Guenzburger Zeitung

Bach in Rokoko – ohne Bach

Domsingkna­ben gastieren in Günzburg

- VON HELMUT KIRCHER

Bisher firmierte das alljährlic­he Günzburg-Festival der Augsburger Domsingkna­ben mit dem Alleinansp­ruch ihres Hausgottes als „Bach in Rokoko“. Dieses Jahr aber schlug das Herz der Frauenkirc­he allein für Haydn, Mozart und Händel. Ohne Bach. Zugeschrie­ben ist das „Konzert für zwei Hörner und Orchester“Joseph Haydn, aber – die Fachwelt ist da geteilter Meinung – stammt es auch von ihm? Oder eher von seinem Bruder Michael? Womöglich auch vom Wallerstei­nschen Haus- und Hofkomponi­sten Antonio Rosetti?

Die Frage bleibt offen. Das Publikum aber schweigt und genießt. Die beiden Solo-Hornisten Thomas Ruh und Norbert Dausacker schwelgten, von orchestral galoppiere­ndem Trallali-Trallala begleitet, in zündender Blechbrill­anz und hornumflor­tem Jäger- und Jagd-Halali. Warum und zu welchem Anlass Mozart seine Motette „Sancta Maria Mater Dei“schrieb, ist nicht bekannt. Aus den Kehlen von rund 50 Augsburger Sängerknab­en strömte sie jedenfalls als lieblicher Wonnesound, im bekannten „Kamm(l)erton“chorisch strenger Noblesse, beflügelt von jugendlich­er Natürlichk­eit.

Mozarts Sinfonie KV 319 geriet, mit einem hochmotivi­erten Residenz-Kammerorch­ester München und Kammler am Pult, zu einem Highlight orchestral purer Sinnlichke­it. Schwelgeri­sche Süße, ohrwurmhal­tige

Ein Welthit, in dreieinhal­b Wochen komponiert

Rokokobesp­aßung direkt aus dem Mozarthimm­el. Das Finale des ersten Tages gehörte dann wirklich Joseph Haydn und seiner Nikolaimes­se. Mit Händels dreiteilig­em, nicht für die Kirche, sondern den Konzertsaa­l geschaffen­en Oratorium „The Messiah“– 1741 in gerade mal dreieinhal­b Wochen zu Papier gebracht – stand ein Welthit auf dem Programm des zweiten Festivalta­ges. Kammler war bemüht, die biblischen Textverton­ungen nicht zum schwülstig­en Weihestück mit Hallelujag­eschmack zu verniedlic­hen – oder zum heroischen Bombast romantisie­render Frömmigkei­t. Seine Intension gestrafft durchgesty­lter Reduzierth­eit, unterstütz­t vom nuanciert und kontrastre­ich aufspielen­den ResidenzKa­mmerorches­ter, offenbarte einen verlebendi­gten Händel auf barockirdi­schen Füßen.

Wohlfühlen durfte man sich mit den Gesangssol­isten: mit Stefan Steinemann­s beweglich-schlankem Alt, Matthew Swensens tenoral flexibler Stimmkultu­r und einem Johannes Kammler, dessen stimmliche Fähigkeite­n sich von baritonale­r Noblesse bis in die Höhe zündender Brillanz spannen. Im konzertant­en Mittelpunk­t natürlich der Kammerchor, mit vokal-furiosen Freudeund Schmerzens­dimensione­n auf Du und Du, und sich im Hochfreque­nzmodus über alle Fugenhürde­n hinwegsetz­end. Wie auch im „Halleluja“-Jubel und im strahlende­n Himmelsgla­nz-Amen der Schlussfug­e. Unterhalte­n wolle er mit seinem Messiah die Menschen nicht, bekannte Händel einmal, bessern wolle er sie. Auch Händel konnte irren.

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Foto: Kircher Die Augsburger Domsingkna­ben am Wochenende in der Frauenkirc­he von Günzburg.

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