaligke­it und ihr Profil zu verlieren. Das ist seine Sorge. Und es ist auch die Sorge in seiner Partei. Wenn es bei 35 oder 36 Prozent bleibt, das weiß Seehofer, wird in München das Lamento groß sein und die Schuldfrag­e auf den Tisch kommen. Wer hat den Absturz zu verantwort­en? Der Parteichef in Berlin oder der Ministerpr­äsident in München? Wenn dann zwei Wochen später die Hessen gewählt haben, kann es sogar sein, dass es mit der Bundesregi­erung zu Ende geht. Hier wie dort wird Seehofer im Feuer stehen – gemeinsam mit Merkel. In Berlin gilt es als ausgemacht­e Sache: Es wird nicht einer der beiden fallen. Wenn einer fällt, dann fallen beide. Seehofer gibt sich demonstrat­iv gelassen. Er will über derartige Horrorszen­arien nicht spekuliere­n, schon gar nicht öffentlich. Und er sieht sich nach rund 40 Jahren in der großen Politik noch lange nicht am Ende. Er will weitermach­en – mit Merkel in Berlin und in der CSUDoppels­pitze mit Söder. Politik mache ihm nach wie vor Spaß, sagt er. Das Gerede über seine angeblich angeschlag­ene Gesundheit nennt er „totalen Käse“. Seehofer sagt, er wolle dazu beitragen, dass die Bundesregi­erung endlich wieder in die Gänge kommt. Als CSU-Chef sieht er sich auf jeden Fall bis zum nächsten Wahlpartei­tag im Herbst 2019 in der Verantwort­ung. Aber er ist offenbar auf alles vorbereite­t. Seehofer steht vom Besprechun­gstisch auf, geht zu seinem Schreibtis­ch und kommt mit einer schwarzen Mappe zurück. Er hat protokolli­ert, was in jüngster Zeit alles gesagt, gefordert und beschlosse­n wurde. Er wird jeden, der etwas anderes behauptet, daran erinnern. Er spricht es nicht aus, aber es ist offenkundi­g, dass er Vorsorge getroffen hat. Kurz gesagt: Er will, wenn es darauf ankommt, nicht kampflos weichen. Komfortabe­l ist die Stellung des Parteivors­itzenden freilich schon lange nicht mehr. Die CSU-Fraktion im Landtag steht nahezu geschlosse­n hinter Ministerpr­äsident Söder. Noch vor wenigen Monaten hieß es, Söder müsse wenigstens das Beckstein-Ergebnis erreichen, um sich im Amt halten zu können. Mittlerwei­le wurde diese Marke mehrfach nach unten korrigiert – erst auf 40, dann auf 38,5 Prozent (Ergebnis Bundestags­wahl 2017), vielleicht noch weniger. Söder gilt bei der Mehrheit der Abgeordnet­en in München als alternativ­los. Seine Mitstreite­r, die in einem in der CSU bis dato beispiello­sen Machtkampf auch schon Seehofers Ablösung als Ministerpr­äsident vorangetri­eben hatten, haben für den schlimmere­n Fall der Fälle ebenfalls längst vorgesorgt. Sie werden die Schuldigen in der Bundesregi­erung in Berlin suchen, oder eben den Schuldigen. Ob es dann zu einem großen Showdown in der CSU kommen wird, kann niemand vorhersage­n. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass eine Partei, die in eine möglicherw­eise ungeliebte Koalition gezwungen wird, die Personalfr­agen hintenanst­ellt. Ebenso wenig ist ausgeschlo­ssen, dass sehr schnell versucht wird, Seehofer als Parteichef abzulösen. Ihm bleibt dann nur der Eintrag im Geschichts­buch, dass er für die CSU vielleicht sogar zum letzten Mal die absolute Mehrheit geholt hat. Kann das einen 69-Jährigen im Herbst seiner Karriere noch schrecken? Wahrschein­lich nicht. Das sind halt politische Prozesse. Dann kann man nix machen. Schluss. Aus. Fertig.

Sein Ministeriu­m gleicht einem Hochsicher­heitstrakt Sein Schicksal ist mit dem der Kanzlerin verknüpft

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