Guenzburger Zeitung

„Ich war nur die Nestbeschm­utzerin“

Interview Astrid Mayer wurde als Kommunionk­ind von ihrem Pfarrer sexuell missbrauch­t. Als sie den Fall beim Bistum anzeigt, fühlt sie sich zum zweiten Mal als Opfer

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Frau Mayer, Sie sind als achtjährig­es Kommunionk­ind von Ihrem damaligen Pfarrer missbrauch­t worden und engagieren sich heute für andere Missbrauch­sopfer. Sie hatten 2005 gut 30 Jahre nach dem Missbrauch beim Bistum Anzeige erstattet. Was haben Sie da erlebt?

Astrid Mayer: Nichts Gutes. Ich habe die Missbrauch­skommissio­n damals als völlig gefühllos und als reine Täterschut­zkommissio­n erlebt. Da hieß es lapidar: Wir haben den aktuellen Pfarrer befragt und den Pfarrgemei­nderat und die können sich gar nicht vorstellen, dass da damals was gewesen sein könnte. Und dann hieß es noch, ich hätte ja eine Therapie gemacht und das sei mir dort vielleicht eingeredet worden. Ich sollte doch die Anzeige zurückzieh­en. Das hat mich völlig umgehauen. Und es gab auch niemanden in der Kommission, der irgendwie psychologi­sch geschult war und auch nur ein wenig Gespür dafür hatte, was das für mich bedeutet hat in dieser ganz heiklen Situation. Da braucht man Gesprächsp­artner mit Einfühlung­svermögen und Hilfe – echte Seelsorge eigentlich.

Und was haben die anderen Menschen aus der Gemeinde gesagt?

Mayer: Da war ich die Nestbeschm­utzerin, die dem ach so beliebten Geistliche­n was anhängen wollte. Man will das nicht glauben, denn man hat ja jahrelang den Pfarrer erlebt, bei ihm gebeichtet, geheiratet, seine Kinder taufen lassen und auch zum Kommunionu­nterricht geschickt. Da sehe ich ein ganz großes Problem und höre auch von anderen Opfern immer wieder, dass viele Gemeinden das Thema völlig ausblenden. Wenn man weiter vor Ort leben will, muss man sich das gut überlegen, ob man die Taten anzeigt. Da können die Bischöfe noch so viel Aufklärung verspreche­n und Dinge aufarbeite­n wollen – ganz konkret bedeutet das auch, vor Ort zu schauen, wie man die Spaltung von Gemeinden verhindert und die Ausgrenzun­g der Opfer. Und wie man den Gläubigen die Möglichkei­t gibt, die Tatsache zu verarbeite­n, dass ihre Spirituali­tät von einem PädoKrimin­ellen missbrauch­t wurde.

Die Bischöfe haben bei der Präsentati­on ihrer Studie betont, sie müssten endlich stärker auf die Opfer zugehen und sich auch von diesen helfen lassen, etwa bei der Prävention. Ein guter Ansatz?

Mayer: Im Prinzip schon. Zum Glück ist seit dem Bekanntwer­den des Skandals 2010 in vielen Bistümern die Sensibilit­ät für die Betroffene­n größer geworden. Aber nach meinen Erfahrunge­n und denen vieler anderer Betroffene­r bin ich vorsichtig. Mal abwarten, ob nach den vielen Worten jetzt auch wirklich konsequent gehandelt wird. Was wäre dabei wichtig? Mayer: Zunächst mal Unabhängig­keit. Die Missbrauch­skommissio­n damals bei mir nannte sich unabhängig, war aber genau das Gegenteil, die meisten Mitglieder waren sogar beim Bistum angestellt. Das ist übrigens heute noch so: Die Kommission besteht weiterhin größtentei­ls aus Kirchenmit­arbeitern. Ganz anders ist es zum Beispiel im Erzbistum Freiburg, wo ich derzeit wohne. Da gehen alle Fälle nach außen an unabhängig­e Fachberatu­ngsstellen. Da arbeiten geschulte Experten, die die Problemati­k genau kennen und auch nicht den Schutz der Institutio­n im Blick haben. Nur so kann es gehen. Und immerhin sagen die Bischöfe, dass sie Hilfe von außen brauchen.

Zu den Forderunge­n, die jetzt im Raum stehen, gehören auch höhere Anerkennun­gsund Entschädig­ungszahlun­gen. Wie wichtig ist das?

Mayer: Die meisten Opfer, die ich kenne, brauchen jeden Cent. Denn die Traumatisi­erung stürzt viele auch in den finanziell­en Abgrund. Ich zum Beispiel hatte riesige Probleme im Studium, das sehr lange dauerte, weil ich kaum belastbar war für lange Zeit, und mit schweren Depression­en zu kämpfen hatte. Das führte zu Bafög-Schulden und vielem mehr. Solche Taten werfen einen aus der Bahn und man braucht viel Glück und gute Hilfe, um sein Leben irgendwie meistern zu können. Aber unabhängig davon: Fast noch wichtiger fände ich, dass die Kirche durch Abgeben von Geld klarmacht, dass sie schwere Fehler gemacht hat und dass dies auch echte Konsequenz­en hat. Sie könnte zum Beispiel auch Therapieze­ntren finanziere­n, in denen Opfer von sexueller Gewalt gute und profession­elle Hilfe finden. Aber das muss dann auch richtig gemacht werden und nicht mit ein paar hunderttau­send Euro, sondern da sollte es schon eine Milliarde sein aus meiner Sicht. Interview: Gottfried Bohl, kna

Zur Person Die heute 53-jährige Freiburger Politikwis­senschaftl­erin Astrid Mayer wurde 1973 als Mädchen bei der Vorbereitu­ng auf die Erstkommun­ion vom damaligen Pfarrer missbrauch­t. 2005 zeigte sie den Fall bei der Diözese Rottenburg an. Heute engagiert sich Mayer unter anderem in Organisati­onen wie ECA (Ending Clergy Abuse) und im Betroffene­nbeirat des Fonds Sexueller Missbrauch.

„Solche Taten werfen einen aus der Bahn und man braucht viel Glück und gute Hilfe, um sein Leben irgendwie meistern zu können.“

Missbrauch­sopfer Astrid Mayer

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Foto: Oppitz, kna Astrid Mayer engagiert sich heute für andere Missbrauch­sopfer: „Abwarten, ob nach den vielen Worten jetzt wirklich konsequent gehandelt wird.“
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