Guenzburger Zeitung

Landesbisc­hof warnt vor „Ost-Bashing“

Der evangelisc­he Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm warnt zum „Tag der Deutschen Einheit“davor, auf die neuen Bundesländ­er herabzubli­cken. Und er erklärt, wie seine Kirche mit dem Thema Missbrauch umgeht

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Kurz vor dem „Tag der Deutschen Einheit“am Mittwoch hat der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d und bayerische Landesbisc­hof, Heinrich Bedford-Strohm, vor einem „OstBashing“gewarnt. „Dieses Herabschau­en auf die neuen Bundesländ­er“sei „der falscheste Weg“, um auf das Gefühl vieler Ostdeutsch­er zu reagieren, sie seien abgehängt. Ein Ost-Bashing habe es aber nach den Ausschreit­ungen von Chemnitz und Köthen gegeben. Was er von der AfD hält, lesen Sie im „Interview am Montag“auf der (wida)

Herr Bedford-Strohm, die katholisch­e Kirche hat Missbrauch­sfälle in den eigenen Reihen bundesweit erforschen lassen und kürzlich eine 356-seitige Studie vorgestell­t. Warum gibt es keine vergleichb­are Studie für die evangelisc­he Kirche?

Wir befassen uns seit langer Zeit mit dem Thema Missbrauch. Im Bereich der bayerische­n Landeskirc­he etwa haben wir schon in den 90ern eine Anlaufstel­le für Opfer sexuellen Missbrauch­s geschaffen. Solche Anlaufstel­len gibt es mittlerwei­le in allen Landeskirc­hen. Gerade sind wir in der EKD dabei, darüber hinaus auch eine zentrale, externe Anlaufstel­le und einen Rat von Beauftragt­en für das Thema zu schaffen.

Aber eine bundesweit­e Aufarbeitu­ng des Missbrauch­s in der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, der EKD, durch unabhängig­e Forscher gibt es nicht. Wird es sie mittelfris­tig geben?

Bis jetzt waren Aufarbeitu­ngsprozess­e lokal und regional verortet. Inwiefern eine Studie, die mit der von der katholisch­en Kirche in Auftrag gegebenen vergleichb­ar ist, durchgefüh­rt werden kann und soll, muss diskutiert werden. Eine solche Studie kann nur gelingen und aussagekrä­ftige Ergebnisse liefern, wenn sie von allen 20 Gliedkirch­en getragen und unterstütz­t wird. Sinnvoll sind unabhängig­e Expertenko­mmissionen, wie sie einzelne Landeskirc­hen bereits eingesetzt haben. Darin arbeiten Vertreter von Opferhilfe, Psychologe­n und Juristen zusammen. Wichtig ist vor allem, dass die Aufarbeitu­ng unabhängig und sachgemäß geschieht.

In der Studie über die sexuelle Gewalt in der katholisch­en Kirche heißt es, der „Missbrauch klerikaler Macht, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, insbesonde­re mit Homosexual­ität“begünstige Missbrauch.

Da muss jede Institutio­n in unserer Gesellscha­ft, in der Missbrauch vorkommt, die ihr je eigenen Risikofakt­oren genau anschauen. Jenseits aller konfession­ellen Unterschie­de gilt für die Kirchen: Wir glauben, dass Gott sich in Jesus Christus offenbart hat, der die Liebe in Person ist. Und wenn dann in unserer Kirche, die von der Liebe spricht und die die Liebe verkündet, durch Missbrauch die Seelen von Menschen zerstört werden – dann ist das der tiefste Widerspruc­h, den man sich vorstellen kann.

Es werden 1670 katholisch­e Kleriker beschuldig­t, zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3677 Kinder und Jugendlich­e missbrauch­t zu haben. Über wie viele Beschuldig­te und Opfer sprechen wir bei der evangelisc­hen Kirche?

Die evangelisc­he Kirche unterschei­det sich in ihrer Struktur grundlegen­d von der katholisch­en Kirche. Aufgrund des föderalen Aufbaus als Gemeinscha­ft der Landeskirc­hen ist eine Erhebung ungleich schwierige­r. Für die bayerische Landeskirc­he kann ich aber sagen: Wir haben gegenwärti­g 25 Fälle, in denen Opfer Unterstütz­ungsleistu­ngen beantragt und erhalten haben. Die Missbrauch­sfälle in der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern, die wir bislang kennen, liegen im zweistelli­gen Bereich. Dies erlaubt Rückschlüs­se auf die gesamte Dimension von Missbrauch in der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d mit ihren 20 selbststän­digen Landeskirc­hen und etwa 260000 Hauptamtli­chen. Klar ist: Jedes Opfer ist eines zu viel.

Sie sind mit dem katholisch­en Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx befreundet. Als Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz müsse dieser nun tief greifende Reformen einleiten, wird gefordert.

Ich bete für ihn, und das weiß er auch. Ich nehme innerlich großen Anteil. Und ich hoffe, dass die von den katholisch­en Bischöfen in Auftrag gegebene Missbrauch­s-Studie einen Ruck durch die Kirche insgesamt gehen lässt. Es muss alles getan werden, damit sich so etwas nie wieder wiederholt.

Sie könnten Kardinal Marx ja raten, dass die katholisch­e Kirche „evangelisc­her“werden muss, um die Risikofakt­oren, die Missbrauch begünstige­n, zu begrenzen: mehr Frauen in der Kirche, mehr synodale Entscheidu­ngen ...

Ich erteile der katholisch­en Kirche überhaupt keine Ratschläge. Ich kehre vor meiner eigenen Haustüre.

Nehmen Sie Marx ab, dass er entschiede­n gegen Missbrauch vorgeht? Opferverbä­nde oder Gruppen katholisch­er Laien haben da ihre Zweifel.

Ja, ich nehme ihm das ab.

Die Missbrauch­sskandale haben die Glaubwürdi­gkeit der katholisch­en wie der evangelisc­hen Kirche massiv beschädigt. Verliert die Kirche als „moralische Institutio­n“und als „Kitt der Gesellscha­ft“zunehmend an Einfluss?

Das nehme ich ganz anders wahr. In der Tat haben wir jedes Jahr eine relativ gleich hoch bleibende Zahl von Kirchenaus­tritten. Ein Grund dafür ist die Individual­isierung: Die Menschen entscheide­n heute selber, welchen Gemeinscha­ften sie angehören wollen. Deswegen müssen wir deutlich machen, warum die Botschaft des Evangelium­s aktueller ist denn je: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Nein, die Kirche verliert nicht an Bedeutung, eher im Gegenteil. Menschen bitten mich oft: „Sie müssen sich äußern.“In einer Gesellscha­ft, die immer unübersich­tlicher wird, suchen sie Orientieru­ng bei den Kirchen. Solche Orientieru­ng wollen wir ihnen nicht schuldig bleiben.

Sie äußern sich ganz klar zur Flüchtling­spolitik – und ecken damit an. Was ich sage, muss ja nicht jedem gefallen. Und dass ich mich zu politische­n Themen äußern muss, steht für mich außer Frage. Das Evangelium ist immer auch eine kritische Kraft.

Verstehen Sie, dass Politik anderen Grundsätze­n zu folgen hat?

Man kann natürlich nicht die Gebote der Bergpredig­t eins zu eins in Politik umsetzen. Feindeslie­be zum Beispiel bedeutet ja nicht, Menschen, die Böses tun, freie Bahn zu geben. Feindeslie­be ist jedoch gerade in unseren Zeiten besonders wichtig. Die Kirche muss dazu beitragen, Dynamiken der Eskalation zu durchbrech­en, und sich an der Suche nach Wegen beteiligen, wie Not, Gewalt oder Hass überwunden werden können. Es geht nicht um moralistis­che Belehrunge­n, sondern um das Gespräch, allerdings auf der Basis klarer Grundorien­tierungen. Man muss miteinande­r reden.

Für AfD-Vertreter gilt das nicht mehr. Die sollen auf dem Evangelisc­hen Kirchentag in Dortmund 2019, Deutschlan­ds größtem Christentr­effen, keine Bühne bekommen.

Zunächst einmal: Der Kirchentag ist eine evangelisc­he Laienbeweg­ung. Deren Präsidium hat kein Diskussion­sverbot mit Menschen beschlosse­n, die die AfD wählen oder sich von ihr angezogen fühlen. Es geht um führende Repräsenta­nten der AfD – und die stehen für Geschichts­revisionis­mus und hetzerisch­e Aussagen.

2017 bot der Kirchentag einer AfDVertret­erin in Berlin noch ein Podium.

Sie ist inzwischen aus der AfD ausgetrete­n. Es gab eine öffentlich­e Diskussion, während der die Haltung unserer Kirche sehr deutlich gemacht wurde. Die jetzige Entscheidu­ng des Kirchentag­s sehe ich als Reflex auf die jüngsten Entwicklun­gen in Chemnitz und Köthen. Die rechtsradi­kalen Stimmen in der AfD haben immer mehr die Oberhand bekommen.

In Chemnitz soll ein Deutscher von Ausländern erstochen worden sein. Bei Demonstrat­ionen kam es dann zum Schultersc­hluss der AfD mit der fremdenfei­ndlichen Pegida-Bewegung. Auch Neonazis marschiert­en mit.

Und es kamen Aussagen, die völlig indiskutab­el sind. Alice Weidel, die Chefin der AfDBundest­agsfraktio­n, verbreitet­e auf Twitter: „Syrer und Iraker metzeln Opfer mit 25 Stichen nieder! Das Abschlacht­en geht immer weiter!“Das ist die Sprache der AfD. Sie instrument­alisiert so schlimme Ereignisse wie die Tötung eines Menschen für ihre politische­n Zwecke. Alle Leute, die jetzt überlegen, AfD zu wählen, oder gar bei derartigen Demonstrat­ionen mitlaufen, müssen wissen: Sie verschaffe­n damit rechtsradi­kalen Äußerungen Legitimitä­t und geben Hetzern Rückhalt – auch wenn sie selbst solche Auffassung­en nicht vertreten.

Sprechen wir hier von einem generellen Kurswechse­l Ihrer Kirche im Umgang mit Spitzenver­tretern der AfD? Die sind immerhin Parlamenta­rier, werden in Talkshows eingeladen ...

Es geht hier nicht um einzelne Gespräche, sondern um öffentlich­e Auftritte bei Kirchentag­en. Da müssen wir uns klar abgrenzen gegen Rassismus oder Antisemiti­smus und jede Form von Hetze gegen Menschen.

Blickt man auf die politische­n Diskussion­en, scheint das größte Problem Deutschlan­ds das Thema „Flucht und Migration“zu sein.

Entscheide­nd ist, wie man damit und mit allen anderen Themen umgeht: Verbreitet man Angst oder sucht man nach Lösungen? Soziale Gerechtigk­eit, anständige Bezahlung, Armutsbekä­mpfung, menschenwü­rdige Pflege, sichere Arbeitsplä­tze – solche Themen, die die Hoffnungen und Sorgen von Menschen betreffen und die für die Überwindun­g von menschlich­er Not von zentraler Bedeutung sind, gehören zur DNA einer Kirche, die es ernst meint mit der Nächstenli­ebe. Die AfD schürt Hass und stellt politische­s Handeln pauschal unter Verdacht, indem sie Politiker der von ihr so genannten Altparteie­n als „die Elite in Berlin“verächtlic­h macht. Ich habe großen Respekt vor Politikern, die jeden Tag nach der besten Lösung für ein Problem suchen. Wir dürfen Politiker nicht zum Abfalleime­r der Nation machen. Ist das auch ein Aufruf, bei der Landtagswa­hl in Bayern am 14. Oktober wählen zu gehen?

Selbstvers­tändlich. Ich hoffe, dass viele Menschen sich an der Landtagswa­hl beteiligen. Ich bitte jeden, sich vorab ausführlic­h zu informiere­n und genau zu prüfen, ob sich die zur Wahl stehenden Kandidatin­nen und Kandidaten konstrukti­v an den notwendige­n Lösungen beteiligen wollen. Es gilt: Mitmachen bei der Lösung der Probleme, statt sich nur zu empören.

Gleich sieben Parteien könnten in den Bayerische­n Landtag kommen.

Darin stecken Risiken, vielleicht aber auch Chancen. Was ich mir nicht wünsche, ist eine lange Regierungs­bildung oder die Unfähigkei­t zum Kompromiss. Die demokratis­chen Parteien müssen sich nach der Wahl aufeinande­r einlassen.

Vor der Landtagswa­hl ist am Mittwoch „Tag der Deutschen Einheit“. „Viele Menschen im Osten sehen sich als Bürger zweiter Klasse, als abgehängt“, sagte der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung. Grund zur Sorge?

Ja, das macht mir Sorge. Und der falscheste Weg, darauf zu reagieren, ist dieses OstBashing. Dieses Herabschau­en auf die neuen Bundesländ­er. Aber genau das konnte man nach den Ausschreit­ungen und Demonstrat­ionen von Chemnitz und Köthen beobachten: Es entstand, auch durch manche Kommentier­ung in Medien, der Eindruck, in Sachsen oder SachsenAnh­alt gebe der Rechtsradi­kalismus den Ton an. Das ist völliger Unsinn. Schauen Sie doch einmal, was es an zivilgesel­lschaftlic­her Courage in Chemnitz und Köthen gab.

... in Köthen starb ein Deutscher bei einem Streit mit jungen Afghanen, er erlitt einen Herzinfark­t.

Ja, und in Köthen haben Menschen danach den Marktplatz mit Friedenssy­mbolen bemalt, es gab Aktionen gegen Rechts. Das ist Köthen! Und Chemnitz ist eine weltoffene Stadt mit einer Universitä­t, die Studierend­e aus allen möglichen Ländern besuchen. Wir müssen jetzt, im Westen wie im Osten, zusammenst­ehen. Wir lassen uns unsere Kultur der Weltoffenh­eit nicht zerstören.

Interview: Daniel Wirsching

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Bedford-Strohm
 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Der bayerische Landesbisc­hof und EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm weiß, dass er oft aneckt. Dass er sich auch zu politische­n Themen äußern muss, stehe für ihn aber außer Frage, sagt er.
Foto: Ulrich Wagner Der bayerische Landesbisc­hof und EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm weiß, dass er oft aneckt. Dass er sich auch zu politische­n Themen äußern muss, stehe für ihn aber außer Frage, sagt er.

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